60 Jahre Panorama - Schon wieder unbequem
"Die Demokratie braucht ein Bollwerk gegen 'Fake News' und Populismus" - Redaktionsleiter Volker Steinhoffs persönlicher Blick zurück auf die Geschichte von Panorama.
Am 4. Juni 1961 lief die erste Ausgabe Panorama. Damals war kritischer TV-Journalismus etwas Neues in Deutschland, das Fernsehen bestand ansonsten aus unterhaltsamen Tanzsendungen, seichten Heimatfilmen oder alkoholgeschwängerten Diskussionen in Werner Höfers internationalem Frühschoppen.
"Nun wollen wir uns noch ein wenig mit der Bundesregierung anlegen" - mit diesen Worten kündigte Gert von Paczensky im Jahr 1963 einen Panorama-Beitrag an. Heute, 60 Jahre danach, ist dieser Journalismus gefragter denn je. In der aktuellen Diskussion über die Öffentlich-Rechtlichen ist kritischer Journalismus zum wichtigsten Existenzgrund geworden. Die Demokratie braucht ein Bollwerk gegen "Fake News" und Populismus.
Anja Reschke: Engagiert und kritisch
Daraus hat sich nun eine paradoxe Situation ergeben: während sich Panorama auch heutzutage mit regierenden Politikern anlegt, die davon oft mittelschwer genervt sind, etwa Olaf Scholz, Markus Söder oder Jens Spahn, beschimpft der rechte Rand Panorama als eine Art Regierungsfernsehen - "Reschke-TV", wie es Alexander Gauland nennt. Auch wenn Gauland die Regierung mit der Verfassung verwechselt und sich damit als Verfassungsfeind zu erkennen gibt: tatsächlich steht Anja Reschke klar für die Werte unserer Verfassung, insbesondere für die Menschenrechte. Was übrigens auch unser Auftrag laut § 3 Rundfunkstaatsvertrag ist. Diese Haltung ist Rechtsradikalen ein Dorn im Auge, umgekehrt gehört sie untrennbar zur Marke Panorama. Wie auch Anja Reschke, die die Sendung seit 2001 moderiert - also nunmehr seit 20 Jahren!
Kein Politikmagazin in Deutschland gibt es schon so lange, keines hat eine so bekannte Moderatorin. Im Meer von Social Media und Häppchen-News weiß das Publikum dies durchaus zu schätzen. Die Einschaltquoten von Panorama und den anderen ARD Magazinen sind im linearen TV stabil, online hat Panorama neues Publikum hinzu gewonnen, sowohl mit klassischen Inhalten (etwa über Social Media) als auch mit seinem jungen Ableger "STRG_F", einem Format aus der funk-Familie.
Druck auf Redaktionsleiter und den NDR
Zwar stehen Panorama und die Öffentlich-Rechtlichen im allgemeinen zur Zeit schwer unter lautem Beschuss, etwa von Teilen der CDU Sachsen-Anhalts, doch die positive Resonanz einer stillen Mehrheit wird dabei leicht übersehen. Und die Tatsache, dass auch dieser "Beschuss" für Panorama nichts Neues ist. "Es waltet ein Unstern über der Sendung Panorama", sagte schon Franz Josef Strauß in den 60er Jahren. Und reihte sich damit ein in viele Versuche von Politikern, die Sendung und ihre Redakteure kleinzukriegen. Mehrere Redaktionsleiter von Panorama mussten ihre Plätze auf politischen Druck, meist des konservativen Lagers, räumen. Nach der Panorama-Berichterstattung über die Spiegel-Affäre 1962 musste ein Redaktionsleiter (Gert von Paczensky) gehen, weitere Panorama-Berichte über AKW-Proteste waren sogar Auslöser für die teilweise Zerschlagung des NDR im Jahr 1980 durch Ministerpräsidenten der Union.
"Journalismus heißt, seine Grenzen zu kennen und offen zu legen"
Die Sendung und die Haltung der Sendung blieben trotzdem bestehen. Allzu leicht vergisst man im Sturm der Vorwürfe von politischer Einseitigkeit oder Tendenziösität, die Panorama und die politischen Magazine seit Bestehen begleiten, dass dies meist von einer lautstarken Minderheit kommt.
Kein Grund also zur Selbstkritik?
Doch, natürlich! Jahrelang übernahmen die ARD-Politikmagazine den Titel "Meinungsmagazin" unkritisch, geradezu stolz. Dabei muss es gerade für sie um Journalismus gehen, nicht um bloße "Meinung". Aber Journalismus heißt auch, seine Grenzen zu kennen und offen zu legen. Die jahrelange Anmaßung, "objektive Fakten" zu verbreiten (also quasi die Wahrheit), müssen die Öffentlich-Rechtlichen aufgeben: wir ringen um die größtmögliche ANNÄHERUNG daran. Denn jeder Mensch, auch jeder Journalist, hat eine subjektive Position ("Haltung"), von der aus er/sie die Realität betrachtet. Diese müssen wir transparent machen und mit Spielregeln begrenzen, statt sie pseudo-neutral zu kaschieren.
Genau diese Haltung ist die offensichtlichste Positionierung, die wir haben. Warum zum Beispiel werden auf Querdenker-Demonstrationen die Konterfeis von Anja Reschke, Claus Kleber, Dunya Hayali oder Georg Restle in Sträflingskleidung herumgetragen?
Die westlichen Demokratien sind eine Art Monopol auf den richtigen Weg in der Geschichte gewohnt. Nun stehen sie unter Beschuss. Der Begriff der "wehrhaften Demokratie" hat ungeahnte Aktualität gewonnen. Und Magazine wie Panorama ebenso!