Clemens Tönnies und Sigmar Gabriel © Ina Fassbender Foto: Ina Fassbender

Sozialdemokrat Gabriel beriet Fleischmogul Tönnies

Stand: 02.07.2020 07:33 Uhr

Der frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist von Deutschlands größtem Fleischproduzenten Tönnies als Berater bezahlt worden. Dies belegen Dokumente, die Panorama vorliegen.

von Robert Bongen, Lea Busch, Oliver Schröm

Sigmar Gabriel wurde von Deutschlands größtem Fleischproduzenten Tönnies als Berater bezahlt. Dies belegen Dokumente, die dem ARD-Fernsehmagazin Panorama vorliegen. Demnach ist der ehemalige Bundeswirtschaftsminister von März 2020 bis mindestens Ende Mai 2020 für den Konzern tätig gewesen. Gabriel erhielt bislang offenbar ein Pauschalhonorar von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Die Tätigkeit sollte auf zwei Jahre angelegt sein.

VIDEO: Gekauft: Sozialdemokrat Gabriel beriet Fleischmogul Tönnies (11 Min)

Gabriel: Ab dem 1. März 2020 für Tönnies tätig

Auf Anfrage von Panorama teilte Sigmar Gabriel mit, dass seine privatwirtschaftlichen Tätigkeiten keiner Veröffentlichungspflicht unterlägen. Er habe bei Auskünften an Medien immer auch Interessen Dritter zu wahren. Trotzdem bestätigte er, dass er ab dem 1. März 2020 für Tönnies tätig gewesen sei. Er habe das Unternehmen im Rahmen von drohenden Exportproblemen im Zusammenhang mit der afrikanischen Schweinepest beraten. Seine Arbeit sei aber mittlerweile beendet: "Diese Tätigkeit musste ich aufgrund einer schwierigen Erkrankung und einer dadurch für mich notwendig gewordenen komplizierten Operation zum 31. Mai 2020 beenden. Für mich war zum damaligen Zeitpunkt nicht klar, ob und ggf. wann ich meine beruflichen Tätigkeiten wieder aufnehmen kann." Dies erweckt den Eindruck, dass sein Vertragsverhältnis nun endgültig beendet sei.

Gabriel betonte, dass er die Panorama-Anfrage beantworte "aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses im vorliegenden Fall und auch aufgrund der Tatsache, dass weder ich noch meine Geschäftspartner die frühere Beratungstätigkeit für die Firma Tönnies als problematisch ansehen."

Tönnies: Persönlich um die Personalie gekümmert

Firmenchef Clemens Tönnies hatte sich nach Panorama-Recherchen persönlich um die Personalie gekümmert. Panorama liegt eine Präsentations-Folie aus der Sitzung des Konzern-Beirats vom 26. Februar 2020 vor. Darin heißt es: "Es ist Clemens Tönnies gelungen, Herrn Sigmar Gabriel als Berater zu verpflichten. Er wird seine weiten Kontakte für die Tönnies Gruppe zur Verfügung stellen und aktiv Projekte begleiten." Dabei geht es dem Dokument zufolge insbesondere um den chinesischen Markt. Gabriel solle neue Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn nach China eruieren und die Verhandlungen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium sowie China im Falle eines Ausbruchs der "Afrikanischen Schweinepest" führen.

Die Personalie Sigmar Gabriel beim Unternehmensbeirat des Fleischproduzenten Tönnies © NDR/ARD Foto: Screenshot
Die Personalie Sigmar Gabriel war beim Fleischkonzern Tönnies Chefsache.

Darüber hinaus gehe es auch um "Kommunikationsberatung in vom Auftraggeber ausgewählten Fällen". Eine Zielvereinbarung gibt es offenbar nicht. So heißt es in dem internen Papier: "Gegenstand des dem Auftragnehmer erteilten Auftrags ist die vereinbarte Leistung, nicht ein bestimmter Erfolg".

Die Tönnies Holding bestätigte gegenüber Panorama die Verpflichtung von Sigmar Gabriel: "Wir können bestätigen, dass Herr Gabriel das Unternehmen Tönnies in Fragen des internationalen Exports für einen begrenzten Zeitraum in diesem Frühjahr beraten hat." Dieses Beratungsmandat sei abgeschlossen.

Welle von Corona-Infektionen beim Fleischkonzern Tönnies

Der Fleischkonzern Tönnies steht nach einer Welle von Corona-Infektionen unter überwiegend osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmern am Standort Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh in der Kritik. 

Fleischkonzern Tönnies © NDR/ARD Foto: Screenshot
Noch 2018 war nach eigenen Angaben die Hälfte aller Beschäftigten bei Tönnies über Subunternehmen tätig.

Anfang 2015 hatte Sigmar Gabriel - noch als Bundeswirtschaftsminister - das System der Ausbeutung in der deutschen Fleischindustrie als "Schande für Deutschland" bezeichnet. Es ging vor allem um die oft desolaten Arbeits- und Wohnbedingen der osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer. Daraufhin besuchte Gabriel das Tönnies-Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück und wurde von Firmenchef Clemens Tönnies persönlich durch die Produktion geführt. In der Folge einigten sich die sechs größten deutschen Fleischkonzerne unter Federführung von Gabriel und Tönnies auf eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Einhaltung sozialer Standards in der Fleischwirtschaft. Demnach sollten künftig auch alle Werkvertragsarbeitnehmer nach deutschem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht beschäftigt sein, die Zahl der Werkverträge reduziert sowie in die Unterkünfte investiert werden.

Die Initiative blieb weitgehend wirkungslos. Allein beim Tönnies-Konzern war 2018 nach eigenen Angaben die Hälfte aller Beschäftigten noch über Subunternehmen tätig. Auch die Wohnsituation der Werkvertragsarbeitsnehmer hat sich offenbar nur unwesentlich verbessert.

Kein Verstoß gegen Karenzzeit-Regelung

Sigmar Gabriel ist seit November 2019 nicht mehr im Bundestag. Er war von 2013 bis 2017 Bundesminister für Wirtschaft und Energie, bis März 2018 Bundesaußenminister.

Gegen die Karenzzeit-Regelung für den Wechsel von der Politik in die Wirtschaft hat er mit seiner Tätigkeit für Tönnies nicht verstoßen. Gabriel war bis März 2018 Minister und ist erst seit März 2020 Tönnies-Berater. Das Gesetz sieht für ehemalige Mitglieder der Bundesregierung eine Anzeigepflicht vor, wenn sie beabsichtigen, innerhalb von 18 Monaten nach Ausscheiden aus dem Amt einer Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes nachzugehen.

Weitere Informationen
Saskia Esken, SPD-Chefin © NDR/ARD Foto: Screenshot
1 Min

Esken: "Oder wo man lieber Abstand halten sollte"

"Die Grundwerte der SPD geben jedem aufrechten Sozialdemokraten Aufschluss, an wessen Seite man sich begibt" - SPD-Chefin Saskia Esken kritisiert die Tätigkeit des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel für den umstrittenen Fleischkonzern Tönnies. 1 Min

Sigmar Gabriel (SPD) am 12.05.2016 auf der Bundespressekonferenz © imago/Metodi Popow Foto: Metodi Popow
8 Min

Im Heimatort: Die andere Sicht auf Sigmar Gabriel

Hat Sigmar Gabriel das Zeug zum Bundeskanzler? Macht er einen guten Job in der Bundespolitik? Wir haben in Goslar, seiner Heimatstadt nachgefragt und mit Menschen aus seiner Umgebung gesprochen. 8 Min

Sigmar Gabriel
2 Min

Sigmar Gabriel: Mit allen Wassern gewaschen

"Gibt es nicht, gibt es doch, gibt es , aber..." Wenn es um das Prestigeobjekt Rente mit 63 geht, ist Sigmar Gabriel um keine ausweichende Erklärung verlegen. 2 Min

Heinz Hermann Thiele © NDR/ARD Foto: Screenshot

Corona: Hilfe für Milliardäre?

Heinz Hermann Thiele ist einer der zehn reichsten Deutschen. Ende März stieg er bei Lufthansa ein und ist nun der größte Einzelaktionär der Fluglinie. Spekuliert er auf staatliche Hilfen? mehr

Erntehelfer in der Coronakrise. © NDR/ARD

Die Ernte ist sicher - nur die Erntehelfer nicht

Eigentlich gelten für Erntehelfer in der Coronakrise strenge Regeln: zum Beispiel möglichst kleine Gruppen und keine Mehrbettzimmer. Doch die Vorgaben werden offenbar nicht immer eingehalten. mehr

Von der Coronakrise betroffene Selbstständige

Existenzen vernichtet: Die sozialen Opfer

Die Corona-Krise betrifft besonders Selbstständige, etwa Restaurantbesitzer, Einzelhändler und Kosmetiker. Deutschland droht eine große Pleitewelle. mehr

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). © NDR/ARD
8 Min

"Es gibt für den Markt Grenzen und Regeln"

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigt sich offen für neue Technologien. Aber nicht für Geschäftsmodelle, die auf reiner Ausbeutung beruhen. 8 Min

Gekauft: Sozialdemokrat Gabriel beriet Fleischmogul Tönnies

Der Panorama-Beitrag vom 2. Juli 2020 als PDF-Dokument zum Download. Download (109 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 02.07.2020 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Coronavirus

Es fehlt etwas?

Computertastatur © picture-alliance Foto: Christian Ohde

Kontakt zur Redaktion

Sie vermissen einen Beitrag oder ein Video ist nicht abspielbar? Schreiben Sie uns, wir kümmern uns darum. mehr

Weitere Informationen

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr