Stand: 07.11.2023 20:25 Uhr

Bundesverwaltungsgericht: Kein Anspruch auf Sterbehilfe-Medikament vom Staat

von Tina Soliman

Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: keine Erlaubnis für den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung.

Heute hat das Leipziger Bundesverwaltungsgericht (Aktenzeichen BVerwG 3 C 8.22) entschieden, dass Harald Mayer und Hans Jürgen Brennecke keinen Anspruch auf eine Genehmigung des Staates haben, das Sterbemittel ihrer Wahl Natrium-Pentobarbital (NaP) zu bekommen. Das Gericht beruft sich auf das Betäubungsmittelgesetz, das NaP generell verbietet, und darauf, dass Mayer und Brennecke seit der Streichung des sogenannten Sterbehilfeparagrafen 217 StGB durch das Bundesverfassungsgerichts Alternativen hätten.

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Pressemitteilung

Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: keine Erlaubnis für den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital. extern

"Die im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vorgesehene Versagung einer Erlaubnis für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ist angesichts der Möglichkeiten, das eigene Leben medizinisch begleitet mit anderen Mitteln zu beenden, mit dem durch das Grundgesetz geschützten Recht auf selbstbestimmtes Sterben vereinbar", so das Bundesverwaltungsgericht heute in Leipzig.

Revisionen zurückgewiesen

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute die Revisionen der Kläger gegen vorinstanzliche Urteile zurückgewiesen. "Die Einschränkung der Selbstbestimmung bei der Wahl des Mittels hat zwar Gewicht; es geht um die Gestaltung des eigenen Lebensendes. Die Gefahren, die durch den Erwerb von Natrium-Pentobarbital und die Aufbewahrung des Mittels durch die Sterbewilligen entstehen können, sind jedoch groß. Angesichts dieser Gefahren und der bestehenden Alternativen zum Einsatz des gewünschten Mittels ist es nicht zu beanstanden, dass das Gesetz seinen Erwerb zum Zwecke der Selbsttötung nicht zulässt", so das Bundesverwaltungsgericht in seiner Erklärung.

Unverständnis für Urteil

„Ich bin geschockt, kann es noch gar nicht fassen. Es gibt Alternativen! Klar, ich könnte in einen See fahren. Oder eben einen dubiosen Medikamenten-Cocktail mir verabreichen. Das ist aber nicht sicher! Ich finde das Urteil ignorant. Die sollten mal 24 Stunden festgebunden auf einem Stuhl sitzen, dann fühlen sie ein Prozent dessen, was ich dauerhaft erleiden muss. Unfassbar, wie man so kalt sein kann“,

sagt Harald Mayer nach dem Urteil gegenüber Panorama.
Auch sein Anwalt Robert Roßbruch ist erstaunt:

"Dies ist ein rabenschwarzer Tag für die Selbstbestimmung der Menschen in Deutschland. Wieso treibt man Suizidwillige in die Arme von Sterbehilfevereinen? Und wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, dass jeder Mensch sich suizidieren darf mit Hilfe eines Dritten, wieso darf er dann nicht die Art und Weise wie und womit er stirbt, selbst bestimmen? Wieso wird ihm verwehrt auf würdige und selbstbestimmte Weise zu sterben?  Und wieso wird das öffentliche Interesse - also der Schutz der Bürger vor einem Medikament, welches eventuell zu Hause gelagert würde - vor den Schutz der Kläger gestellt? Die Gefahr könnte dann ja auch von anderen Medikamenten ausgehen. Also dieses Urteil geht auch mir nach Jahrzehnten Berufserfahrung unter die Haut. Wir werden nun zum Bundesverfassungsgericht gehen. Aber das werden dann die Kläger wohl nicht mehr erleben."

Urteil vom Bundesverfassungsgericht vermutlich zu spät

Fünf seiner Mandanten sind bereits während des Kampfes um NaP gestorben. Geblieben waren noch Hans-Jürgen Brennecke und Harald Mayer.

Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP sagt:

"Das heutige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zeigt einmal mehr, dass wir als Parlament in der Pflicht sind. Die aktuelle Rechtslage darf uns nicht zufriedenstellen. Mit klaren Rahmenbedingungen, die das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im Einklang mit dem gebotenen Schutz des Lebens achten, wäre den Betroffenen möglicherweise der lange, letztendlich erfolglose Rechtsweg erspart geblieben."

Sechs Jahre lang kämpfen Harald Mayer und sein Anwalt um die Herausgabe des Sterbemittels Natrium-Pentobarbital. Nun haben sie verloren.

 

Panorama hat über den Prozess ausführlich berichtet.

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Dennoch versucht er, sich das Leben lebenswert zu machen, teilzuhaben, was ihm aber immer wieder verwehrt wird.

Harald Mayer, der seit 27 Jahren an der MS leidet, will für dann, wenn er "wirklich nicht mehr kann", das Mittel seiner Wahl, Natrium-Pentobarbital haben, um selbstbestimmt sterben dürfen. Dafür hat er, so wie auch der krebskranke Hans Jürgen Brennecke, vor sechs Jahren die Bundesrepublik Deutschland auf Herausgabe des Mittels verklagt.

Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht im März 2017 in einem anderen Fall einem Kläger einen Anspruch auf Natrium-Pentobarbital in "extremen Notlagen" zugesprochen. Doch das damalige Urteil verpuffte wirkungslos. Die Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens Spahn wiesen das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an, selbst in extremen Notlagen keine Sondergenehmigungen zu erteilen. Auch Amtsinhaber Karl Lauterbach hat bisher die Weisung nicht zurückgenommen, obwohl er die Weisung uns gegenüber massiv kritisierte.

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Am 26.10.2023 wurden Harald Mayers und Hans-Jürgen Brenneckes Klagen beim Bundesverwaltungsgericht verhandelt, unter anderem diskutiert: Sind die Grundrechte der beiden Kläger verletzt? Ist die Verweigerung einer Sondergenehmigung unverhältnismäßig? Würde eine Prüfung im Einzelfall genügen?

Auf der anderen Seite wurde vom BfArM auf "zumutbare Alternativen" verwiesen. Die Kläger könnten sich an Suizidhilfe-Organisation oder Vereine wenden. Das aber will Harald Mayer ausdrücklich nicht. Er will sich im Kreise seiner Familie beim Suizid assistieren lassen, wenn er den Zeitpunkt für gekommen sieht, und dies mit dem sichersten Präparat -  und das sei eben Natrium Pentobarbital. Das wurde ihm heute verwehrt.

 

Rat und Nothilfe bei Suizidgedanken

Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (Tel.: 0800/111-0-111) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: Tel.: 0800/111-0-333 oder 116 111; wochentags von 14 bis 20 Uhr)

Auf den Seiten der Deutschen Depressionshilfe sind Listen mit regionalen Krisendiensten und mit Kliniken zu finden. Zudem gibt es viele Tipps für Betroffene und Angehörige.

Über www.telefonseelsorge.de ist eine Online-Beratung möglich.

Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de.

In der deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige, um die Situation und die Versorgung Depressiver zu verbessern. Sie bieten Depressiven ein E-Mail-Beratung als Orientierungshilfe an.
Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

 

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