Cum-Ex: Europas Finanzaufseher verschleppen Aufklärung
Europas Finanzaufseher verschleppen die Aufklärung des größten Steuerraubs in Europa, der unter den Begriffen Cum-Ex und Cum-Cum bekannt geworden ist. Vier Monate, nachdem das Europäische Parlament in einer Resolution eine europäische Untersuchung des "systematischen Steuerdiebstahls" gefordert hatte, ist noch immer keine Untersuchung durch die Banken- oder Finanzmarktaufsicht eingeleitet worden.
Nun haben führende Abgeordnete des Europäischen Parlaments Brandbriefe an die Finanzaufseher geschickt. Die Briefe liegen Panorama und ZEIT ONLINE exklusiv vor. Darin fordert der grüne Spitzenkandidat für die Europawahl, Sven Giegold, gemeinsam mit dem konservativen Parlamentsvizepräsidenten Othmar Karas sowie führenden Abgeordneten der sozialistischen und liberalen Fraktionen die zuständigen europäischen Aufsichtsbehörden dazu auf, "alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um diese wichtige Untersuchung so schnell wie möglich einzuleiten". Dies können nur die Bankenaufsicht EBA und die Finanzmarktaufsicht ESMA.
Empfindliche Konsequenzen
Und die Abgeordneten drohen mit empfindlichen Konsequenzen: Falls EBA und ESMA keine Maßnahmen einleiten, wollen die Abgeordneten weitere Entschließungen einreichen. Für die Aufseher könnte das unangenehm werden. Denn das Europäische Parlament entscheidet jährlich über die Haushalte der beiden EU-Behörden und kann ihnen umfangreiche Gelder sperren.
Mit der Resolution reagierte das Europäische Parlament auf die Veröffentlichung der "CumEx-Files". Diese Recherche von 19 europäischen Medien hatte im Oktober gezeigt, dass durch rein steuergetriebene Aktiengeschäfte wie Cum-Ex und Cum-Cum in ganz Europa ein geschätzter Schaden von mindestens 55 Milliarden Euro entstanden ist. Die Recherche belegte zudem, dass der Steurraub bis heute andauert.
In den Briefen beschweren sich die Abgeordneten nun, dass die Aufsichtsbehörden bisher lediglich eine Diskussion unter ihren Mitgliedern, den nationalen Aufsehern, eingeleitet hätten, ohne eine Entscheidung zu treffen. "Unserer Meinung nach ist dies angesichts der Dringlichkeit der Angelegenheit und der Forderung des Europäischen Parlaments von vor mehr als vier Monaten nicht ausreichend." Wie schon in der schon verabschiedeten Resolution betonen die Parlamentarier abermals, dass durch die "laufende Betrugspraxis" die Integrität der Finanzmärkte in Gefahr sei, und fordern "rasches und entschlossenes Handeln". "Es wäre schädlich für die Glaubwürdigkeit der europäischen Demokratie, wenn die Stimme des Europäischen Parlaments in dieser wichtigen Angelegenheit einfach überhört würde", schlussfolgern die Abgeordneten.
"Heiße Luft" von den Aufsichtsbehörden
Die Bankenaufsicht EBA möchte sich zu der geforderten Untersuchung trotz mehrfacher Nachfrage nicht äußern. Die Finanzmarktaufsicht ESMA teilt lediglich mit, man habe eine "vorläufige Analyse des Phänomens" Cum-Ex vorgenommen und wolle "die Praxis" weiter beobachten.
Für Giegold ist das bloß "heiße Luft". "Das ist ein Ablenkungsmanöver", sagt der Initiator der Cum-Ex-Resolution. Solche Vorarbeiten seien nicht identisch mit einem formalen Verfahren. "Die Aufsichtsbehörden versuchen, darüber hinweg zu täuschen, dass sie keine formale Untersuchung einleiten wollen. Das genügt aber nicht."
Wer aber bremst da nun genau?
Beide Aufsichtsbehörden werden jeweils von einem Rat der Aufseher kontrolliert. Nur er kann über eine offizielle Untersuchung entscheiden. In dem Rat sitzen Vertreter der nationalen Aufsichtsbehörden, aus Deutschland sendet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihren Präsidenten Felix Hufeld (EBA) und ihre Vizepräsidentin Elisabeth Roegele (ESMA) in dieses Gremium. Roegele stand zuletzt öffentlich in der Kritik, weil sie als frühere Chefjuristin der Deka-Bank deren Cum-Ex-Deals vor Gericht verteidigt hatte.
Die geforderte Untersuchung werde nun just im Rat der Aufseher blockiert, sagt Giegold. Den Parlamentariern sei mitgeteilt worden, "dass die zuständigen nationalen Behörden offensichtlich sehr zögerlich sind, diese Untersuchung in naher Zukunft einzuleiten", heißt es in dem Brief. Diese Blockade sei eine Missachtung des Europäischen Parlaments, sagt Giegold. "Ich erwarte von der BaFin und den anderen nationalen Aufsehern, den Weg für eine europäische Untersuchung des größten Steuerskandals Europas unverzüglich freizumachen." Jede weitere Verzögerung koste weiteres Steuergeld bei neuen steuergetriebenen Aktiengeschäften.
Das Bundesfinanzministerium will zur Resolution des Europäischen Parlaments und deren Umsetzung keine Stellung nehmen. Nicht die Bundesregierung, sondern die dem Finanzministerium unterstehende BaFin sei zuständig. Die Bafin wiederum verweist auf die EU-Behörden.