"Am Schlick" - Krimi-Hörspielserie mit Peter Kurth und Bjarne Mädel
Eine neue Hörspielserie vom NDR ist in der ARD Audiothek gestartet: "Am Schlick" - ein düsterer Werft-Krimi über Freundschaft und Verrat.
Einen Thriller im Hafenmilieu Mecklenburg-Vorpommerns, der die Komplexität aktueller ostdeutscher Identität einfängt, wollten Lars Werner und Marcel Raabe schreiben. Zwei junge Autoren aus Sachsen, die finden: Die DDR-Nachwendegeschichte wird zu häufig als Opfergeschichte erzählt: "Wir wollten von Leuten erzählen, die widerständig sind, aber keine Wutbürger, Leute, die sich in Nischen ihre Strukturen aufgebaut haben, die nicht immer sauber bleiben. Lebendige Figuren, die sonst in ostdeutschen Geschichten nicht so oft vorkommen."
Geschichte glänzt durch Vielschichtigkeit
Das ist ihnen gelungen, finden die beiden Hauptdarsteller Bjarne Mädel und Peter Kurth.
"Die Geschichte glänzt, und ich sage tatsächlich glänzen, durch Vielschichtigkeit. Stereotypen werden wirklich umschifft. Es geht um Leute, die sich wehren, ihren Weg suchen, ihn finden und verteidigen müssen", sagt Peter Kurth, der selbst aus Mecklenburg-Vorpommern stammt und den Hauptprotagonisten Sascha Lüttich mit einer Wucht und einem Facettenreichtum spielt, die begeistert.
Krimi im ostdeutschen Werft-Milieu
Dieser Lüttich hat sich in der mecklenburgischen Provinz eine ordentlich laufende Karriere in der Werft aufgebaut. Nach dem Mauerfall hat er die Gegend nie verlassen. So viele Geschäfte gab es zwar nicht zu machen. Aber die wenigen, die es gab, wollte er ganz bestimmt nicht anderen überlassen. Gesetze werden dabei eher flexibel ausgelegt. Gemeinsam mit seiner vietnamesisch-stämmigen Ex-Frau Mai (Yvonne Yung Hee Bormann), die die namensgebende Kneipe "Am Schlick" betreibt, und seinem treuen Kompagnon Enno (Bjarne Mädel) hat er ein kleines, aber gut funktionierendes Netzwerk. Vor allem weil sein "Zieh-Vater", Werft-Urgestein und Gewerkschaftschef Harry, immer die Hand über ihn hält. Beeindruckend präsent gespielt von dem 88jährigen Charles Brauer, der damit sein 70jähriges Hörspiel-Jubiläum im NDR feiert.
Kampf um den Gewerkschaftsvorsitz
Dann stirbt Harry plötzlich, und zunächst widerstrebt es Lüttich zwar etwas - aber als sein ungeliebter Konkurrent Waldemar Brahms (Samuel Weiss) nach dem Posten des Gewerkschaftsbosses greift und bei Harrys Beerdigung verspricht, "am Hafen aufzuräumen", kandidiert notgedrungen auch Lüttich - um Harrys Erbe zu schützen und um die eingespielten, halblegalen Routinen in Werft und Hafen aufrecht zu erhalten.
Das Problem: Lüttich ist eigentlich kein "großer Vorsitzender". Und Geld hat er auch nicht. Also verstrickt er sich immer tiefer in kriminelle Machenschaften, nimmt Abhängigkeiten in Kauf, unter anderem von der eiskalten Altenheim-Betreiberin Manja Gaedtke (Anne Ratte-Polle), und geht sogar mit Rockerin Elke (Christiane von Poelnitz) und ihrer Motorradgang ziemlich brutale Deals ein. Und so geht es in der Krimi-Hörspielserie um Lüttichs Entwicklung, vom Handlanger zum obersten Drahtzieher.
Ob Syrien, Vietnam oder DDR: Verlust von Heimat Thema
In die Krimi-Handlung verweben Marcel Raabe und Lars Werner immer wieder aktuelle und historische Themen: Lichtenhagen und die vietnamesische Community, die Privatisierung durch die Treuhand, den Weggang vor allem gut ausgebildeter Frauen, die Fluchtgeschichte 2015 und die Schwierigkeiten für "Fremde", sich in Deutschland etwas Neues aufzubauen. Es geht viel um den Verlust von Heimat, in verschiedenster Ausprägung.
Temporeiches Hörspiel mit düsterem Sound
Die Vielschichtigkeit der Geschichte machte die Arbeit im Hörspiel-Studio so spannend. "Im Film und Theater kann man eine Haltung vortäuschen und mit den Augen oder dem Körper dagegen spielen. Wenn man beim Hörspiel etwas Ambivalentes spielen möchte, muss man das nur mit der Stimme transportieren. Deswegen ist es so eine Herausforderung", beschreibt es Bjarne Mädel.
Regisseurin Janine Lüttmann inszeniert diese Serie temporeich, mit einem guten Gespür für die leisen Zwischentöne und den Humor, der in den sehr authentischen Dialogen steckt. Komponist Andreas Bick hat "Am Schlick" den düsteren, spannungsgeladenen Sound verpasst.
Die Autoren
Marcel Raabe (*1978 in Dresden) Journalist und (Co-)Autor von Radio-Features und eines Dokumentarfilms über das Leben im Dresdener Neubaugebiet Gorbitz. Er betreibt in Leipzig den Verlag Trottoir Noir und beschäftigt sich wissenschaftlich mit der topologischen Struktur von Erinnerungsräumen. 2021 veröffentlichte er das Buch "Die letzten Stunden Walter Benjamins. Eine Rekonstruktion und eine Wanderung".
Lars Werner (*1988 in Dresden) ist Autor mehrerer Theaterstücke und Hörspiele. Für sein Stück "Weißer Raum" erhielt er 2018 den Kleist-Förderpreis. 2019 bekam er das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. Seine Stücke liefen u.a. im Theater Münster, bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Staatstheater Braunschweig. 2023 erschien sein Romandebüt "Zwischen den Dörfern auf hundert" bei Albino Berlin. Mit seinem Stück "Die ersten hundert Tage" ist er 2024 für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert. Er lebt und arbeitet in Berlin.