Ein Funkhaus für den Norden
In zeitgenössischen Berichten werden die beweglichen Wände des Saales gerühmt, die es erlaubten, unterschiedliche akustische Räume zu erzeugen. Darüber hinaus konnten die Galerien der Längswände mit unterschiedlichen Oberflächen geschlossen werden. An der absenkbaren Decke befand sich eine ausgeklügelte Kork-Stalaktitenbildung. Hinzu kam, dass die Orchesterflächen hydraulisch angehoben und abgesenkt werden konnten. In der Summe entstand ein "Raum mit einer möglichst vollkommenen 'Hörsamkeit'", wie es ein Mitarbeiter des Architekturbüros beschrieb. Ein Glanzstück darin bildete die Welte-Funkorgel.
Doch damit noch nicht genug. Um dieses Zentrum des neuen Gebäudes herum wurden mehrere kleinere Räume errichtet, die speziellen akustischen Anforderungen genügen mussten - etwa im Saal für Kammermusik oder in einem Raum für akustische Experimente.
Das Wahrzeichen: Der Uhrturm
Der Stolz auf die technische Innovation und den Fortschritt schwingt in vielen zeitgenössischen Beiträgen mit. So wurde die Spezial-Isolierschicht hervorgehoben, auf der das ganze Gebäude stand. Die eigene Strom-Versorgung und die Regelung von Temperatur und Luft fanden große Beachtung, ebenso die aufwändige Antennen- und Kabeltechnik.
Ein sichtbarer Höhepunkt im wahrsten Sinn des Wortes war schließlich die eigene Hauptuhr, die am Funkhausturm auf einem nachts beleuchteten, zwei Meter großen Zifferblatt die Uhrzeit anzeigte - generiert von einer eigenen Zeitdienstanlage in einem eigenen Uhrenraum. Am 1. Januar 1929 konnte die Norag zum ersten Mal ihr eigenes Zeitsignal im Programm senden.
Das erste Europäische Konzert
Die offizielle Inbetriebnahme des neuen Funkhauses am 8. Januar 1931 wurde mit einem musikalischen Programmhöhepunkt gebührend gefeiert. Von 20.35 Uhr bis 22.15 Uhr führte das Philharmonische Orchester unter Leitung von Karl Muck im Rahmen des ersten "Europäischen Konzerts" drei Werke des in Hamburg geborenen Komponisten Johannes Brahms auf. Der regionalen Verbundenheit entsprach die internationale Dimension. Denn dieses Festkonzert wurde vom Deutschlandsender, vom Deutschen Kurzwellensender und dem Mitteldeutschen Rundfunk übertragen. Ebenfalls angeschlossen waren die Sendegesellschaften in Basel, Belgrad, Bern, Budapest, Lausanne, Prag, Warschau und Wien. Ein Rundfunkkritiker hielt damals fest: "Die Übertragung kann, vom rein akustischen Standpunkt aus betrachtet, als außerordentlich gelungen bezeichnet werden".
Die Auswirkungen der Weimarer Republik
Mit vielen ihrer Programmangebote wurde die Norag zu einem Motor der Niederdeutschen Bewegung. Gleichzeitig engagierte sie sich auf hohem Niveau im literarischen und musikkulturellen Bereich und schlug Brücken ins europäische Ausland.
Aber mit der Eröffnung des neuen Funkhauses war der Zenit der rundfunkgeschichtlichen Entwicklung auch schon überschritten. Die wirtschaftlichen Krisen der letzten Jahre der Weimarer Republik zwangen auch den Rundfunk zu drastischen Einsparmaßnahmen. Politisch wurden immer mehr Rundfunkkompetenzen von der Länder- auf die Zentralebene in Berlin verlagert.
Im Sommer 1932 war der Rundfunk in Deutschland weitgehend verstaatlicht und wurde von der Reichsregierung instrumentalisiert. Das attraktive und wirkungsvolle Medium Rundfunk fiel 1933 den Machthabern des "Dritten Reiches" somit buchstäblich in die Hände. Auch auf dem modernen Funkgebäude in der Rothenbaumchaussee wehten nur zwei Jahre nach der Einweihung die nationalsozialistischen Flaggen.
- Teil 1: Die Anfänge in der Binderstraße
- Teil 2: Die Engelbrecht‘sche Villa wird um(ge)baut
- Teil 3: Alles für eine "möglichst vollkommene 'Hörsamkeit'"