Was geht uns der Krieg an?
In der 6.000-Seelen-Gemeinde Salzweg bei Passau war die Welt bis vor Kurzem noch in Ordnung: Bis vor zwei Wochen die Nachricht die Runde machte, dass in einem Hotel mitten im Ort rund 100 syrische Flüchtlinge untergebracht werden sollen.
Viele Anwohner sind nun aufgeschreckt. Sie befürchten fallende Immobilienpreise, ein Ghetto in ihrer Nachbarschaft, steigende Kriminalität. Und eigentlich war doch genau dort in der Ortsmitte eine Ortskernsanierung geplant. Da passt eine Flüchtlingsunterkunft nicht ins Konzept. Solidarität mit den Flüchtlingen? "Jeder ist sich selbst der nächste", sagt ein Anwohner, und der Standort sei ohnehin nicht geeignet: Zu wenig Freiflächen vor dem Haus - und zu viele Flüchtlinge wären dort auf engstem Raum eingepfercht.
Immobilienkauf zur Flüchtlingsverhinderung
Die Gemeinde erwägt nun dieses "Problem" kreativ zu lösen und das Hotel selbst zu kaufen, um ihren Ortskern ungestört von Flüchtlingen gestalten zu können. Zwar ist dieser Vorgang auch in dem kleinen Ort nicht unumstritten, und bundesweit sammeln Bürger Geld, Kleidung und Spielzeug für Flüchtlinge in Not. Aber die Solidarität mit den syrischen Flüchtlingen hat vielerorts Grenzen, sobald die Flüchtlinge in der eigenen Nachbarschaft einziehen sollen.
Im wohlhabenden Traunstein am Chiemsee haben Anwohnerproteste ein geplantes Flüchtlingsheim komplett verhindert. Auch hier hatten Anwohner Angst vor sinkenden Immobilienpreisen. Anonyme Flugblätter kursierten, es gab Drohanrufe bei der Verwandtschaft. Schließlich gab der Vermieter der Räume, wo die Flüchtlinge unterkommen sollten, entnervt auf.
Milchglas, damit man Flüchtlinge nicht sehen muss.
In einer anderen Gemeinde im Kreis Starnberg fühlten sich einige Anwohner offenbar durch ein Flüchtlingsheim in ihrem Wohlbefinden gestört. Denn die Flüchtlinge konnten vom Hausflur aus direkt in die Gärten der Anwohner schauen. Kurzerhand überklebte der Landkreis die Flurfenster der Asylbewerber mit einer Milchglas-Folie. Für den Landkreis eine gute Lösung. So störten die Flüchtlinge die Nachbarn nicht und umgekehrt auch die Nachbarn die Flüchtlinge nicht.
Es gibt auch Hilfsbereitschaft - aber selten
Sicher gibt es oft auch Hilfe und Solidarität mit den Flüchtlingen, doch hitzige Debatten bei Anwohnerversammlungen, Bürgerinitiativen und Unterschriftenlisten gegen geplante Unterkünfte gehören ebenso zum Alltag in Deutschland. Der Protest kommt meist nicht lautstark hetzend daher wie zuletzt in Berlin-Hellersdorf, die bürgerliche Mitte der Gesellschaft bringt ihre Vorbehalte und Ängste gekonnter vor.
Dabei stehen meist weniger offen rassistische als vielmehr besitzstandwahrende Motive im Vordergrund. Doch hat ein wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland nicht auch die Verpflichtung, bei humanitären Katastrophen mehr Verantwortung zu übernehmen? Hatte nicht auch Bundespräsident Joachim Gauck genau diesen Umstand bei seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit angesprochen, als er sagte, Deutschland sei keine Insel, Deutschland dürfe sich nicht klein machen, "um Risiken und Solidarität zu umgehen"?