60 Jahre Panorama: Noch lange nicht genug
Seit 60 Jahren berichtet Panorama investigativ, unbequem, unabhängig - und mit nur einem Ziel: Den Blick der Zuschauer zu erweitern. Wir schauen zurück - und nach vorn.
Panorama wird 60. Eigentlich ein Alter, in dem man sich zurücklehnt, zufrieden auf das Geleistete blickt und langsam an den Ruhestand denkt. Eigentlich. Doch daraus wird nichts. Denn das "Geburtstagsständchen" aus bestimmten Kreisen kommt laut und wütend daher: "Lügenpresse", "Propaganda", "Staatsfunk"!
Nie wieder Staatsfunk - Alliierte gründen Öffentlich-Rechtliche
Immer öfter, immer lauter schallen uns diese Begriffe entgegen. Dabei sind Hitlers Staatsfunk, Goebbels Propaganda und gleichgeschaltete Medien der Nazizeit der Grund, warum es die Öffentlich-Rechtlichen, warum es Panorama überhaupt gibt.
Als die West-Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten, in Deutschland Demokratie und Menschenwürde zu verankern, teilten sie dem Rundfunk dabei eine zentrale Rolle zu. "Nie wieder Staatsfunk", lautete die Devise. Nie wieder sollten Regierungen über den Rundfunk bestimmen dürfen. Gegen den erbitterten Widerstand nicht weniger deutscher Politiker gründeten die West-Alliierten in ihren Besatzungszonen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, staatsfern und unabhängig, über einen Beitrag von allen für alle finanziert. Und den Werten der Demokratie, Toleranz und des Friedens verpflichtet. Noch heute schreibt der NDR-Staatsvertrag vor, in den Programmen "die Würde des Menschen zu achten", "Freiheit zu stärken", "sich für Natur und Umwelt einzusetzen", "für Minderheitenschutz einzutreten" und "die Gleichstellung von Frau und Mann zu unterstützen".
Kritischer Journalismus für Nachkriegsdeutschland
Eine große Aufgabe für die deutsche Nachkriegsgesellschaft und den neu gegründeten Rundfunk. Und in der Tat war kritischer Journalismus in den ersten Jahren noch rar - bis 1961 Panorama auf Sendung ging. Und vor allem den Auftrag "Nie wieder!" sehr ernst nahm: Bis heute schaut Panorama genau hin, wenn sie auftauchen, Altnazis und Neonazis, Rechtsextreme und Neue Rechte. Doch nicht nur das. Auf einmal erdreistete sich eine Redaktion, nicht nur die Regierung zu kritisieren (wie den Tätigkeitsbericht 1963), sondern wagte es, gesellschaftliche Tabus zu brechen. Schon ein Jahr nach der Gründung diskutierte Panorama eine Stunde lang über das Thema "Familienplanung und Verhütung". Einige Jahre später zeigte Panorama einen Schwangerschaftsabbruch. Kirchen und konservative Politiker waren entsetzt.
Als Panorama dann auch noch über die Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Brokdorf berichtete, war es für einige zu viel. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg (CDU) schimpfte: "Wir stellen in der Wirklichkeit des NDR fest, dass es insbesondere in politisch meinungsbildenden Sendungen, etwa im Fernsehen, doch eine Einseitigkeit in der Grundtendenz gibt, die Überbetonung sogenannter linker gesellschaftskritischer Positionen." Dass Politiker sich über Panorama-Berichterstattung ärgerten, ist das eine. Doch Stoltenberg ging einen Schritt weiter. Er kündigte 1978 den Staatsvertrag und entzog dem NDR damit die rechtliche Grundlage. Erst nach jahrelangem Streit stoppte das Bundesverwaltungsgericht dieses Vorhaben. Dieser unabhängige, staatsferne Rundfunk - er musste über die Jahre immer wieder neu erkämpft werden.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Beschuss
Kritik an Panorama ist so alt wie Panorama selbst. Schon immer gab es genervte Politiker, empörte Zeitungsartikel und verärgerte Zuschauer: "Wir können diese Sendung nicht mehr sehen, sie kotzt uns an!", schrieb ein Zuschauer in den 60ern. Auch damals schon war der Ton mitunter rau. Doch seit 2014 hat sich etwas verändert: Journalistinnen und Journalisten werden angefeindet, angegriffen und an ihrer Arbeit gehindert. Begriffe wie "Lügenpresse" und "Staatsfunk" erleben Jahrzehnte nach dem Nationalsozialismus ein Comeback. Und mit ihnen eine Erzählung, die die Legitimation und Glaubwürdigkeit von Journalismus im Allgemeinen und von öffentlich-rechtlichen Sendungen wie Panorama im Besonderen untergräbt. Als parlamentarischer Arm der Neuen Rechten nährt die AfD diese Narrative nicht nur, sie fordert im Wahlprogramm auch die Kündigung der Rundfunkstaatsverträge und die Abschaffung des Rundfunkbeitrags - de facto damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, macht im Panorama-Interview keinen Hehl daraus, dass es auch die Inhalte sind, die ihn stören: "Dass man dann nicht sehr viel Interesse an einer ausgiebigen Finanzierung dieses Systems hat, ist doch völlig klar."
Die demokratischen Parteien scheuen seit den 70ern solch offensichtliche Versuche, in die Rundfunkfreiheit einzugreifen. Doch auch hier scheint sich etwas zu verschieben. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nennt es im Interview mit einem rechten Publizisten ein "wichtiges Ziel, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk in seiner jetzigen Form abzuschaffen." Er halte das für einen "guten Schritt für diese Demokratie." Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er ab Herbst für die CDU im Bundestag sitzen wird.
CDU in Sachsen-Anhalt verhindert Beitragsanpassung
Und auch in Sachsen-Anhalt finden sich irritierende Stimmen. Etwa die von Sven Schulze, heute Vorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt. Nach einem öffentlich-rechtlichen Satire-Video, das ihm offensichtlich nicht gefiel, twitterte er im August 2020: "Dieses Video, finanziert mit Gebührengeldern von ARD & ZDF, ist ein Schlag ins Gesicht aller Polizisten in Deutschland. Nicht nur deshalb ist es richtig, dass die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht kommen wird. Die CDU in Sachsen-Anhalt wird das verhindern."
Das hat sie getan. Nachdem 15 Bundesländer der Erhöhung zugestimmt haben - und damit der Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) gefolgt sind - hat sich Sachsen-Anhalt als einziges Land über diese Empfehlung hinweggesetzt und damit deutschlandweit die Anpassung der Beiträge verhindert.
"Im Zentrum des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks"
Es ist eine Minderheit, die an den Grundpfeilern der Rundfunkfreiheit sägt. Eine lautstarke - aber eine Minderheit. Wenn man quer durch die Parteien im Bundestag fragt, dann klingt das gleich ganz anders: "Panorama ist mitten im Zentrum des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also insofern kann von Staatsfunk keine Rede sein", sagt Alexander Graf Lambsdorff (FDP). "Im Gegenteil. Es gibt eine ganze Reihe von staatlichen Stellen, die sich wahrscheinlich wünschen würden, Panorama würde nicht senden, weil es ja das eine oder andere dann doch aufdeckt." Natürlich ärgert sich auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gelegentlich über die Berichterstattung, auch von Panorama: "Dann denke ich mir 'Mein Gott, wieso wird das in diesem oder jenem Zusammenhang dargestellt?'" Aber, betont er, es sei richtig, "dass man kritisch hinschaut. Und im tiefsten Herzen ist jeder Demokrat dankbar, dass es Berichterstattung gibt als Kontrolle von Politik und Gesellschaft." So sieht es auch Cem Özdemir von den Grünen: "Panorama verteilt die Prügel halbwegs gleichmäßig. Das Schöne ist, das dürfen Sie bei uns."
60 Jahre gibt es Panorama. Das Magazin ist sich treu geblieben. 1947 wurde es in den Grundsätzen so formuliert: Der Rundfunk sollte in freier, offener und furchtloser Weise dem ganzen Volk dienen. Das hat das Team von Panorama verinnerlicht. Es berichtet nur mit einem Ziel: Den Blick der Zuschauer erweitern. Panorama eben.