Warum englische Rentner von einem deutschen Knast profitieren
Horst Schlecht hat jahrelang in seine Lebensversicherung eingezahlt. Jetzt als Rentner hatte er gehofft, dass sich die private Altersvorsorge für ihn auszahlen würde. In den ersten Jahren ging das auch gut. Vor wenigen Wochen aber musste er feststellen, dass außer eines mickrigen Sockels seine Beteiligung an den Bewertungsreserven seiner Versicherung nichts mehr wert ist. "Also 2013 war das Plus 2.600 und ein paar zerquetsche Euro. Ein Jahr später waren es nur noch 1.600 Euro und jetzt, 2015, ist es Null."
Die Realität ist für viele Sparer trist
Der Grund dafür sind die niedrigen Zinsen. Auf sichere Anlagen wie zum Beispiel Staatsanleihen gibt es fast keine Zinsen mehr. Die Folge: die privaten Renten vieler Pensionäre sinken, denn genau in diese Anleihen hat die Versicherungsbranche investiert. Ein Problem, das bei der Verbraucherzentrale Hannover oft in der Beratung auftaucht. "Die private Altersvorsorge funktioniert momentan nicht", sagt der Honorarberater bei der Verbraucherzentrale Hannover, Adrian Englschalk.
Dieses Problem betrifft Millionen Riester-Rentner und Lebensversicherte. Dabei hatten sie so sehr auf die private Rente gesetzt, zumindest wurden ihnen von der Politik große Versprechen gemacht - damals, als die Zinsen noch oben waren. Heute ist die Realität für viele Sparer trist. "Das Versprechen der Politik zerbröselt", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Stefan Sell.
Privates Kapital zur Infrastrukturfinanzierung
Nur will sich die Politik das offenbar nicht eingestehen und arbeitet an einem neuen Modell. Eine Expertenkommission von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will mehr privates Kapital in die öffentliche Infrastruktur lenken, darunter auch die vielen Milliarden der Anleger und Versicherten. Die Experten erhoffen sich, "den Bereich Infrastrukturfinanzierung für neue Investoren zu öffnen", heißt es in einem vertraulichen Zwischenbericht der Runde. Etwa für Versicherungen und Pensionskassen. So solle den Bürgern eine neue Anlageform geboten werden, "die bei vertretbarem Risiko bessere Renditen verspricht als Anlagealternativen wie etwa Spar- und Sichteinlagen oder Staatsanleihen." Drei Prozent Zinsen gelten in der Branche als Untergrenze, ab der sich ein Investment in Infrastruktur lohnt. Klingt zunächst wie eine Win-Win-Situation. Die Versicherer könnten über Jahre auf stabile Renditen hoffen. Der Staat könnte endlich mehr für die kaputte Infrastruktur tun.
"Vielen Dank, Deutschland"
Doch ist das Modell gerecht? Und gibt es wirklich nur Gewinner? Die britischen Rentner Jill, Robert und Bob haben jahrelang für die britische Telekom gearbeitet. Deren Pensionsfonds hat schon früh in Infrastruktur investiert und schüttet auch deshalb noch immer eine ordentliche Rendite an seine Mitglieder aus. "Wenn ich nur auf die staatliche Rente gesetzt hätte, dann würde ich vielleicht heute noch arbeiten", sagt Jill. Zum Beispiel hat der Fonds mittelbar auch in ein Gefängnis in Sachsen-Anhalt investiert. Für die britischen Rentner ein gutes Geschäft, für den deutschen Steuerzahler langfristig wohl ein schlechtes. Das prognostizierte zumindest der Landesrechnungshof in Sachsen-Anhalt. Er geht davon aus, dass der Staat Bau und Betrieb insgesamt günstiger hätte erledigen können, wenn er es selbst übernommen hätte.
Riesengroße Umverteilung
Denn es ist keineswegs so, dass von Gabriels Idee wirklich alle profitieren. Es handelt sich nach Ansicht von Opposition und Rentenexperten um eine riesengroße Umverteilung. Von den stabilen Renditen aus den Infrastrukturprojekten profitieren nämlich nur die Sparer, die privat vorsorgen können. Für die Kosten kommen aber alle Steuerzahler auf. Die Versicherungsbranche und einzelne Versicherte würden vielleicht profitieren, sagt Wirtschaftswissenschaftler Sell, aber es gebe einen klaren Verlierer. "Das Kollektiv der Steuerzahler muss diese deutlich höheren Kosten begleichen."
Das neue Modell von Gabriel soll in drei Wochen vorgestellt werden, bis dahin wolle man keine Interviews geben, so das Wirtschaftsministerium.
Bei der Recherche zu diesem Thema hat Panorama mit Follow the Money zusammengearbeitet, einem Team unabhängiger Wirtschaftsjournalisten. Einen ausführlichen Bericht zum Thema lesen Sie bei Welt.de. Auch das Weblog "Aktuelle Sozialpolitik" berichtet.