Fragwürdige Razzia gegen "Geisterschiff"-Schleuser
Bei einer Razzia haben deutsche und türkische Ermittler einen Schleuserring zerschlagen, der insgesamt mehr als 1.700 Migranten in "Geisterschiffen" - schrottreife führerlose Schiffe - über das Mittelmeer geschmuggelt und Menschenleben gefährdet haben soll. Panorama hatte den Fall der "Blue Sky M", des größten dieser "Geisterschiffe", die um die Jahreswende in Süditalien anlegten, recherchiert und war zu deutlich anderen Ergebnissen gekommen: danach lässt sich der Vorwurf eines menschenverachtenden Vorgehens nicht aufrecht erhalten.
Bei dem gemeinsamen Großeinsatz seien in Deutschland fünf, in der Türkei zehn Personen festgenommen worden, so der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, und der Leiter der türkischen Generaldirektion, Mehmet Lekesiz.
Hintergrund des Einsatzes war die Fahndung nach Organisatoren sogenannter Geisterschiff-Aktionen.
Der Fall der "Blue Sky M"
Mit "schrottreifen Frachtern" hätten die Schleuser die Flüchtlinge in die Nähe der italienischen Küste gebracht. Dann hätten sie den Kahn verlassen und in Kauf genommen, dass das "Geisterschiff" gegen die Küste prallt und Hunderte sterben. Nach Festnahmen von Schleusern in Deutschland und in der Türkei wiederholte Dieter Romann, gestern Vorwürfe, die Europas Grenzschutzagentur Frontex vor einem Jahr erhoben hatte. Dabei nannte Romann neben zwei anderen Schiffen ausdrücklich die “Blue Sky M”.
Um die Jahreswende 2014/15 waren Frachtschiffe mit überwiegend syrischen Flüchtlingen, die im türkischen Mersin in See gestochen waren, in Süditalien angekommen. Panorama hatte damals insbesondere den Fall des größten dieser Frachter, der “Blue Sky M”, näher untersucht. Die Ankunft dieses Schiffes, das 750 Flüchtlinge an Bord hatte, im Hafen von Gallipoli hatte Frontex bewogen, von einer “neuen Stufe der Grausamkeit” der Schlepper zu sprechen. Bei der Panorama-Recherche kam jedoch heraus, dass die Crew der "Blue Sky M" das Schiff nicht im Stich gelassen und dass die Gefahr eines Aufpralls auf die salentinische Küste nicht bestanden hatte.
Fluchthilfe oder “menschenverachtendes Geschäft”?
Das bestätigten die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Lecce sowie die italienische Küstenwache. Die Schiffsdokumente belegten zudem, dass der Frachter technisch in einem “zufriedenstellenden” Zustand war. Panorama liegen keine eigenen Erkenntnisse darüber vor, wie es sich mit den beiden kleineren von Romann erwähnten Schiffen genau verhält. Jedenfalls sind auf keinem der Schiffe Passagiere an Leib und Leben zu Schaden gekommen.
Der Kapitän, der Erste Offizier und zwei weitere Seeleute- allesamt syrische Staatsbürger, die die "Blue Sky M" steuerten, sitzen seit Januar 2015 im apulischen Lecce in Haft und warten auf ihre Verurteilung als Schlepper. Der Strafprozess gegen die Mannschaft des angeblichen Geisterschiffes ist im Gange.
Jetzt haben deutsche und türkische Fahnder weitere Personen festgenommen, die nach Romanns Angaben an der Organisation der Flucht per Frachter beteiligt waren. Der Chef der Bundespolizei betonte, dass es hier nicht um “Fluchthilfe” gehe, sondern um einen “menschenverachtendes Geschäft”.