Sendedatum: 19.02.2015 21:45 Uhr

Flüchtlingsschiff: Wie Frontex die Wahrheit verdreht

von Stefan Buchen

Wer am dritten Januar die Zeitungen aufschlug, konnte sich einer Sache gewiss sein: die Menschenschlepper im Mittelmeer haben "eine neue Stufe der Grausamkeit" erreicht. Sie packen Hunderte Migranten auf schrottreife Frachtschiffe, steuern diese Richtung Italien, machen sich vor Erreichen der Küste von Bord und überlassen die Passagiere ihrem Schicksal. Schlepper sind im Grunde Mörder, führen sie doch mutwillig den Schiffbruch und möglichen Tod hunderter Menschen herbei. Wer zuvor daran noch zweifelte, war nun eines Besseren belehrt. Frontex, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union, hatte gesprochen.

VIDEO: Flüchtlingsschiff: Wie Frontex die Wahrheit verdreht (13 Min)

"Ohne Einschränkung seetauglich"

Panorama hat den Fall des größten dieser "Geisterschiffe", die um die Jahreswende in Süditalien anlegten, recherchiert. Es handelt sich um die "Blue Sky M", die mehr als 750 überwiegend syrische Kriegsflüchtlinge nach Europa brachte. Das Ergebnis: die Geschichte war ganz anders als von Frontex dargestellt. Die Besatzung hat das Schiff nicht im Stich gelassen. Es bestand nie die Gefahr, dass die "Blue Sky M" gegen die italienische Küste prallt. Im übrigen war das Schiff ohne Einschränkungen seetauglich. Das bestätigt der ermittelnde italienische Staatsanwalt im apulischen Lecce.

Die Schiffsbesatzung also doch keine Mörderbande. Es lohnt sich, näher hinzusehen. Die Mannschaft bestand aus professionellen syrischen Seeleuten, die ihr berufliches Können genutzt haben, um sich und die Passagiere vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen.

Fragwürdiger Kampf gegen "illegale Migration"

Der Fall "Blue Sky M" zeigt, wie weit Europas Grenzschützer im propagandistischen Kampf gegen die "illegale Migration" gehen. Offensichtlich wollen sie die Verantwortung für den Tod vieler Füchtlinge von sich weisen, die Schuld den Schleusern zuschieben. Im Interview sagt Frontex-Sprecherin Ewa Moncure: "Die Informationen, die wir kurz nach dem Ereignis hatten, sind nicht dieselben, die wir sechs Wochen später haben. Sie nutzen jetzt die aktuellen Informationen." Eine Veranlassung, seine Informationspolitik zu überdenken und die Falschbehauptungen zu korrigieren, sieht Frontex nicht.

 

Weitere Informationen
Stacheldrahtzaun an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. © dpa Foto: Ole Spata

Fluchthelfer: Gestern Helden, heute Kriminelle

Der Mauerfall jährt sich nun zum 25. Mal und lässt das Glücksgefühl gewonnener Freiheit noch einmal aufleben. Doch an den Außengrenzen des Kontinents hat Europa längst neue Sperranlagen errichtet. mehr

Der Flüchtling Sabur Azizi steht an einer Kaimauer. Seine Frau und seinen Sohn sind ertrunken. © ARD/NDR

Ertrunkene Flüchtlinge: Protokoll einer vermeidbaren Katastrophe

Regelmäßig erfahren wir, dass Flüchtlinge bei dem Versuch nach Europa zu gelangen ertrinken. Nun erheben Überlebende eines solchen Unglücks schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. mehr

Mohammad Darwish im Interview.

Syrischer Fluchthelfer kämpft gegen Verurteilung als "Schleuser"

Ein Syrer, der wegen "gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern“ zu 3 Jahren Haft verurteilt wurde, hat Revision beim Bundesgerichtshof beantragt. Panorama hatte über den "Schleuserprozess“ berichtet. mehr

Flüchtlingen eine Heimat geben © Screenshot

Flüchtlingen eine Heimat geben

Das Erste und "stern" wollen in Deutschland auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam machen, Bewusstsein schaffen für Menschen, die aufgrund von Krieg und Terror unfreiwillig zu Flüchtlingen werden. extern

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 19.02.2015 | 21:45 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?