Stand: 19.03.2015 16:00 Uhr

Alltag Holocaust: KZ-Aufseherin erinnert sich

von Anne Ruprecht

Jetzt wird erneut gegen Hilde M. ermittelt. Fast zehn Jahre lang lag das Interview aus dem Jahr 2004 unbeachtet im Archiv der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Nun ist es Auslöser der aktuellen Ermittlungen. Die konzentrieren sich auf mögliche Straftaten auf einem Todesmarsch, den Hilde M. Anfang 1945 mit beaufsichtigte - eine Woche lang, vom KZ-Außenlager Grünberg in Schlesien bis nach Guben, das heute an der deutsch-polnischen Grenze liegt. Von diesem Marsch berichtet sie in dem Interview: "Bei den Bauern haben wir übernachtet,“ erzählt sie, „und dann haben wir uns Suppe gekocht und Kakao." Auf die Frage, ob auch die Häftlinge zu essen hatten, antwortet Hilde M. eilig: "Ja! Da wurde dann irgendwie gekocht, weiß nicht mehr wie, aber jeder hat sein Essen gehabt nachher."

Wer nicht weiter konnte, wurde erschossen

Lene Kessler
"Wenn die zweite Möglichkeit ist, dass Sie erschossen werden, dann laufen sie halt." Lene Kessler gelang noch die Flucht.

Lene Kessler war eine kurze Strecke mit Hilde M. gemeinsam auf diesem Marsch, bevor ihr die Flucht gelang. Nur schemenhaft erinnert sich die 93-Jährige an ihre damaligen Bewacher. Umso deutlicher an Kälte, Hunger - und an Erschöpfung: Wer nicht mehr weitergehen konnte, sei erschossen worden. Darum sei sie immer weitergegangen. "Wenn die zweite Möglichkeit ist, dass Sie erschossen werden, dann laufen Sie halt."

In der Erinnerung von Hilde M. gibt es keine Toten. Keine Leichen. Keine Erschießungen. Auf die Frage, ob sie jemals gesehen habe, wie Grünberger KZ-Häftlinge misshandelt worden seien: "Nee, eigentlich nicht. Das muss ich sagen, das waren so richtig brave Gefangene!" Und fügt hinzu: "Die wollten doch auch leben!"

Panorama hat der KZ-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch einige Interview-Ausschnitte von Hilde M. gezeigt. "Wie ist es möglich, dass man sieht und nichts gesehen hat?" fragt sie und sagt: "Sie hat das aus ihrem Bewusstsein herausgestrichen. Aber es ändert nichts an den Tatsachen."

Hilde M. reagierte weder auf Anrufe noch Interviewanfragen. Einem Reporter der Welt am Sonntag, der sie Ende Januar an der Haustür sprechen konnte, sagt sie damals: "Ich habe doch nichts gemacht, ich war nur in der Küche." Ob sie von den aktuellen Ermittlungen gegen sie wisse, wird sie gefragt. "Nein, aber die werden auch nichts finden."

Hilde M. reagierte weder auf Anrufe noch Interviewanfragen. Ob sich die Schuldfrage nach so vielen Jahren juristisch fassen lässt, ist fraglich. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an.

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Alltag Holocaust: eine KZ-Aufseherin erinnert sich

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Das Erste | Panorama | 19.03.2015 | 21:45 Uhr

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