Vorwurf gegen Tierschützer: Manipulierte Bilder verhökert?
Die FDP will Organisationen, deren Repräsentanten gegen geltende Strafgesetze verstoßen oder zu einem Rechtsbruch aufrufen, die Gemeinnützigkeit entziehen. Konkret soll härter gegen Tierschutzorganisationen vorgegangen werden, die heimlich aufgenommene Bilder von Missständen in Ställen veröffentlichen. Um dem Antrag Nachdruck zu verleihen, behauptete der agrarpolitische Sprecher der FDP, Gero Hocker, dass solche Aufnahmen "fast immer manipuliert" seien. In mehreren Zwischenrufen im Bundestag ergänzte er, das träfe "in 99 Prozent der Fälle" zu und solche Bilder seien "nicht die Realität". Der FDP-Antrag wurde inzwischen an den Finanzausschuss überwiesen.
Belege bleiben aus
Auf Nachfrage des ARD-faktenfinder erklärte sein Büro zunächst, die Tierschutzorganisation Peta habe Manipulationen an Filmaufnahmen eingestehen müssen. Erst auf Nachfrage wird klar, dass Hocker damit meint, einzelne Ausschnitte von Filmmaterial aus einem Zoo seien zusammengeschnitten und mit Musik präsentiert worden.
Das würde allerdings nicht belegen, dass "99 Prozent der Fälle manipuliert" seien. Das FDP-Büro teilte dazu mit, man beziehe sich generell auf die "Art der Präsentation: schnelle Schnitte, dramatische Musik". Außerdem seien Bilder aus der Krankenbucht - ein Stallabteil, in dem kranke Tiere getrennt von gesunden gehalten werden - eine gezielte Manipulation. Konkrete Zahlen und Quellen lieferte das Büro allerdings nicht.
In seiner Rede behauptete Hocker außerdem, dass solche Bilder aus Ställen an Fernsehsender "verhökert" würden. Gegenüber dem ARD-faktenfinder nannte er allerdings keine Beispiele von Tierschutzorganisationen, die Aufnahmen an Sender verkauft hätten. Stattdessen erklärte sein Büro, dass solche Bilder auf Seiten der Tierrechtler für ein "steigendes Spendenaufkommen" sorgten. Ob für die Bereitstellung des Bildmaterials Geld fließe, sei "nicht bekannt".
Straftat oder legitimer Vorgang?
Im Kern geht es bei der Debatte um die Frage, ob es legitim ist, wenn Tierschützer unerlaubt in Ställe eindringen, um mutmaßliche Missstände zu filmen. Befürworter wie die Tierschutzorganisation Peta oder der Verein "Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft" sind der Ansicht, dass vor allem durch solche Bilder Tierschutzprobleme an die Öffentlichkeit gelangten, weil die zuständigen Behörden ihrer Ansicht nach hier nicht entschlossen genug handeln. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und der Deutsche Bauernverband halten das illegale Eindringen in Ställe hingegen für eine Straftat, die konsequent geahndet werden müssten. Allein die Behörden seien dafür zuständig, Tierschutzprobleme zu verfolgen.
Der Deutsche Bauernverband fordert schon länger, heimliche Filmaufnahmen in Ställen zu unterbinden. "Stalleinbrüche" müssten vergleichbar mit Diebstählen bei Wohnungseinbrüchen konsequenter und schärfer strafrechtlich geahndet werden, fordert Generalsekretär Bernhard Krüsken. Es gehe dabei nicht darum, Missstände zu verbergen, sondern darum Bauernfamilien zu schützen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) schreibt, man wolle laut Koalitionsvertrag die "Problematik der zunehmenden Stalleinbrüche" prüfen.
Hausfriedensbruch, aber kein Einbruch
Juristisch handelt es sich beim illegalen Eindringen in Ställe gegebenenfalls um einen Hausfriedensbruch, nicht um einen Einbruch. Auf Nachfrage, warum Ministerin Klöckner dennoch von "Einbruch" spreche, erklärt das Agrarministerium, das Eindringen stelle einen "Tabubruch" dar, der in einem rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen keinen Platz habe. Der Begriff "Einbruch" gebe dieses "Empfinden" am treffendsten wieder, erklärt das BMEL.
Doch nehmen solche sogenannten Stalleinbrüche tatsächlich zu? Noch im Mai hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP geantwortet, ihr lägen keine Kenntnisse darüber vor, wie viele Fälle den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs nach §123 Strafgesetzbuch in den Jahren 2015, 2016 und 2017 erfüllt hätten. Auf Anfrage schrieb das Landwirtschaftsministerium nun jedoch von einer "Problematik der zunehmenden Stalleinbrüche". Auf Nachfrage nach Belegen für die Zunahme antwortet das Ministerium: "Das Thema der Stalleinbrüche hat in der jüngeren Vergangenenheit an Bedeutung zugenommen." Für Zahlen verweist sie unter anderem an die Behörden der Länder.
Neun Fälle in drei Jahren
In Niedersachsen werden besonders viele Nutztiere gehalten. Das zuständige Landeskriminalamt registrierte 2015 drei Fälle von Hausfriedensbrüchen in Ställen, die als politisch motivierte Straftaten in Zusammenhang mit Tierschutz dokumentiert wurden, 2016 einen Fall und 2017 fünf Fälle. Nach Ansicht der Polizei ist daraus auch aufgrund der niedrigen Fallzahlen keine eindeutige Entwicklung abzulesen. Im Agrarland Niedersachsen halten nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Hannover insgesamt rund 25.000 Betriebe Nutztiere.
Im Frühjahr sprach das Oberlandesgericht Naumburg Tierschützer, die heimlich in Ställen gefilmt hatten, vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs frei. Die Richter sahen es als gerechtfertigt an, dem Verdacht auf Tierschutzprobleme in einem Schweinestall nachzugehen und dort Verstöße gegen Haltungsvorschriften zu dokumentieren.
"Wachhund der Öffentlichkeit"
In einem anderen Fall hatte ein Zusammenschluss von mehreren landwirtschaftlichen Betrieben versucht, sich juristisch gegen die Verbreitung solcher Aufnahmen im Fernsehen zu wehren. Doch der Bundesgerichtshof stärkte Anfang April Journalisten den Rücken. Die Richter kamen zu der Überzeugung, dass Filmaufnahmen von Hühnern mit gerupftem Federkleid und von toten Tieren aus Bio-Ställen im ARD-Magazin FAKT gezeigt werden durften, obwohl die Aufnahmen rechtswidrig erstellt worden waren.
Es entspreche der Aufgabe der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Es überwiege das "Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit".