Pensionsfonds: Bundesregierung investiert in Öl, Kohle, Gas

Stand: 21.07.2022 06:00 Uhr

Um die Pensionen von Bundesbeamten, Richtern und Soldaten zu finanzieren, investiert der Bund Milliarden in klimaschädlich Aktien.

von Nils Altland, Sebastian Friedrich, Victor Gojdka

Vielleicht, könnte man sagen, haben sie der Erde im kanadischen Fort McMurray schlicht die Haut abgezogen. Haben den dichten, spitzen Tannenwald quadratkilometerweit abrasiert, tonnenweise Mutterboden abgefräst und die Landschaft in ein Labyrinth aus Bergbaukratern verwandelt. Hier, wo die Fernstraße von Edmonton unvermittelt im Nirgendwo endet, graben dinosauriergroße Bagger nach einer dieselstinkenden Schlacke, die Experten "Ölsande" nennen. Umweltschützer nennen die Förderprojekte in der Provinz Alberta "CO2-Bomben", Klimakiller. Beteiligt dabei auch: der Ölriese ExxonMobil.

VIDEO: Pensionsfonds: Bundesregierung investiert in Öl, Kohle, Gas (7 Min)

Pensions-Portfolios des Bundes erstaunlich dreckig und klimaschädlich

Auch deutsche Pensionärinnen und Pensionäre dürften sich für das Tausende Kilometer entfernte Ölprojekt in der kanadischen Weite interessieren: Denn Aktien des Ölmultis ExxonMobil liegen auch in den Pensionsfonds des Bundes für seine Beamten. Mit knapp 50 Milliarden Euro aus vier Sonderfonds will der Bund künftig die Pensionen von Bundesbeamtinnen und -beamten, also etwa Soldatinnen und Soldaten oder Bundesrichterinnen und -richtern, bezuschussen. Doch während das verantwortliche Bundesinnenministerium beteuert, dabei "einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz" zu leisten, legen Panorama-Recherchen ein anderes Bild nahe: In den Pensions-Portfolios des Bundes geht es erstaunlich dreckig und klimaschädlich zu.

Dossier Klimawandel
Zerknüllte Weltkugel © photocase Foto: Unschuldslamm

Extremwetterereignisse treffen uns immer häufiger und heftiger. Ursache ist der menschengemachte Klimawandel. Weitere Infos finden Sie hier. mehr

Weil Steuergeld allein nicht mehr reicht, um die Pensionen der Bundesbeamten zu finanzieren, investiert der Bund seit einigen Jahren auch an der Börse. In Vehikeln mit sperrigen Namen wie "Versorgungsrücklage", "Versorgungsfonds" oder "Pflegevorsorgefonds" haben die staatlichen Geldverwalter inzwischen ein Vermögen von rund 50 Milliarden Euro angehäuft, davon liegen mehr als zehn Milliarden Euro in Aktien.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit großgeschrieben?

Eigens für dieses Milliardenvermögen hatte der Bund im vergangenen Jahr zwei grüne Aktienindizes mit insgesamt rund 140 Aktien zusammenstellen lassen, denen er mit einem Teil des Pensionsgelds eins zu eins folgen will. Monatelang hatten sich Ministerialbeamte, Nachhaltigkeitsberater und Portfolioverwalter darüber den Kopf zerbrochen. "Künftig werden auch Klimaschutz und Nachhaltigkeit großgeschrieben, wenn es um die Anlage der Pensionsfonds geht", hieß es aus dem Bundesinnenministerium am Ende.

Öffentlich überprüfen lässt sich diese Behauptung nicht, denn auch auf Nachfrage zeigen sich die Ministerialbeamten erstaunlich zugeknöpft, rücken allenfalls 20 der 140 Aktiennamen freiwillig heraus. Panorama allerdings liegen mehrere Listen vor, die zeigen, dass in den Aktienindizes der Berliner Börsen-Beamten auch eine Handvoll fossiler Aktien wie ExxonMobil steckten. Auf mehrfache Nachfrage von Panorama muss der Bund eingestehen, dass er gar mehr als eine halbe Milliarde Euro in Titel mit Kohle-, Öl- und Gasgeschäft investiert hat.

Öltitel steigen an der Börse

Robert Halver, Kapitalmarktstratege © NDR Foto: NDR
Öltitel wie Exxon hätten meist profitiert, so der Kapitalmarktstratege Robert Halver.

Warum der Bund an seinen fossilen Investments festhält, lässt sich am Frankfurter Börsenparkett beobachten. In einem der weiß leuchtenden Rondelle im Handelssaal blickt der Analyst Robert Halver auf einen seiner vielen Finanzcomputer und malt mit seinem Finger den Kurs der Exxon-Aktie nach: "Was läuft sind die alten Energieträger des fossilen Zeitalters", sagt der Kapitalmarktstratege der Baader Bank, "weil man gutes Geld verdient und sie auch recht hübsche Dividenden zahlen." Halvers Erkenntnis? Während viele andere Aktien seit Jahresbeginn in die Knie gegangen sind, haben Öltitel wie Exxon meist profitiert. Hätte der Bund die Fossil-Titel also aus seinen Anlagen ausgeschlossen, hätte er mutmaßlich auf Rendite verzichtet.

Das ahnten wohl auch die Beamten im Bundesinnenministerium, als sie ihre vermeintlich grünen Börsenindizes konstruieren ließen. Besonders umstrittene Anlagen etwa in Hersteller von Streubomben, Kernkraftwerke oder Tabakfirmen sind in den Staatsportfolios seit rund einem Jahr tabu, ansonsten aber solle "der Ausschluss ganzer Branchen vermieden werden", heißt es vom Ministerium. Bei den fossilen Energien handele es sich bloß noch um "Brückentechnologien", gerade angesichts der angespannten Versorgungslage sei die Gesellschaft aktuell darauf angewiesen.

Nicht zwingend auf fossile Aktien angewiesen

Andreas Hackethal, Finanzprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität © NDR Foto: NDR
Ein Ausschluss fossiler Aktien aus den staatlichen Pensionsfonds könne Signalwirkung haben, so Andreas Hackethal von der Frankfurter Goethe-Universität.

Eine Sichtweise, die Klimaschützer erzürnt: "Der Bund und speziell das Bundesinnenministerium muss seine Aktien aller Fossil-Konzerne sofort verkaufen, wenn es nicht als Klimakiller dastehen will", sagt Mathias von Gemmingen, der sich bei der Klimaorganisation "Fossil Free Berlin" seit Jahren mit den staatlichen Pensionsinvestments beschäftigt.

Selbst Experten haben nämlich Zweifel, ob das Pensionsgeld des Bundes tatsächlich zwingend auf die fossilen Aktien angewiesen ist. Zumal manche privatwirtschaftliche Fondsanbieter Kohle, Öl und Gas schon längst hochkant aus ihren Fonds herausgeworfen haben. Für Finanzprofessor Andreas Hackethal von der Frankfurter Goethe-Universität könnte ein Ausschluss fossiler Aktien aus den staatlichen Pensionsfonds aber Signalwirkung haben: "Ansonsten ist der Bund angreifbar, sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen zu schreiben und hier nicht genau hinzuschauen", sagt Hackethal.

Mathias von Gemmingen, "Fossil Free Berlin" © NDR Foto: NDR
Der Bund müsse seine Aktien aller Fossil-Konzerne sofort verkaufen, wenn er nicht als Klimakiller dastehen wolle, so Mathias von Gemmingen, "Fossil Free Berlin“.

Klimaaktivisten verweisen auf das Vorbild des Berliner Senats: Auch das Land Berlin war mit seinen Pensionsfonds noch vor wenigen Jahren schlicht dem deutschen Leitindex DAX und dem europäischen Börsenbarometer Eurostoxx 50 gefolgt, damit also auch fossilen Aktien. 2016 jedoch ließ das Land einen nachhaltigen Aktienindex konstruieren, der fossile Aktien schlichtweg ausschließt. Ob der Bund unter der neuen Ampelkoalition bei seiner Nachhaltigkeitsstrategie noch einmal nachbessern wird, ist derzeit unklar.

Auf Panorama-Anfrage bestätigte ExxonMobil im Übrigen, Ölsande im kanadischen Alberta zu fördern. Exxon bemühe sich aber immer, seine Technologien zu verbessern und die Auswirkungen auf Land, Wasser und Luft zu reduzieren.

 

Weitere Informationen
Aus den Schornsteinen mehrere schneebedeckter Wohnhäuser steigt Dampf auf. © dpa/picture alliance Foto: Michael Reichel

Klimaneutral heizen? Auf der Suche nach Alternativen zum Gas

Warmes Wasser, Heizen: Wohnen ist wesentlich verantwortlich für klimaschädlichen CO2-Ausstoß. Können wir klimaneutral heizen? mehr

Bagger fällt Bäume im indonesischen Regenwald © NDR Foto: Screenshot

Biodiesel: Urwaldvernichtung fürs Klima

Durch Palmöl im Diesel soll CO2 eingespart und so die Klimabilanz aufgebessert werden. Doch weil immer mehr Regenwald den Palmölplantagen weichen muss, entsteht ein gegenteiliger Effekt. mehr

Diese drei Briten bessern ihre Rente durch eine private Versicherung auf.

Warum englische Rentner von einem deutschen Knast profitieren

Wegen niedriger Zinsen steht es schlecht um die private Altersvorsorge. Nun soll privates Kapital in die öffentliche Infrastruktur fließen. mehr

Kreuzfahrtschiff

Umweltfreundliche Staatsbank? KfW-Bank finanziert Kreuzfahrtschiffe

Die Kreuzfahrt-Industrie boomt, entsprechend werden viele neue Schiffe bestellt. Die staatseigene Bank KfW hat Kredite an Kreuzfahrt-Reedereien vergeben. Wie soll so "Klimapolitik" gelingen? mehr

Bildcollage aus einer Demonstration von Fridasy for Future und rauchenden Kraftwerksschornsteinen

Fridays for Future: Angriff auf die Freiheit?

Freiheit oder Zukunft, Liberalismus gegen Fridays for Future - das "Klimapaket" ist ein Kompromiss aus denkbar gegensätzlichen Positionen. Panorama lässt beide zu Wort kommen. mehr

Luisa-Marie Neubauer (3.v.r), deutsche Klimaschutz-Aktivistin, nimmt an der "Friday for Future" Demonstration teil. © dpa Foto: Carsten Koall

Klimaschutz: Das gespaltene Land

Das Thema Klimaschutz spaltet Deutschland. Die einen fordern Verbote und Verzicht, die anderen Realismus. Wie sollen Politiker da einen Kompromiss finden, der beiden Seiten genügt? mehr

 

Weitere Informationen

Pensionsfonds: Bundesregierung investiert in Öl, Kohle, Gas

Der Panorama-Beitrag vom 21. Juli 2022 als PDF-Dokument zum Download. Download (62 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 21.07.2022 | 23:15 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?