Eine Phase des Übergangs
In der zweiten Hälfte der 50er-Jahre erreichte das traditionelle Bildungs- und Kulturradio seinen Höhepunkt.
Programmprägend: Die Macher
Eine Reihe von NDR Redakteuren spielte dabei eine große Rolle, allen voran Heinz Schwitzke. Er leitete von November 1951 bis Juni 1971 die große und renommierte Hörspielabteilung des NDR, engagierte viele Schriftsteller und entwickelte seine auf das literarische, wirkungsvolle Wort gestützte Hörspieldramaturgie.
Ein weiteres Beispiel für das Bildungs- und Kulturradio war die Abteilung "Kulturelles Wort" in Hannover. Der Redakteur Jürgen Eggebrecht und seine Kollegen sorgten im Literaturbetrieb jener Jahre für besondere Ereignisse, sie veranstalteten Lesungen und boten dem Kulturpublikum Streitgespräche und Buchbesprechungen.
Besondere Leistungen gab es auch auf musikalischem Gebiet. Musikensembles wie das NDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Hans Schmidt-Isserstedt spielten herausragende Aufnahmen im Bereich der klassischen Werke ein und wurden mit ihren Gastauftritten im Ausland zu Kulturbotschaftern. Auf dem Gebiet der unterhaltenden Musik sorgte in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre das Orchester "Harry Hermann" für gute Laune.
Erste "Kult"-Sendungen
Zwei Radioangebote jener Zeit seien besonders herausgestellt – die Programme des Schulfunks und des Jugendfunks. Franz Reinholz, der den Schulfunk gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut hatte, sammelte ein engagiertes Redakteursteam um sich. Eines der populärsten Programme in diesem Bereich wurde die von Gernot Weitzl verantwortete Sendereihe "Neues aus Waldhagen“, die in den folgenden Jahren weit über die Klassenzimmer hinaus eine treue Fangemeinde um sich versammelte.
Für die junge Generation der 50er-Jahre war der NDR Jugendfunk unter seinem Leiter Wolfgang Jäger prägend. Zu einem Markenzeichen wurde die erstmals im Mai 1954 ausgestrahlte Sendereihe "Der Abend für junge Hörer“. Ihr lag ein innovatives Konzept zugrunde, das einen mehrstündigen Themenabend mit Berichten, Interviews, Diskussionsrunden, Features und Hörspielen umfasste.
Neben jugendspezifischen Themen wurde ein breites Spektrum von alltags- bis zeitgeschichtlichen Fragen angeboten. Vor allem aber war die jüngste deutsche Vergangenheit Gegenstand der Betrachtungen. Beispiel hierfür ist die 1957 alle drei Monate im 3. Programm ausgestrahlte Sendereihe "Probleme, die junge Menschen bewegen“. Sie widmete sich ausführlich Themen wie dem "Dritten Reich“, der deutschen Teilung, dem Kommunismus oder der Bundeswehr. Die Sendungen dauerten, nur durch kurze Sendepausen unterbrochen, fast drei Stunden.
Das Fernsehen boomt
Parallel dazu entwickelte sich in rasantem Tempo das Fernsehen. In der zweiten Hälfte der 50er-Jahre brach in Deutschland das "Fernsehfieber" aus. Der einmillionste Zuschauer in der Bundesrepublik wurde 1957 gefeiert. Zu diesem Aufschwung trugen die steigenden Fernsehteilnehmerzahlen speziell im Bereich des NWRV bei. Das Fernsehen entwickelte sich zum Massen- und Leitmedium. Dabei konkurrierte es nicht mit dem Radio, und auch die damals ausgerufene "Kinokrise" hatte ihre Ursachen mehr in der fehlenden Attraktivität des Kinoprogramms als in der vermeintlichen Konkurrenz des häuslich zu konsumierenden Bildmediums.
Die zweite Hälfte der 50er-Jahre werden als die "formative years" der Fernsehentwicklung bezeichnet. Das experimentelle Stadium der ersten Jahre nach dem Programmstart 1952 wurde überwunden, Strukturen und Formate bildeten sich heraus und ein Markt für die Fernsehwirtschaft entstand.
- Teil 1: Weichenstellungen für den NDR
- Teil 2: Der Tradition verpflichtet: Die Hörfunkprogramme
- Teil 3: Programmprägend: Die Macher
- Teil 4: Neue Wege eröffnen neue Chancen