Flüchtlingsschiff: Wie Frontex die Wahrheit verdreht
Wer am dritten Januar die Zeitungen aufschlug, konnte sich einer Sache gewiss sein: die Menschenschlepper im Mittelmeer haben "eine neue Stufe der Grausamkeit" erreicht. Sie packen Hunderte Migranten auf schrottreife Frachtschiffe, steuern diese Richtung Italien, machen sich vor Erreichen der Küste von Bord und überlassen die Passagiere ihrem Schicksal. Schlepper sind im Grunde Mörder, führen sie doch mutwillig den Schiffbruch und möglichen Tod hunderter Menschen herbei. Wer zuvor daran noch zweifelte, war nun eines Besseren belehrt. Frontex, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union, hatte gesprochen.
"Ohne Einschränkung seetauglich"
Panorama hat den Fall des größten dieser "Geisterschiffe", die um die Jahreswende in Süditalien anlegten, recherchiert. Es handelt sich um die "Blue Sky M", die mehr als 750 überwiegend syrische Kriegsflüchtlinge nach Europa brachte. Das Ergebnis: die Geschichte war ganz anders als von Frontex dargestellt. Die Besatzung hat das Schiff nicht im Stich gelassen. Es bestand nie die Gefahr, dass die "Blue Sky M" gegen die italienische Küste prallt. Im übrigen war das Schiff ohne Einschränkungen seetauglich. Das bestätigt der ermittelnde italienische Staatsanwalt im apulischen Lecce.
Die Schiffsbesatzung also doch keine Mörderbande. Es lohnt sich, näher hinzusehen. Die Mannschaft bestand aus professionellen syrischen Seeleuten, die ihr berufliches Können genutzt haben, um sich und die Passagiere vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen.
Fragwürdiger Kampf gegen "illegale Migration"
Der Fall "Blue Sky M" zeigt, wie weit Europas Grenzschützer im propagandistischen Kampf gegen die "illegale Migration" gehen. Offensichtlich wollen sie die Verantwortung für den Tod vieler Füchtlinge von sich weisen, die Schuld den Schleusern zuschieben. Im Interview sagt Frontex-Sprecherin Ewa Moncure: "Die Informationen, die wir kurz nach dem Ereignis hatten, sind nicht dieselben, die wir sechs Wochen später haben. Sie nutzen jetzt die aktuellen Informationen." Eine Veranlassung, seine Informationspolitik zu überdenken und die Falschbehauptungen zu korrigieren, sieht Frontex nicht.