Stand: 02.08.2017 09:30 Uhr

Angeblicher Todeskapitän und Schlepper kommt frei

von Stefan Buchen

Ein ursprünglich zu 145 Jahren Haft verurteilter Syrer, der von der griechischen Justiz für den Tod von acht Kindern und drei Frauen verantwortlich gemacht worden war, kommt bald frei. Panorama hatte ausführlich über den tödlichen Fluchtversuch auf einem Fischkutter am 20. Januar 2014 berichtet.

VIDEO: Protokoll einer vermeidbaren Katastrophe (10 Min)

Elf Tote bei Havarie

Mehrheitlich afghanische und syrische Flüchtlinge hatten versucht, mit dem Boot vom türkischen Festland aus die griechischen Ägäisinseln zu erreichen. Der Kutter wurde von der griechischen Küstenwache aufgebracht und in Schlepptau genommen. Bei der Abschleppaktion sank das Flüchtlingsboot. Elf Menschen starben.

Panorama sprach damals unter anderem mit einem afghanischen Mann, der seine Frau und seinen Sohn verlor. Er und andere Überlebende bekräftigten, die Küstenwache habe den Kutter bei rauer See zurück in türkische Gewässer schleppen wollen. Dass "Push-Back-Aktionen" damals tatsächlich schon in der Ägäis stattfanden, ist vielfach belegt. Die griechische Justiz legte den Untergang des Kutters zunächst einem 21-jährigen Syrer zur Last. Er sei der Kapitän gewesen und habe die Havarie zu verantworten.

Berufungsgericht bestätigt Flüchtlingsversion

Das Urteil wurde nun in drastischer Weise von einem Berufungsgericht auf Rhodos korrigiert. Demnach sei die griechische Küstenwache für den Untergang des Kutters und damit den Tod der Flüchtlinge verantwortlich. Niemand auf dem abgeschleppten Flüchtlingsboot habe die Havarie verhindern können. Damit scheint die Berufungsinstanz Angaben zu bestätigen, die die Überlebenden nach dem Unglück gemacht hatten. Die Zeugen hatten geschildert, dass das Boot der Küstenwache, das zur EU-Grenzschutz-Operation "Poseidon Sea" gehörte, viel zu schnell gefahren sei.

Syrer wird demnächst aus Haft entlassen

Das Berufungsgericht reduzierte in dem nun rechtskräftigen Urteil die Strafe für den jungen Syrer auf 10 Jahre Haft. Grund ist nicht mehr der Tod der elf Flüchtlinge, sondern allein die Tatsache, dass er das Boot gesteuert habe. Damit bleibe er schuldig an der Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt. Der Verurteilte hatte stets betont, selbst ein Flüchtling zu sein. Nach der Strafprozessordnung wird er nun, nach Verbüßung von mehr als drei Jahren Haft, in die Freiheit entlassen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl und mehrere griechische Nichtregierungsorganisationen unterstützten den Kampf des jungen Syrers um Gerechtigkeit. Unklar ist, ob nach dem neuen Urteil die Besatzung des Küstenwachenbootes und ihre Vorgesetzten mit strafrechtlichen oder disziplinarischen Konsequenzen rechnen müssen.

 

Weitere Informationen
Mittelmeer und Horizont bei aufkommender Dunkelheit in der Ägäis. © ARD/NDR

Griechisches Gericht verurteilt Syrer zu 145 Jahren Haft

Nach einer tödlichen Abschleppaktion der griechischen Küstenwache wurde ein 21-jähriger Syrer wegen "Schlepperei" zu 145 Jahren Haft und 570.500 € Geldstrafe verurteilt. mehr

Der Flüchtling Sabur Azizi steht an einer Kaimauer. Seine Frau und seinen Sohn sind ertrunken. © ARD/NDR

Ertrunkene Flüchtlinge: Protokoll einer vermeidbaren Katastrophe

Regelmäßig erfahren wir, dass Flüchtlinge bei dem Versuch nach Europa zu gelangen ertrinken. Nun erheben Überlebende eines solchen Unglücks schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. mehr

Blue Sky M © Screenshot

Flüchtlingsschiff: Wie Frontex die Wahrheit verdreht

Ein schrottreifes Flüchtlingsschiff, das ohne Besatzung auf die italienische Küste zusteuert. Diese Meldung hat viele erschüttert. Doch Panorama-Recherchen zeigen: Tatsächlich war es anders. mehr

Stacheldrahtzaun an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. © dpa Foto: Ole Spata

Fluchthelfer: Gestern Helden, heute Kriminelle

Der Mauerfall jährt sich nun zum 25. Mal und lässt das Glücksgefühl gewonnener Freiheit noch einmal aufleben. Doch an den Außengrenzen des Kontinents hat Europa längst neue Sperranlagen errichtet. mehr

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.02.2014 | 21:45 Uhr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr