Start der Schulfunkreihe "Neues aus Waldhagen"
Am 11. November 1955 begann die Hamburger Schulfunkreihe "Neues aus Waldhagen". Die zwischen 1955 und 1985 ausgestrahlte Sendereihe ist eine der bekanntesten Programm-Marken in der Geschichte des NDR und gilt inzwischen als Radio-Kult. In über 300 Folgen spielten sich die Bewohner des Modelldorfes in die Herzen und in das Gedächtnis des Publikums. Was war das Erfolgsrezept dieser Serie?
Als Gernot Weitzl die Reihe 1954 konzipierte, stand die politische Bildungsarbeit im Vordergrund. Weitzl (1925-2004), einer der Redakteure in der großen Schulfunk-Abteilung des Hamburger Funkhauses, wollte Lehrer unterstützen, die bei ihren Schülern das Interesse für politische Themen zu wecken versuchten. "In den 50er-Jahren setzte sich in der Lehrerschaft langsam die Einsicht durch, dass auch Themen politischen Inhalts notwendig sind, will man die Schüler auf ein Leben als Staatsbürger vorbereiten", erinnerte sich der Redakteur im Juni 2004: "Und so suchte man nach einem entsprechenden Fach. In dem einen Bundesland nannte man es Staatsbürgerkunde, in dem anderen Staatsbürgerliche Erziehung, im dritten Gesellschaft und Politik, im vierten Gemeinschaftskunde. Sie hatten aber alle das gleiche Ziel: bei den Schülern das Interesse für politische Themen zu wecken."
Gemeinschaftskunde für Anfänger
Doch mit der neuen Reihe sollte nicht die große Politik erklärt, sondern das demokratische Gemeinwesen im Alltag spielerisch vermittelt werden. Zielgruppe waren Kinder vom 4. bis 6. Schuljahr, geplant war eine Art "Gemeinschaftskunde für Anfänger". Die Idee zum kleinen, überschaubaren Modelldorf brachte der in Niederösterreich geborene Redakteur Weitzl vom Wiener Rundfunk mit. War es dort ein städtisches Mietshaus, in dem die verschiedenen Parteien ihre Konflikte durchspielten, so wurde in Norddeutschland ein ganzes Dorf entworfen.
Am 11. November 1955 stellte sich der fiktive Ort mit seinen typischen Vertretern zum ersten Mal im Radio vor - mit einem Bürgermeister, dem Wirt vom "Fetten Ochsen", einem Arzt und einem Dorfpolizisten; mit Bauern und ihren Ehefrauen, die unterschiedliche Temperamente verkörperten, sowie mit Großeltern und Kindern. Diese Bewohner von Waldhagen, typisiert in Beruf und Charakter, konfrontierten die Schulkinder mit Ereignissen, über die sie - so die erzieherische Intention - zusammen mit ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin nachdenken sollten.
Norddeutsche Stimmen
Dabei waren von Beginn an die Sprecherrollen hervorragend besetzt. Allen voran mit Heinz Reincke, der dem Erzähler über 30 Jahre hinweg seine sympathische norddeutsche Stimme lieh. Selbst als der bekannte Schauspieler nicht mehr beim Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, sondern in Düsseldorf, Salzburg und Wien unter Vertrag stand, nahm Schulfunk-Redakteur Gernot Weitzl den Erzählerpart mit ihm bei Besuchen vor Ort auf und kopierte diesen später in die Studioproduktion.
Ein großes Gespür für die norddeutsch gefärbten Charaktere zeigten aber auch die weiteren Sprecher: Heidi Kabel als Emma Piepenbrink, Rudolf Beiswanger als Paul Piepenbrink, Otto Lüthje als Dorfschuster Emil Ziesemann und Aline Bußmann als Käthe Ziesemann, Henry Vahl als Opa Negenborn und Ernst Grabbe als Schnack, der Krämer, Heinz Lanker und Hilde Sicks als Herr und Frau Grothe sowie Karl-Heinz Kreienbaum als Landarzt Dr. Kraus und Carl Voscherau als Bürgermeister Kienappel. Die Sprecherinnen und Sprecher waren vielfach dem Ensemble des Hamburger Ohnsorg-Theaters eng verbunden. Nicht zuletzt durch diese Stimmen wurden die "Waldhagen"-Sendungen zu einem Stück Heimat, zu einem vergnüglichen Programmangebot, das unterhaltsam regionale Identität beförderte.
- Teil 1: Gemeinschaftskunde für Anfänger
- Teil 2: Geschichten aus der kleinen Welt