Sea-Watch: Rackete will sich Prozess stellen
Die Kapitänin der "Sea-Watch 3", Carola Rackete, will sich den Vorwürfen gegen sie und ihre Hilfsorganisation in Italien auch in einem Prozess stellen. Im ersten Fernsehinterview seit ihrer Freilassung erklärte sie gegenüber Panorama: "Für den Fall, den wir nicht erwarten, dass eine Anklage zustande kommt, werde ich mich der selbstverständlich stellen, weil ich dann spätestens beim Gerichtsverfahren mit einem Freispruch rechne."
Hoffnung auf "richtungsweisendes Urteil"
Die Kapitänin hofft auf eine grundsätzliche Klärung durch die italienische Justiz. Entsprechend habe sich auch schon die italienische Richterin in der ersten Anhörung am vergangenen Dienstag, 2. Juli, positioniert. Im Interview mit dem NDR sagte Rackete: "Ich erwarte mir ein richtungsweisendes Urteil, was wir im Prinzip auch schon am Dienstag bekommen haben, was ja auch ganz klar feststellt, dass die Sicherheit der Menschen, die wir gerettet haben, wichtiger ist als der Anspruch der Staaten auf ihre Territorialgewässer und dass damit im Prinzip die sicheren Häfen wieder frei werden."
Rackete verteidigte ihre Entscheidung, die 53 Flüchtlinge vor der libyschen Küste an Bord zu nehmen. Zwar habe die libysche Küstenwache den Rettungseinsatz koordiniert, die "Sea-Watch 3" habe sich aber am schnellsten zur Rettung entschlossen. Rackete wörtlich: "Tatsächlich hat die libysche Küstenwache die Koordinierung dieses Notfalls übernommen. Und das war per E-Mail. Und wir haben darauf geantwortet und gefragt, wann die Küstenwache ankommen würde. Und daraufhin haben wir interessanterweise erst eine Antwort erhalten, als wir an dem Notfall schon dran waren. Also ganz klar, in dem Moment, wo man weiß, dass es irgendwo einen Notfall gibt, hat man eine Pflicht, dort zu helfen. Wir sind also darauf hingefahren und waren einfach das erste Schiff, was angekommen ist."
"Libyen hat keine sicheren Häfen"
Auf Nachfrage, warum sie die Flüchtlinge nicht nach Libyen, Tunesien oder Marokko zurückgebracht habe, erklärte Rackete, diese Länder seien zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht geeignet. In Tunesien etwa gebe es kein Asylsystem. Am Abend sei ein Funkspruch der libyschen Küstenwache eingegangen mit der Aufforderung, die Flüchtlinge nach Tripolis zurückzubringen. Dazu sagte Rackete: "Das, ganz klar, können wir natürlich nicht annehmen, dazu gibt es viele Gerichtsurteile. Es verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, und auch die EU-Kommission hat ganz klar gesagt, dass Libyen, das ganze Land Libyen keine sicheren Häfen hat. Es handelt sich ja schließlich auch um ein Bürgerkriegsland."
Stattdessen bemühte sich Rackete um einen sicheren Hafen in anderen Ländern und schickte entsprechende Meldungen nach Malta, Frankreich, Italien und an die Niederlande, unter deren Flagge die "Sea-Watch 3" fährt. Nachdem keines der Länder eine Aufnahme in Aussicht gestellt hatte, habe sie im Interesse der Flüchtlinge auch gegen die Weisung der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa angelaufen. Rackete sagte dazu: "Ich war vor allem unglaublich frustriert, weil wir wirklich zwei Wochen lang versucht haben, diese Situation zu lösen, mit allen legalen und politischen Mitteln und wir einfach dort sitzen gelassen wurden, niemand uns geholfen hatte. Und es blieb uns letztlich keine andere Wahl. Nachdem wir diese Leute erst mühevoll gerettet hatten aus diesem Seenotfall, sie dann sicher waren, hat sich die Lage wieder so verändert, dass die Leute praktisch ein zweites Mal letztlich in Lebensgefahr waren. Und das wäre überhaupt niemals nötig gewesen, wenn die Behörden vorher auf unsere Anfragen reagiert hätten."
Morddrohungen gegen Rackete
Zum Vorwurf, sie habe beim unerlaubten Einfahren in den Hafen von Lampedusa auch die Gesundheit von Beamten auf einem italienischen Patrouillenboot gefährdet, sagte Rackete im Interview: "Die Situation war ein Unfall. Das ergibt sich auch ganz klar aus den Videoaufnahmen. Es gab natürlich zu keinem Zeitpunkt irgendeine Absicht zu dieser Kollision, die hat sich aus der Situation ergeben und aus dem Fall, dass dieses Boot der Guardia di Finanza sich uns aktiv in den Weg gestellt hat, uns aktiv praktisch in den Weg gefahren ist, als wir an dieser Pier anlegen wollten."
Carola Rackete betonte: "Ich denke, dass wir auf dieser Mission alles richtig gemacht haben. Am Ende ist es das Richtige, dass wir diese insgesamt 53 Personen gerettet und in einen sicheren Hafen gebracht haben."
Rackete gab das Interview an einem Ort in Italien; der Ort wird vertraulich behandelt. Sie werde derzeit regelmäßig bedroht, erklärte Rackete gegenüber Panorama, es gebe auch Morddrohungen. Rackete will nach Klärung der Vorwürfe auch an neuen Rettungsmissionen ihrer Organisation teilnehmen.