Stand: 06.09.2015 15:09 Uhr

Susi Kentikian: Durchs Leben geboxt

von Florian Neuhauss, NDR.de

Als Susi Kentikian das Zwei-Zimmer-Apartment betritt, macht sie einen Schritt in ihre eigene Vergangenheit. "Es ist 1:1 so wie früher. Die Räumlichkeiten sind noch ganz genauso, wie ich es in Erinnerung habe", sagt die Box-Weltmeisterin: "Aber hier ist es ganz gemütlich eingerichtet. Das war bei uns damals anders." Sie ist zu Besuch bei den Demirovs aus Mazedonien. Die Flüchtlingsfamilie lebt seit zwei Jahren im Pavillon-Dorf in Hamburg-Bramfeld. "Immer schön fleißig sein - und immer Deutsch lernen, das ist wichtig", rät die 27-Jährige den beiden kleinen Kindern. Die 1,55-Meter-Frau weiß, wovon sie spricht. 1992 floh sie mit Mutter, Vater und ihrem zwei Jahre älteren Bruder aus Armenien. Aber auch in Deutschland musste sie hart für die Karriere kämpfen.

Titelverteidigung in Hamburg am 2. Oktober

Kentikian bereitet sich derzeit auf ihre nächste Titelverteidigung vor. Am 2. Oktober tritt die "Killer Queen" in der Inselparkhalle in Hamburg-Wilhelmsburg gegen die Mexikanerin Susana Cruz Perez an, um über zehn Runden ihren WBA-WM-Gürtel im Fliegengewicht zu verteidigen. Dann wird Frank Rieth in der Ecke der gebürtigen Armenierin stehen. Nachdem ihr Boxstall Universum pleite gegangen ist, kehrte sie zu ihrem ersten Coach zurück. Den Kampfabend organisiert und finanziert sie selbst. "Wenn sich Susi etwas vornimmt, dann zieht sie das auch wirklich durch. Es kann sein, dass diese Veranstaltung beim ersten Mal nicht so wird, wie sie sich das vorstellt. Aber dann gibt es einen Plan B. Das ist Susi Kentikian, sie gibt niemals auf und das zeichnet sie aus", sagt Ex-Boxprofi Regina Halmich.

"Draußen wurde immer gekämpft"

Kentikian ist fünf Jahre alt, als sie mit ihrer Familie nach Hamburg kommt. In den ersten beiden Jahren wohnen sie auf der "Bibi Altona" im Hamburger Hafen, einem Flüchtlingsschiff für Personen ohne Bleiberechtsperspektive. "Ich kann mich erinnern, dass da immer Gewalt war. Draußen wurde immer gekämpft", berichtet die in Eriwan geborene Boxerin. Es folgen acht Jahre in einem alten Schulgebäude in Hamburg-Langenhorn, das zur Asylbewerberunterkunft umfunktioniert worden ist. Die Familie Kentikian ist vor dem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Kaukasus geflohen. Damals sterben 50.000 Menschen, mehr als eine Million werden zu Flüchtlingen. Der Vater, der in Armenien als Tierarzt arbeitete, muss sich allein um die Kinder kümmern, weil die Mutter lange im Krankenhaus liegt. In Deutschland darf er nicht mehr als putzen gehen.

Große Wut - Boxen ist das Ventil

Das Schicksal scheint es nicht gut mit dem kleinen Mädchen zu meinen, es sucht ein Ventil für seinen Frust. "Sie war von Natur aus aggressiv und hat regelmäßig andere Kinder verprügelt", erinnert sich Bruder Mikael: "Ich habe früher oft aus Spaß gesagt: 'Passt auf, sonst hole ich meine Schwester' - und alle wussten Bescheid." Erst beim Boxen lenkt die Zwölfjährige ihren Ärger in die richtigen Bahnen. "Da kann man seine ganze Wut rauslassen", sagt die Jugendliche damals: "Danach fühlt man sich richtig gut." Ihr Box-Talent ist offensichtlich: "Mein erstes Sparring habe ich gegen einen Jungen gemacht - und den habe ich aus dem Ring geprügelt."

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 06.09.2015 | 23:15 Uhr

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