Der neue Söder: Ganz der alte?
Markus Söder ist so beliebt wie noch nie. Dabei galt er lange als Scharfmacher und Selbstdarsteller. Hat sich der CSU-Chef wirklich so sehr gewandelt, wie es viele glauben?
Sogar die Bundeskanzlerin ist seit diesem Jahr Söder-Fan. Sie fuhr mit Söder Raddampfer, winkte aus dem Pferdewagen, spazierte an seiner Seite ins Schloss Herrenchiemsee. "Dass eine Kanzlerin, die in allen Umfragen das allererste Ansehen hat, in die Mikrofone sagt: Bayern hat einen guten Ministerpräsidenten - das ist etwas, wo ich verstehen kann, dass ihm das gefallen hat", sagt Günther Beckstein, ehemaliger bayerischen Ministerpräsident und einer von Söders frühen Förderern. Auch er lobt den CSU-Chef als "Landesvater", der seine Aufgabe "perfekt" erfülle.
Früher wollte sich hingegen kaum jemand mit Markus Söder schmücken. Er galt als Scharfmacher, als eitler Selbstdarsteller, ein Polterer, immer auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Der junge Söder forderte ein Ausgehverbot für Kinder, die Rettung des Sandmännchens oder das Absingen der Nationalhymne in deutschen Klassenzimmern. Er stritt sich laut in Fernsehtalkshows und führte verbissene Hahnenkämpfe mit politischen Gegnern und Parteifreunden. Ganz anders heute: 2020 gibt sich Söder als staatsmännische Vaterfigur, die sich kümmert und die Krise im Griff hat. Selbst die Testpanne in bayerischen Testzentren nehmen die Leute ihm nicht übel: Er bleibt in den Umfragen ganz oben. Längst wird er als Kanzlerkandidat gehandelt.
Nicht die erste "Wandlung"
Helmut Schleich ist politischer Kabarettist, den Mächtigen in Bayern auf die Finger zu schauen ist sein Job. Sein liebstes Analyseobjekt: Markus Söder. "Er hat immer genau das gemacht, was ihm opportun erschien zum jeweiligen Zeitpunkt", so Schleich. Er sei "das Gefäß, in das jeder beliebige Inhalt eingefüllt werden kann. Und der wird dann einfach in diesem Gefäß transportiert und verkauft - aber dem Gefäß selbst ist es relativ wurscht, was da drin ist."
So ganz anders scheint auch Markus Söder das nicht zu sehen. Das zeigt ein Blick ins Fernseharchiv. In einem NDR Interview sagte Söder: "Der Politiker braucht den Instinkt und das Gespür dafür: Was ist jetzt wichtig? Was ist interessant? Und was bewegt die Menschen? Da muss er eine Lösung dafür haben." Das war 2007. Und tatsächlich: Es ist nicht die erste vermeintliche Wandlung in Söders Karriere. Auch inhaltlich gab er sich schon immer flexibel.
Hardliner in der Flüchtlingsdebatte
Etwa beim Thema Asyl und Flüchtlinge. Vor zwei Jahren - im bayerischen Landtagswahlkampf - inszenierte er sich noch als Hardliner. Er forderte die sofortige Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, erfand das Wort "Asyltourismus" und gerierte sich als Verteidiger des christlichen Abendlands, indem er Kruzifixe in bayerische Amtsstuben hängte. Das nahmen ihm auch treue CSU-Wähler übel: Söder verlor die absolute Mehrheit in Bayern - und viele Stimmen an die Grünen. "Das war sicher auch ein Grund dafür, warum Markus Söder seinen Kurs nach der Wahl noch mal überprüft hat", sagt Günther Beckstein. Erst jetzt, nachdem die Hardliner-Strategie gescheitert ist, gibt Söder sich geläutert. Er will den Begriff "Asyltourismus" nicht mehr verwenden und poltert nun gegen die AfD, als wäre das immer schon sein Herzensanliegen.
"Was ist das für Politikverständnis, wenn man sagt: Na, wenn sie so wollen, mache ich so, und wenn sie es so wollen, dann mache ich so?", sagt der Kabarettist Schleich. "Und am Schluss, im schlimmsten Fall, wenn dann alles in Scherben liegt, dann kann der Dienstleistungs-Politiker sagen: Ja und? Die Leute wollten es ja so. Ich kann nichts dafür. Und deswegen ist mir das nicht geheuer."
Bienenretten gegen den Klimawandel
Und noch ein Thema bewegt die Deutschen: der Klimawandel. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung fordern derzeit mehr Klima-Maßnahmen - darunter sogar CSU-Wähler. Also entdeckt Markus Söder seine grüne Ader: Er will nun Plastikmüll bekämpfen, Bienen retten und mindestens 30 Millionen Bäume pflanzen. "Das sind Maßnahmen, die das große Thema Klimawandel runterbrechen auf die Ebene der einfachen Leute", sagt Kabarettist Schleich. "Die sagen dann: Gut, dann nehme ich halt keinen Plastik-Strohhalm mehr, dann habe ich meine Schuldigkeit in Sachen Klimawandel getan."
Auch die Politikwissenschaftlerin Prof. Ursula Münch sieht wenig wirklich einschneidende Klimaforderungen: "Klüger wäre es natürlich, eine konsequente Klimapolitik zu machen und dazu zum Beispiel auch das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium einzuspannen. Da sehe ich ein sehr langsames Umsteuern von Söder und der CSU."
Eine Frauenquote für die CSU
Seine politische Karriere hat Markus Söder Männer-Netzwerken in der CSU zu verdanken: Franz Josef Strauß war sein Vorbild, Günther Beckstein sein Förderer, Edmund Stoiber sein Mentor. Doch nun hat Söder erkannt: Frauen sind auch wichtig. Der CSU laufen die Wählerinnen weg. Also forderte er auf dem Parteitag 2019 eine Frauenquote - gegen den Willen seiner eigenen Partei. Die Hälfte der Ministerposten in seinem Kabinett hat er tatsächlich mit Frauen besetzt.
"Tatsächlich ist die Frauen-Quote manchmal auch so ein Strategie-Instrument", sagt Prof. Ursula Münch. "Aber egal, ob Söder es mit tiefer Überzeugung macht, weil er wirklich ein Frauen-Kämpfer ist, oder ob er’s notgedrungen macht: Er macht es wenigstens. Und das unterscheidet ihn von anderen Herren in christlich-konservativen Parteien."
Markus Söder hat also mal wieder den Zeitgeist erkannt und sich angepasst. Das ist kein "neuer" Söder - sondern eigentlich ganz der alte.