Klimaalarm: Politiker immer stiller, Wissenschaftler immer schriller
"Wir werden das Problem nicht lösen. Im Normalbetrieb werden wir es nicht mehr lösen", sagt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Der 68-Jährige Professor für theoretische Physik ist nicht nur prominentes WBGU-Migglied. Er hat vor allem mehr als zwei Jahrzehnte das weltbekannte "Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung" geleitet.
Früher war "Friede, Freude, Eierkuchen"
Früher, in den Neunziger und Nuller Jahren, habe die Bundesregierung sich gern von ihm beraten lassen in der Klimapolitik. "Nach der Wiedervereinigung wollte man noch die Welt retten. Da war Friede, Freude, Eierkuchen", berichtet Schellnhuber. "Da hieß es: 'her mit den Empfehlungen und den Visionen'." Heute scheint die Harmonie verflogen. Die Entfremdung zwischen Wissenschaft und Politik ist vielmehr mit Händen zu greifen. "Krachend" werde die Bundesregierung ihre Ziele zur Verringerung von Treibhausgasemissionen verfehlen, kritisiert der Forscher. Gerade die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD hätten die Klimapolitik quasi aufgegeben. Das könne man letztlich nur psychologisch erklären: "Wenn ein Problem zu groß wird, dann ignoriere ich es", meint Schellnhuber in Bezug auf die Bundesregierung.
Für symptomatisch hält er die Argumentation, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) neulich auf europäischer Ebene zum Besten gab. Altmaier erklärte, wenn man die eigenen Klimaziele verpasse, wenn man es etwa nicht schaffe, "bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen", dann müsse man vielleicht die Konsequenz daraus ziehen, sich nicht mehr so ehrgeizige Ziele zu setzen. Altmaier versuche so, "das Scheitern noch als Realismus positiv aufzuladen", kommentiert Klimaforscher Schellnhuber. "Ich lobe mich noch selbst dafür, dass ich Realist bin und einsehe, dass die Ziele, die ich mir wohlbegründet gesetzt habe, mit meiner Politik nicht zu erreichen sind. Das noch als positiv zu verbuchen, ist natürlich schon eine humorvolle Interpretation der eigenen Politik." Deutschland verrate so seine frühere Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik.
Ökologische Situation sei dramatisch
Zu Beginn ihres neuen Papiers zeichnen die WBGU-Wissenschaftler ein dramatisches Bild von der ökologischen Situation des Planeten. Die Welt sei auf dem Weg zu einer Erhitzung um drei bis vier Grad. "Dann laufen wir Gefahr, die Kontrolle zu verlieren", warnt Schellnhuber. Für das Erreichen des in Paris erklärten Ziels, eine Erwärmung um mehr als zwei Grad unbedingt zu vermeiden, sei eine rasche und steile "Dekarbonisierung" der Weltwirtschaft notwendig. Wenn die nicht erfolge, müssten die Verursacher der Erderwärmung, die Industriestaaten, die Bewohner untergehender oder sonstwie unbewohnbar werdender Territorien als "Klimaflüchtlinge" aufnehmen und für die "Verluste und Schäden" aufkommen.
Arbeitsplätze, Zukunftsängste - die realpolitische Zwickmühle
Wird diese "Provokation" funktionieren und etwa die Bundesregierung zu einer energischen Klimapolitik bewegen? Die Analyse der Wissenschaftler trifft in Deutschland jedenfalls auf eine unerbittliche gesellschaftliche Realität. Im Aufwind ist eine Partei, die sowohl den menschengemachten Klimawandel abstreitet als auch gegen Flüchtlinge hetzt. "Wenn ich auf der Regierungsbank Platz nehme, dann habe ich 24 AfD-Abgeordnete vor mir, 24 von 87", sagt Reiner Haseloff (CDU) im Interview mit Panorama. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt macht eine andere Rechnung auf: zu weitreichende klimapolitische Forderungen gefährdeten die gesellschaftliche Stabilität, ja die Demokratie, weil die AfD dies für ihre Zwecke ausnutze. "Zum Mut eines Wissenschaftlers gehört es auch", so der promovierte Physiker Haseloff, "dass man nicht nur Studien schreibt, sondern dass man dann auch bereit ist, zu kandidieren und in die Verantwortung zu gehen, um dann zu sehen, wie es ist, so ein Studienergebnis in einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in einer Demokratie, umzusetzen."
Wie geht es weiter bei der Braunkohle?
Zur politischen Wirklichkeit von Sachsen-Anhalt gehört die Braunkohleindustrie. In den Tagebaugebieten ist die AfD besonders stark. Dort haben die Menschen Angst um ihre Arbeitsplätze, weil Deutschland aus klimapolitischen Gründen eigentlich zügig aus der Kohle aussteigen müsste. Haseloff, der auch Mitglied des CDU-Bundesvorstands ist, macht klar, dass er sich dagegen wehren wird. "Noch 30 Jahre" werde man Kohle abbauen und verstromen, so der Ministerpräsident. "Dafür werden wir kämpfen."
Klimaforscher Schellnhuber gehört der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission an, die seit Monaten über die Zukunft der Braunkohle diskutiert. Kein anderer Staat der Welt emittiert so viel Kohlendioxid durch Braunkohleverstromung wie Deutschland. Schellnhuber will das "AfD-Argument" nicht hinnehmen. Er hält es für vorgeschoben. Union und SPD wirft er vor, an einer "wohligen Stagnation" festzuhalten und die Realität des Klimawandels zu ignorieren. "Viele Bürger wollen doch mehr Klimaschutz", meint der Physikprofessor.
"Der heißeste Platz in der Hölle..."
Unter der Oberfläche der Tagespolitik schwelt ein bitterer Konflikt um die Ausrichtung Deutschlands in der Klimafrage. Während die Regierungsparteien "mehr politischen Realismus" wollen, verweisen Wissenschaftler und Umweltschützer auf die Tatsache des rasant fortschreitenden Klimawandels. Die WBGU-Vorsitzende Sabine Schlacke erblickt im Rechtsweg eine Chance, die Politik zu mehr Klimaschutz zu zwingen. Ähnlich wie die "Deutsche Umwelthilfe" durch Klagen wegen überschrittener Schadstoffgrenzwerte Fahrverbote in Städten erwirkt habe, könnten auch Klagen gegen Regierungen, die den Klimaschutz vernachlässigen, zum Erfolg führen. "Es ist nicht unsere Funktion, die Politik glücklich zu machen", meint die Juraprofessorin aus Münster. Ihr Mitstreiter Hans Joachim Schellnhuber gibt zu, dass er in diesem Konflikt "parteiisch" ist und beruft sich auf Dante: "Der heißeste Platz in der Hölle ist für diejenigen reserviert, die in Zeiten großer moralischer Krisen strikte Neutralität bewahren."
Die Wissenschaftler des WBGU sagen: Wenn die Klimapolitik scheitert und die Erde sich zu stark erhitzt, müssen die reichen Staaten, die das Problem verursacht haben, sich eben um die Geschädigten kümmern. Dieses Prinzip ist auch in das Abkommen von Paris eingeschrieben. Es beruht auf der Prämisse des Multilateralismus, also darauf, dass die Weltgemeinschaft auch künftig in dieser existenziellen Frage zusammenarbeiten wird.
"Nach-mir-die-Sintflut"-Mentalität
Hier könnten sich die Wissenschaftler täuschen. Die Abkehr der Vereinigten Staaten unter Donald Trump vom Pariser Klimaabkommen und die Wahl des Klimaleugners Jair Bolsonaro zum Präsidenten des Tropenstaates Brasilien deuten in eine andere Richtung. Wenn sich die Mentalität des "Nach-mir-die-Sintflut" international durchsetzt, wird sich niemand mehr um die Geschädigten kümmern. Dann werden wir uns wiederfinden in einer Welt des "Jeder-für-sich" und des "Rette-sich-wer-kann".
- Teil 1: Die Folgen des Klimawandels
- Teil 2: Entfremdung zwischen Wissenschaft und Politik