Start der Schulfunkreihe "Neues aus Waldhagen"
"Waldhagen", das modellhafte Schulfunkdorf, bildete eine eigene kleine Welt. Ähnlich wie in der "Lindenstraße" und in anderen Fernseh-Soaps heute konnte man die Schicksale der vertraut gewordenen Personen mitverfolgen. Regelmäßig nahm man an den Problemen der kleinen überschaubaren Welt teil. Diese stammten aus dem Alltag und konnten mit einem Kompromiss beigelegt werden.
"Große" Themen und tragische Konflikte um Liebe, Tod und Gewaltverbrechen kamen nicht vor. Am Ende der jeweils viertelstündigen Sendungen fand eine Versöhnung statt, die zwischenzeitlich eingetretene Störung der Ordnung wurde behoben. Wo die Autorinnen und Autoren der Schulfunk-Reihe gesellschaftliche Fragen der Zeit aufgriffen, wurden diese unter einem menschlichen Blickwinkel behandelt - beispielsweise in einer der Folgen "Landarbeiter gesucht", in der am 4. März 1963 das Sprachenproblem mit dem ersten italienischen "Gastarbeiter" in "Waldhagen" erfolgreich angegangen wurde.
30 Jahre lang erfolgreiche Konfliktlösung
In der ersten im Schallarchiv des NDR erhalten gebliebenen Aufnahme vom 9. Dezember 1955 heißt es wörtlich: "zum Glück stellte sich heraus …" und "es hätte bös’ ausgehen können". Die damals verhandelte Geschichte um die Streupflicht bei Glatteis und den Schadensersatz bei einem Unfall führte nicht zum tragischen Konflikt. Am Ende der Hörfolgen stand ein Kompromiss, eine die Menschen miteinander versöhnende Lösung: "Damit war die Sache aus der Welt geschafft." So auch in der letzten Sendung, die am 22. März 1985 ausgestrahlt wurde. Mit "Rufmord" griff sie ein zwar vergleichsweise ernstes Thema auf, denn das "Gerede" einiger Waldhagener von überteuerten und schlecht ausgeführten Handwerkerarbeiten machen dem Tankstellen- und Autowerkstattbesitzer Langbehn wirtschaftlich schwer zu schaffen. In diesem Fall ist es aber die resolute Frau Wirtin, die als "vernünftige Person" dem schädigenden Gerede Einhalt gebietet und somit eine Lösung des Problems herbeiführt.
"Spiegel einer wohlbehüteten Kindheit"
"Es sind Geschichten aus einer kleinen überschaubaren Welt, nichts anderes als ein vereinfachtes Abbild des Alltags", formulierte der Schöpfer der "Waldhagen"-Reihe Gernot Weitzl 1965 in einer Festschrift des NDR Schulfunks. So schuf sich die langlebige Reihe über all die Jahre in Klassenzimmern und an den heimischen Geräten ein treues Publikum. Kinder wurden zum Nachdenken über die Waldhagener Probleme angeregt, Erwachsene ließen sich bereitwillig in den Bann der amüsanten Alltagsgeschichten ziehen.
Bis heute kann "Waldhagen" als Synonym für ein typisch norddeutsches Dorf und seine Charaktere verwendet werden. Fragt man Zeitgenossen, die in den späten 50er-, den 60er- und 70er-Jahren mit den Episoden aufgewachsen sind, nach prägenden Radioerlebnissen, so erinnern sie sich nicht selten auch und gerade an "Neues aus Waldhagen". Für viele dieser Menschen der "Generation Schulfunk" sind die Waldhagener, wie es eine Zuhörerin einmal formulierte, inzwischen der "Spiegel einer wohlbehüteten Kindheit".
Ein besonderer Dank gilt Herrn Arne Weitzl für die Unterstützung der Recherchen sowie für die zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellten Dokumente.
- Teil 1: Gemeinschaftskunde für Anfänger
- Teil 2: Geschichten aus der kleinen Welt