Dem Krieg entkommen - am Innenminister gescheitert
Vor dem Morgengrauen rückten die Bundespolizisten an, stürmten 37 Wohnungen, deutschlandweit. In ein Mietshaus im westfälischen Ahlen kamen Ende Januar sogar vermummte Spezialkräfte der GSG 9. Sechs Männer wurden festgenommen. Der Verdacht: sie sollen 300 Ausländer illegal nach Deutschland geschmuggelt haben. "Ein großer Erfolg", meint Peter-Michael Kessow, Vizepräsident der Bundespolizei.
Der Umgang mit der Flüchtlingskrise
Aber die Einzelheiten werfen Fragen auf: Die "eingeschmuggelten Ausländer" sind fast alle Flüchtlinge aus Syrien. Und die Schleusungen begannen im Jahr 2011, also genau in dem Jahr, in dem Syrien begann, im Krieg zu versinken. Mehr als eine Million Syrer sind inzwischen auf der Flucht. Die meisten harren in provisorischen Lagern in den Nachbarländern aus. Viele wollen zu ihren Verwandten nach Deutschland. Und was macht Deutschland?
Die Großrazzia der Bundespolizei am 29. Januar 2013 gibt Aufschluss über den Umgang der Bundesregierung mit der syrischen Flüchtlingskrise. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will trotz des Ausmaßes der Krise keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen, mit Ausnahme derer, die in Deutschland engste Verwandte haben. Deshalb haben die Betroffenen keine Möglichkeit, auf legalem Weg nach Deutschland zu kommen. Die deutschen Botschaften lehnen Visaanträge von Syrern mit der Begründung ab, dass "die Absicht, nach Ablauf des Visums in das Herkunftsland zurückzukehren, nicht festgestellt werden kann." Da helfen auch die Appelle des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung nichts.
Einzige Chance: Schleuser
Syrischen Flüchtlingen, die nach Deutschland wollen, weil sie zum Beispiel nur entferntere Angehörige wie Geschwister, Onkel oder Tanten hier haben, bleibt daher nur eines übrig: sich Schleusern anzuvertrauen. Eine besonders gefährliche Route führt in kleinen Booten übers Mittelmeer, wie Panorama bereits im November berichtete. Nur wer mehr als 10.000 Euro bezahlen kann, wird mit gefälschten Reisedokumenten ausgestattet und kann so die Flucht mit dem Flugzeug wagen. Das Risiko, unterwegs abgefangen zu werden, ist in jedem Fall hoch. Denn Europa hat die Kontrolle seiner Außengrenzen verschärft, auch auf Betreiben des deutschen Innenministers.
Diese Situation ist nach Auffassung des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning (FDP) nicht länger hinnehmbar. Er ruft zur Aufnahme zumindest solcher syrischen Flüchtlinge auf, die Verwandte in Deutschland haben. "Wir sehen täglich die Not in Syrien. Lasst uns ein Zeichen setzen und Leuten, die Familie hier haben, die Einreise ermöglichen", sagt Löning im Panorama-Interview. Damit schließt sich das Regierungsmitglied Löning einer parteiübergreifenden Initiative im Bundestag an, die auf den CDU-Abgeordneten Ruprecht Polenz zurückgeht. Der Appell prallt jedoch an Innenminister Friedrich ab. "Wir können nicht generell sagen, dass jeder, der einen Verwandten in Deutschland hat, kommen kann. So weit werden wir die Zuwanderungstatbestände nicht ausweiten", äußerte Friedrich beim Treffen der EU-Innenminister im Januar in Dublin. Als handelte es sich nicht um eine akute Notlage, um eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart. Immerhin: Innenminister Friedrich will in diesem Jahr aufgrund eines dringenden Appells des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erstmals 200 syrische Flüchtlinge aufnehmen.
Friedrich setzt auf Abschreckung
Friedrich setzt im Kern weiter auf Abschreckung und versucht mit polizeilichen Mitteln die Flucht von Schutzsuchenden aus dem untergehenden Syrien nach Deutschland zu verhindern. Folgerichtig hat die ihm unterstehende Bundespolizei einer Bande das Handwerk gelegt, die syrische Kriegsflüchtlinge nach Deutschland geschleust haben soll. Wie ist das anders zu deuten, als dass nach dem Willen von Innenminister Friedrich möglichst kein syrischer Flüchtling deutschen Boden erreichen soll? "Was würden Sie machen, wenn Sie in Syrien im Krieg wären und nur mit Schleusern herauskommen könnten?", haben wir den Vizepräsidenten der Bundespolizei im Panorama-Interview gefragt. Die Antwort: Schweigen.