Arme Rentner, reiche Rentner: Warum werden alle beschenkt?
Der Tag von Rentnerin Karin Schulz beginnt um acht Uhr morgens. Mit ihrem Kleinwagen schlängelt sie sich durch den Hamburger Berufsverkehr. Auch als Rentnerin arbeitet sie noch: Für ein Hamburger Unternehmen liefert sie Essen an die Außenstellen aus, von Montag bis Freitag. Schulz hatte sich zwar immer vorgenommen, auch im Rentenalter noch zu arbeiten - aber nicht, weil sie musste, sondern weil sie wollte. Nun muss sie aber arbeiten, damit es am Ende des Monats reicht. 900 Euro erhält sie netto, das reicht gerade so zum Leben aus, erlaubt aber keine großen finanziellen Sprünge.
Wer profitiert von Rentenerhöhungen?
Man könnte glauben, dass sie sich über jede Rentenerhöhung freut. Doch das ist nicht unbedingt der Fall. Denn Karin Schulz stört, dass von Rentenreformen und Rentenerhöhungen immer alle Rentner profitieren und eben nicht genau die, die es bitter nötig haben. "Ich finde bis zu einer bestimmten Summe, dass es eher darum gehen müsste, die Kleinstrenten anteilig mehr zu erhöhen, als die, die relativ viel Rente kriegen." Ihr Eindruck ist nämlich, dass es der aktuellen Rentnergeneration finanziell gut geht. Einer Rentnergeneration, die ganz überwiegend noch von üppigen Betriebsrenten, Eigentum und Erbe profitiert.
Geschenke zu Lasten zukünftiger Generationen
Dennoch scheint bei allen Bundesregierungen der vergangenen Jahre die Überzeugung zu herrschen, dass man den Rentnern doch noch die ein oder andere Rentenerhöhung zukommen lassen müsse, etwa mit milliardenschweren Projekten wie Rente mit 63 oder der Mütterrente. Wirtschaftsforscher kritisieren: Die Bundesregierung verteilt Geschenke zu Lasten zukünftiger Generationen. "Mit Blick auf die Kinder und Enkelkindergeneration, also die künftigen Beitragszahler, ist die Mütterrente eher im Sinne eines Rentengeschenks zu verstehen gewesen. Das mag gerecht erscheinen, führt aber zu zusätzlichen Belastungen, die mit Blick nach vorne eher kontraproduktiv sind", sagt Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft.
Gerechtfertigt werden viele dieser Reformen immer wieder mit dem Schlagwort "Altersarmut". Doch stellt "Altersarmut" zurzeit ein Problem dar? Als arm gilt, wer Hilfe vom Staat erhält, etwa Sozialhilfe und Hartz IV, kurz Grundsicherung. Solche Unterstützung erhalten etwa neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei den Menschen über 65, also im Rentenalter, sind es gerade einmal drei Prozent. Dreimal weniger also als im Schnitt der Bevölkerung. "Für die Betroffenen ist das selbstverständlich ein gravierendes Problem, statistisch ist aber Altersarmut deutlich unterrepräsentiert im Vergleich zu Grundsicherungsquoten im Bevölkerungsdurchschnitt", so Wirtschaftsforscher Pimpertz.
Zielgerichetete Unterstützung statt Gießkannenprinzip
Und hier setzt auch Rentnerin Karin Schulz' Vorschlag an. Lieber wäre ihr, wenn die Politik ihre Milliarden weniger mit der Gießkanne an alle Rentner verteilen würde, sondern zielgerichtet nur an diejenigen, die jeden Euro bitter nötig haben. Nicht unbedingt ein populärer Vorschlag, denn er würde bedeuten, dass so mancher Rentner keine Erhöhung erhält. Rentnerin Schulz vermutet auch, dass ihre Idee nicht so richtig Widerhall finden wird, denn Wahlen gewinne man damit nicht.
Aber - und da sind sich viele Wirtschaftsforscher und Rentenexperten sicher - die Politik müsse ein Problem angehen, dass in den nächsten Jahrzehnten mit voller Wucht kommen wird. Denn die Zahl der Rentner wird zunehmen, sobald die Babyboomer-Generation in Rente geht, wohingegen die Beitragszahler nicht mehr werden. Genau die sind in der Falle, dass sie vermutlich mehr Beiträge zahlen , aber gleichzeitig auch für ihre eigene Rente zusätzlich vorsorgen müssen. Altersarmut dürfte für diese Generation tatsächlich ein großes Problem werden. Kurzfristige "Geschenke" an die jetzige Rentnergeneration sind aus Sicht vieler Experten da eher kontraproduktiv. Denn das Modell der unbefristeten Festanstellung verschwindet zunehmend. Aus diesem Grund schlägt Wirtschaftsforscher Pimpertz vor, viel mehr Geld in Qualifizierungsprogramme zu stecken. "Altersvorsorge gelingt am besten, wenn ich es schaffe, im Arbeitsmarkt integriert zu sein. Das ist die entscheidende Stellschraube: Wer arbeitet, zahlt automatisch in die Rentenkasse ein, und das wirkt armutspräventiv."
Altersarmut dürfte also ein Problem für zukünftige Generationen werden. Für diese Gruppe müsste die Politik die Weichen stellen und nicht für die weitgehend finanziell abgesicherte Rentnergeneration von heute.