Nach Corona: Warum kommen die Arbeitskräfte nicht zurück?
In Branchen, die von den Corona-Schließungen betroffen waren, ist nun der Arbeitskräftemangel besonders drastisch - viele kommen nicht mehr zurück.
Es sollte die Rückkehr zur Normalität werden, nach Corona. Endlich wieder fliegen, Urlaub in den Herbstferien. Doch die Normalität am Berliner Hauptstadtflughafen sah dann so aus: Stundenlange Wartezeiten bei der Abfertigung und am Check-In. Verzweifelte Fluggäste. Menschen, die ihre Flüge verpassen. Auch an anderen deutschen Flughäfen sah es in den Herbstferien nicht viel besser aus.
Der Grund? Personalmangel, heißt es allerorten. Vom Gepäckdienst bis zum Check-In, es fehlen Arbeitskräfte. Laut einer Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di im Sommer dieses Jahres haben bis zu 44 Prozent der Beschäftigten in den Bodenverkehrsdiensten die Branche verlassen - dauerhaft. Nur wenige sind offenbar bisher zurückgekommen. "Die Situation ist sehr alarmierend“, betont Mira Neumaier von Ver.di. "Es war klar, dass die schlechten Arbeitsbedingungen und die hohe Quote an befristeten Verträgen ein großes Problem darstellen, was jetzt im Krisenjahr eben auch eine Abstimmung mit den Füßen zur Folge hat."
Wo sind die Beschäftigten hin?
Doch wo sind die Arbeitskräfte gelandet, die die Branche verlassen haben? Zum Beispiel in einem Paketzentrum von DHL in der Nähe von Berlin. Hier arbeitet das Ehepaar Miethling seit Januar. Beide waren vorher am Berliner Flughafen tätig - Milena Miethling viele Jahre in der Passagierabfertigung, ihr Mann als Techniker für verschiedene Airlines. Während der Corona-Pandemie habe das Kurzarbeitergeld gerade so gereicht. Und dann kamen sie ins Nachdenken. "Da war dann so ein Punkt für mich, eigentlich kommst du nicht weiter. Wenn du jetzt noch was machen kannst, wo du dich weiterentwickeln kannst, dann mach es jetzt", sagt Milena Miethling.
Für ihren Mann ist ein sicherer Arbeitsplatz das Wichtigste. In dem neuen DHL-Zentrum hat Milena Miethling jetzt mehr Verantwortung, sie teilt Mitarbeiter ein, sorgt für die korrekte Beladung der Postcontainer. Beide können sich nicht mehr vorstellen, an den Flughafen zurückzukehren. "Uns hätte es nicht besser treffen können, es passt mit allem, Rahmenbedingungen, finanziell und die Branche macht auch Spaß", berichtet sie mit einem breiten Lächeln.
Das Ehepaar Miethling steht für einen neuen Trend: "In weiten Teilen der Dienstleistungsbranche, die besonders betroffen waren von den Betriebsschließungen, muss man von einem Corona-Schock sprechen", sagt der Volkswirtschaftler und Sozialforscher Stefan Sell im Interview mit Panorama.
Der deutsche Arbeitsmarkt litt schon vor Corona unter einem massiven Arbeitskräftemangel. Grund dafür ist vor allem der demografische Wandel: die Generation der "Baby-Boomer" geht in Rente, während weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachkommen. Seit Jahren weist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) darauf hin, dass Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften bräuchte, um dem entgegenzuwirken.
Corona befeuert Arbeitskräftemangel
Corona habe beim Arbeitskräftemangel in einigen Branchen "wie ein Brandbeschleuniger gewirkt", hat Sell beobachtet. Aktuell besonders betroffen seien Bereiche mit niedriger Vergütung wie in der Hotel- und Gastrobranche. "Sie haben ein sehr niedriges Kurzarbeitergeld bekommen, sodass es einen starken Anreiz gab, während der letzten Monate zu versuchen, sich Jobs in anderen Branchen zu suchen, um über die die Runden zu kommen."
Und das haben offenbar viele gemacht. Obwohl Restaurants und Hotels wieder geöffnet sind, und die Nachfrage vorhanden ist, bleiben die Beschäftigungszahlen bisher deutlich unter dem Niveau vor Corona zurück, wie Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Im Juli 2021 waren demnach im Gastgewerbe 15,6 Prozent weniger Menschen beschäftigt als im Vergleichsmonat vor der Pandemie, im Juli 2019. Konkret sind das 272.812 Arbeitskräfte weniger im Gastgewerbe.
Ein Viertel weniger Minijobs im Gastgewerbe als vor der Pandemie
Der Rückgang bei Jobs mit geringer Bezahlung ist innerhalb des Gastgewerbes besonders deutlich. Im Juli 2021 gab es hier laut Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit 25 Prozent weniger sogenannte Minijobs im Gastgewerbe als im Juli vor der Pandemie.
Infolge des Arbeitskräftemangels schränken einige Gastrobetriebe nun ihren Betrieb ein. "Wir haben die Öffnungszeiten reduziert", erklärt etwa der Hotelier Niklaus Kaiser von Rosenburg, Vizepräsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) in Hamburg. Früher habe man in der Gastronomie "hundertprozentige Jobsicherheit" bieten können, sagt Kaiser von Rosenburg. "Dieses Gefühl der Sicherheit hat die Coronakrise nachhaltig gestört." Die Tarife in der Gastronomie gehörten zu den niedrigeren. "Der einzige Weg da raus sind deutlich höhere Preise für gastronomische Leistungen", so der Hotelier.
Beschäftigte suchen krisenfestere Jobs
Nicht wenige der Wechsler schließen bei den derzeitigen Bedingungen eine Rückkehr in ihre alte Branche aus. Eine Hotelfachfrau aus Hamburg, die als Team-Assistentin zu einer Immobilienfirma gegangen ist, sagt: "Corona hat mir die Augen geöffnet. Wenn der Lockdown nicht gewesen wäre, wäre ich bestimmt noch im Hotel. So ist mir aber bewusst geworden, wie schwierig die Arbeitsbedingungen dort sind. Und dass es Alternativen gibt, die viel attraktiver sind." Geregelte Arbeitszeiten, mehr Freizeit, mehr Geld, mehr Anerkennung - das sind Aspekte, die für Wechsler vielfach ausschlaggebend für ihre Entscheidung sind.
In welche Berufe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Pandemie besonders abgewandert sind, konnte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung noch nicht im Detail auswerten. Die Arbeitsmarktforscher gehen aber davon aus, dass viele in den boomenden Branchen Logistik und Einzelhandel gelandet sind - und jetzt nicht sofort zurückkommen. Sie profitierten dabei von einer fundamentalen Veränderung der Beschäftigungsstrukturen, hat Sozialforscher Sell beobachtet: "Der Arbeitskräftemangel ist auch eine Chance für die Arbeitnehmer, ihre Verhandlungsbedingungen verbessern sich, sie können bessere Bedingungen durchsetzen, die in der Vergangenheit noch nicht einmal gefordert werden konnten."