Keine Gnade für Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge
Polizeioberkommissar Steffan L. kann zufrieden sein. Mehr als ein Jahr lang haben er und sein Team von der Bundespolizei gegen eine "Schleuserbande" ermittelt, die syrische Kriegsflüchtlinge ohne Papiere nach Deutschland geschmuggelt hat. Im Zuschauerraum des Saals 347a im Landgericht Essen verfolgt L. am 4. Dezember 2013 die vierte Verurteilung, zu der sein Ermittlungsverfahren geführt hat.
Diesmal trifft es den Syrer Mohammad Darwish. Er wurde wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und vier Monate Haft gefordert.
Gericht schließt sich Ermittlern an
Damit übernimmt das Gericht die Sicht der Strafverfolger, die Darwish als Verbrecher dargestellt hatten. Die Bundespolizei hatte ihn wegen "Einschleusen mit Todesfolge" angezeigt. In Vermerken hatte Steffan L. betont, dass Darwish "ganz oben in der Hierarchie der Schleuserorganisation" anzusiedeln sei. Die Staatsanwaltschaft Essen hatte Darwish wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern angeklagt.
Darwish hat niemandem geschadet
Entgegen der ursprünglichen Strafanzeige der Bundespolizei ist durch Darwish allerdings kein Mensch zu Schaden gekommen. Im Gegenteil: Er hat syrischen Flüchtlingen, die wegen des Krieges in der Heimat zu ihren Verwandten nach Deutschland wollten, auf dem Weg geholfen. Der vorsitzende Richter Jörg Schmitt ordnete die angeklagten Taten als "abstraktes Gefährdungsdelikt" ein und ging in seinem Urteil deshalb über das von der Anklage geforderte Strafmaß hinaus. Bei Schleusungen werde das Leben von Menschen gefährdet.
Als Beispiel nannte der Richter die Überquerung des türkisch-griechischen Grenzflusses Evros mit Schlauchbooten. Konkret benannte Schmitt das Bootsunglück in der Ägäis im September 2012, bei dem 62 Flüchtlinge ertranken. Der Verurteilte hatte allerdings den Ermittlungsakten und Zeugenaussagen zufolge weder mit der Überquerung des Evros-Flusses noch mit dem Bootsunglück etwas zu tun. In den vor dem Landgericht verhandelten Fällen gelangten die syrischen Flüchtlinge vielmehr sicher mit dem Flugzeug nach Deutschland.
Ein Helfer - kein "Schleuser"
Darwish lebte seit 2005 in Athen. Als der Krieg in Syrien 2011 eskalierte, strandete ein Teil der syrischen Flüchtlinge in Griechenland. Einige von ihnen wandten sich an Darwish um Hilfe. Dabei handelte es sich vor allem um Flüchtlinge, die aus derselben Region im Nordosten Syriens stammten wie der Verurteilte. Er mietete Wohnungen für die Flüchtlinge an, versorgte sie mit Lebensmitteln und Kleidung und begleitete sie sogar zum Arzt. Er stellte Kontakt zu Leuten her, die falsche Papiere und Flugtickets nach Deutschland besorgten.
Verwandte der Flüchtlinge, die in Deutschland leben, schickten Darwish Geld, zwischen 3000 und 4500 Euro pro Flüchtling. Das geht aus den Akten des Ermittlungsverfahrens "Cash" und aus den Zeugenaussagen hervor. Von dem Geld deckte Darwish die Unkosten. Er räumt ein, dass er die Absicht hatte, einen Teil der Bezahlung für sich zu behalten. Ob tatsächlich in jedem Fall ein "Gewinn" für ihn übrig blieb, ist hingegen zweifelhaft. Der Richter warf ihm in seiner Urteilsbegründung "betriebswirtschaftliches Denken" vor.
Flüchtlinge sind dem Verurteilten dankbar
Nach Recherchen von Panorama fühlen sich die Flüchtlinge, denen Darwish geholfen hat, nicht ausgebeutet. Vielmehr äußerten sie ihre Dankbarkeit und erklärten, dass die Bezahlung auf einer Abmachung beruhe. "“Er hat mir das Leben gerettet", sagte der 17-Jährige Hanan Sheikhmus gegenüber Panorama, der vor seiner drohenden Rekrutierung für den Krieg in Syrien zu seinem Onkel in Niedersachsen geflüchtet ist.
In dem Zeitraum, in dem Darwish syrischen Flüchtlingen half, gab es für sie keine legale Möglichkeit, zu Verwandten in Deutschland zu gelangen. Vielmehr reagierten Bundesregierung und Bundespolizei auf den Syrienkrieg mit einer zunehmenden Abriegelung der Grenzen. Steffan L. und seine Leute hatten laut Ermittlungsakten das Bestreben, die Flucht von Syrern zu Verwandten in Deutschland "durch das rechtzeitige Heranführen von Polizeikräften zu unterbinden."
Bundespolizei betrieb enormen Aufwand
Die Fahnder der Bundespolizei hatten ein halbes Jahr lang das griechische Mobiltelefon des Verurteilten abgehört. Am 29.01.2013 wurde Darwish in Athen festgenommen und an Deutschland ausgeliefert. Drei Bundespolizisten brachten Darwish in Handschellen auf der hintersten Sitzreihe einer Lufthansa-Maschine nach Deutschland. Für den Syrer war es das erste Mal, dass er deutschen Boden betrat.
Verteidigung will Revision einlegen
Seitdem sitzt er in der JVA Essen, in der er nun für lange Zeit bleiben muss. Darwish muss sich nämlich auf einen weiteren Prozess gefasst machen. Die Staatsanwaltschaft plant ein zweites Verfahren gegen ihn, in dem sie ihn wegen elf weiterer “Schleusungsfälle” anklagen will. "Ich habe Leuten aus meinem Heimatort geholfen", sagte Darwish in seinem Schlussstatement vor dem Landgericht. "Ich hätte mein Gesicht verloren, wenn ich mich geweigert hätte." Seine Verteidigerinnen wollen gegen das Urteil Revision einlegen.
Auch Taxifahrer wurden bereits verurteilt
Im September hatte das Gericht bereits zwei Taxifahrer aus Paris zu zwei Jahren und zehn Monaten bzw. zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Sie hatten syrische Flüchtlinge vom Flughafen Charles de Gaulle abgeholt und zu ihren Verwandten nach Deutschland gefahren. Ein weiterer Fahrer wurde zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, weil er Syrer von Italien nach Deutschland gebracht hatte.
Zwei weitere Urteile stehen in diesem Monat noch an, unter anderem gegen den Bauingenieur aus Essen, den die Bundespolizei zeitgleich mit Darwish festgenommen hatte. Ihn beschuldigen die Strafverfolger "Kopf und Finanzchef der Bande" zu sein.