Stand: 19.03.2015 16:00 Uhr

Alltag Holocaust: KZ-Aufseherin erinnert sich

von Anne Ruprecht

Doch das Grauen von Bergen-Belsen war für alle sichtbar. Im hoffnungslos überfüllten Lager werden die Menschen dahingerafft. Sie sterben an Hunger, Auszehrung, Seuchen. Allein zwischen Anfang März 1945, als Hilde M. ihren Dienst in Bergen-Belsen antritt, und der Befreiung sterben im KZ Bergen-Belsen über 28.000 Menschen. Bis Ende März wird darüber noch säuberlich Buch geführt: Es sind in diesem Monat durchschnittlich 675 Tote pro Tag.

Anita Lasker-Wallfisch
Das Grauen von Bergen-Belsen sei für alle im Lager sichtbar gewesen, erzählt Anita Lasker-Wallfisch. Sie hat das Konzentrationslager überlebt.

Anita Lasker-Wallfisch hat Bergen-Belsen überlebt. Die Cellistin erinnert sich, wie im März 1945 das Massensterben im Lager begann, an die erste Leiche in ihrem Block, die sie aus der Baracke tragen half, und die vielen Toten, die folgten: "Der Gestank! Das ist schwer zu beschreiben. Normalerweise sieht man keine Leichen. Nachdem sie gestorben sind, werden sie begraben. Dort sind sie liegengeblieben und sind verwest. Vor unseren Augen“ Am Ende verwesen im Lager zigtausende Leichen unter freiem Himmel. Noch im sieben Kilometer entfernten Bergen können Anwohner den Leichengestank riechen.

"Nein, wir wussten nichts"

"Haben Sie da Erinnerungen an den Geruch?", fragt die Interviewerin Hilde M. "Nee. Ich habe nichts gerochen", antwortet sie. "Nein, wir wussten nichts. Wir konnten uns nicht vorstellen, was da vor sich geht."

Hilde M.
Hilde M. erinnert sich nicht. "Nee. Ich habe nichts gerochen", antwortet sie. "Nein, wir wussten nichts. Wir konnten uns nicht vorstellen, was da vor sich geht."

Als im Herbst 1945 der erste Bergen-Belsen-Prozess in Lüneburg vor einem britischen Militärgericht beginnt, ist auch Hilde M. unter den Angeklagten. Eine ehemalige Lager-Insassin sagt gegen ihre ehemalige Aufseherin aus. Ihre Zeugenaussage wird im Prozess verlesen: "Sie stieß die Männer zu Boden und schlug ihnen auf die Hände mit einem dicken Stock, den sie immer bei sich trug. Sie trat mit ihren Stiefeln auf ihre Brust ein." Im Kreuzverhör streitet Hilde M. damals jegliche rohe Gewaltanwendung, Stockhiebe und Stiefeltritte ab. Lediglich "mit der Hand ins Gesicht" will sie Häftlinge geschlagen haben. "Weil sie gestohlen haben und ich sie nicht verjagen konnte", sagt sie, "darum musste ich sie schlagen."

2004, fast 60 Jahre später, erinnert sie sich auch daran nicht mehr. Wenn Häftlinge etwas Essen stehlen wollten, habe man „sie weggejagt, also wir jedenfalls, wir Frauen", erklärt sie. "Da habe ich gelesen, ich hätte einer eine Backpfeife gegeben. Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt sie und lächelt in die Kamera. Ein Jahr Haft, so lautete das Urteil 1945 für Hilde M. Nachdem sie ihre Strafe im Zuchthaus in Hamburg Fuhlsbüttel verbüßt hat, lässt sie ihre Vergangenheit hinter sich und beginnt ihr anderes, ihr neues Leben.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 19.03.2015 | 21:45 Uhr

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