"Mein mutigster Schritt" - Besuch bei Basketballerin Gülich in Taiwan

Stand: 08.04.2025 08:44 Uhr

Im Sommer will DBB-Kapitänin Marie Gülich bei der EM-Vorrunde in Hamburg den Grundstein für die erste Medaille seit 1997 im deutschen Frauen-Basketball legen. Aktuell spielt sie in Taiwan in einer ungewöhnlichen Liga um die Meisterschaft. Ein Besuch beim deutschen Superstar von Taiyuen Textile.

von Irina Gnep und Jonas Freudenhammer

Xindian, ein Randbezirk südlich von Taipeh City. Graue Betonblöcke ragen in den Himmel, geschmückt mit bunten Reklamen und chinesischen Zeichen. Seit Dezember ist das die neue Heimat von Marie Gülich. Die gemeinsame Unterkunft der Basketballerinnen von ihrem Club Taiyuen Textile befindet sich im 7. Stock eines Hochhauses.

Studi-WG-Vibes in Taipeh City  

Die ehemalige WNBA- und EuroLeague-Spielerin hat den Luxus eines eigenen Zimmers mit eigenem Badezimmer. Der Komfort des Stars des Teams, andere Spielerinnen teilen sich ein Zimmer. Gülichs 20 m² sind spärlich eingerichtet - ein 1,60 m breites Bett, ein kleiner Sekretär, ein Fernseher, ein Sessel und zwei große Einbauschränke, die viel mehr Platz bieten als die 30-Jährige, die mit zwei Koffern nach Taiwan gereist ist, füllen kann.

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Es ist Sonntagabend. Auf dem Fernseher knistert leise ein Kaminfeuer. "Das hat irgendwie etwas Beruhigendes. Nach Spielen bin ich noch sehr aufgeregt und habe einfach noch viele Emotionen in mir", erzählt Gülich, die mit frisch gewaschenen, noch feuchten Haaren in ihrem Sessel sitzt. "Das hilft mir herunterzufahren." Außerdem wirke das Zimmer so gleich "ein bisschen gemütlicher, weil es ja schon relativ kahl und grau ist", sagt Gülich, die wenige Stunden zuvor noch auf dem Basketballcourt stand.

"So habe ich noch nie gelebt. Ich habe gedacht, dass mich das irgendwie stören wird. Aber tatsächlich stört es mich gar nicht so doll." DBB-Kapitänin Marie Gülich

Die Unterkunft hat etwas von einer großen Studierenden-WG. Im Korridor stehen Sneaker und Schlappen vor den Zimmertüren. Das Geschirr in den Regalen des Aufenthaltsraums ist bunt zusammengewürfelt - jede Spielerin hat ihre eigenen Schüsseln und Stäbchen zum Essen. Einzig der professionell ausgestattete Physio- sowie der Waschraum, in dem Unmengen an Sportklamotten zum Trocknen hängen, verraten: Hier leben Profisportlerinnen. Trainingshalle und Kraftraum befinden sich im selben Gebäude - nur ein Stockwerk höher. Theoretisch müsste Gülich die Unterkunft nur für die Spiele verlassen.  

Kleine Anfangsschwierigkeiten

Mit diesen Gegebenheiten kämpft sie vor allem in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft. "Wenn man von außen irgendwo reinkommt, wo andere Menschen schon so lange leben, dann fühlt man sich erst einmal fremd", blickt Gülich zurück, die zuvor noch nie in Asien war. Bei ihrem letzten Club in Valencia hatte sie eine eigene Dreizimmerwohnung und war durch ihren Hund Otis, der während ihres Engagements in Taiwan bei ihrem Bruder lebt, viel draußen unterwegs: "Das fehlt mir am meisten."

Zudem war ein Großteil ihrer Mitspielerinnen zunächst sehr schüchtern: "Die haben sich nicht so ganz getraut und sprechen auch nicht alle gut Englisch", erzählt Gülich, die seit über zehn Jahren im Ausland Basketball spielt: "Am Anfang hab ich mich manchmal so gefühlt, als würde ich mich aufdrängen, aber ich hab immer wieder gefragt, ob wir etwas unternehmen." Mittlerweile geht sie regelmäßig mit Mitspielerinnen zum Essen, auf den Nachtmarkt oder ins Café und genießt auch die gemeinsame Unterkunft: "Ich liebe es, dass meine Teammates einfach alle da sind. Wenn ich meine eigene Wohnung hätte, würde ich mich öfter alleine fühlen."

DJane Gülich gibt den Ton an  

Von Berührungsängsten ihrer Mitspielerinnen ist an diesem Vormittag nichts mehr zu spüren. Auf der Autofahrt in die Halle ist die Stimmung ausgelassen. Das dritte Match des Spieltags steht an. Die Liga besteht aus nur vier Teams, gespielt wird jedes Wochenende, jeder gegen jeden. Gülich sitzt auf dem Beifahrersitz und gibt - genau wie auf dem Court - den Ton an: Die Musikauswahl ist Sache der 1,96 m großen Centerspielerin. "Ich habe Nina Chuba hier in Taiwan berühmt gemacht", sagt sie, lacht und summt zu 'Fliegen' mit. Ihre Playlist ist bunt durchmischt: Fergie, Doechii, der Techno-Mix von 'Vois sur ton chemin' und von A-Mei Chang der "famous Chinese song", wie Gülich ihn nennt.  

Marie Gülich ist in Taiwan der Star der Liga © Irina Gnep
Marie Gülich ist in Taiwan der Star der Liga.

"Ich mache das auch ganz oft im Nationalteam, dass ich einfach Musik spiele", erzählt sie, "ich mag das voll gerne, weil alle ihren Musikgeschmack reinbringen, und man so einfach eine Kultur und auch die Menschen kennenlernt." Die Kapitänin des DBB-Teams ist die erste ausländische Profispielerin bei ihrem Verein. Sie soll Taiyuen zum langersehnten Titel führen. Der letzte und bislang einzige liegt 15 Jahre zurück - aus der Saison, in der der Dauerchampion Cathay Life Tigers nicht angetreten ist. 

Der Dauerrivale: Über 30 Jahre unbesiegt  

"Das ist das stärkste Team, die haben die Liga seit 30 Jahren gewonnen", erzählt Gülich auf der Anfahrt, "also prinzipiell unschlagbar". Am vergangenen Wochenende gab es eine Niederlage. Heute hat ihr Team die Chance auf Wiedergutmachung. "Wir versuchen, so viele Spiele wie möglich zu gewinnen, damit wir am Ende dann besser dastehen in den Play-offs."

Dass Gülichs Team die Play-offs erreicht, steht schon jetzt außer Frage. Die beiden weiteren Clubs spielen ohne Ausländerin und außer Konkurrenz. Generell sei das Niveau nicht vergleichbar mit europäischem Basketball, den Gülich eigentlich gewöhnt ist. "Das Spiel ist ganz anders. Die Spielerinnen sind viel kleiner und auch vom Skillset nicht so stark wie in der EuroLeague oder in Spanien, wo ich gespielt habe", sagt Gülich. Trotzdem müsse man jede Spielerin respektieren, "am Ende des Tages können sie trotzdem Basketball spielen".

Professionelle Strukturen, leere Ränge 

Marie Gülich bei einem Freiwurf © Irina Gnep
Die Liga lockt nur wenig Fans an.

Ankunft an der Spielstätte. Es gibt keine Heimhallen, stattdessen monatlich wechselnde Austragungsorte. Vielleicht ein Grund dafür, dass die orangefarbenen Schalensitze auf den Zuschauerrängen nahezu leer sind. Vielleicht liegt es auch an dem frühen Sprungball zur Mittagszeit. Selbst das Topspiel der Liga lockt nicht mehr als 100 Fans in die Arena. Aus den Lautsprechern dröhnt laute Musik. Der DJ lässt sie auch während des Spiels laufen. Lediglich bei Freiwürfen ist es ganz still. Dann ist nur das durchgehende Wummern der Klimaanlage zu hören, die die Temperatur in der Halle auf gefühlte zehn Grad herunterkühlt.  

Ein krasser Kontrast für Gülich: Mit dem Nationalteam spielte sie bei der Olympia-Premiere der deutschen Basketballerinnen im Sommer in Paris im Viertelfinale vor 15.000 Menschen. "Wenn Fans da sind und alle mitgehen, macht das natürlich mehr Spaß, weil man das auch im ganzen Körper fühlt", sagt sie und ergänzt achselzuckend: "Aber wenn es nicht so ist, dann muss man die Situation auch einfach so akzeptieren."

"Die Liga in Deutschland ist nicht auf dem Level, auf dem ich gerne spielen möchte. Wir haben gute Spielerinnen, aber die Strukturen stimmen nicht." Marie Gülich

Trotz fehlender Fans: Die Infrastruktur in Taiwan ist erstklassig - um Längen besser als die der heimischen Bundesliga. Große Arenen, Pressetribünen, sechs Kameras, die alle Spiele streamen, live kommentiert von zwei Reportern in der Halle. Finanziert wird das durch staatliche Förderungen. Die Spielerinnen leben vom Basketball, bezahlt werden sie von den Sponsoren der Teams. So auch Gülich, die von ihrem Gehalt hier gut leben und auch Geld für die Zeit nach der Karriere zurücklegen kann. "Die Besitzerin des Vereins hat einfach Geld in die Hand genommen und gesagt: 'Ich möchte das jetzt so' und hat mir das Angebot gemacht", sagt Gülich.  

Spaß am Basketball und Ziel Olympia 2028

Eine gute Investition. 29 Punkte und 11 Rebounds verbucht die Centerspielerin an diesem Tag. Ein ungefährdeter Sieg. Gülich soll für Taiyuen diese Saison den Unterschied machen. "Es ist für mich nicht immer leicht, diese Rolle zu haben und diesen Druck", gesteht sie. Gleichzeitig tue es ihr gut, "einfach immer grünes Licht zu haben, den Freiraum zu haben, auf dem Spielfeld kreativ sein zu können - mir die Inspiration von anderen Spielerinnen zu holen und meine eigene wieder aufwecken zu lassen." Wenig nachdenken, einfach machen. "Mir macht Basketball momentan richtig Spaß", berichtet Gülich, "Taiwan war die mutigste und wichtigste Entscheidung, die ich für mich treffen konnte. Definitiv der richtige Schritt."

"Ich will eine Medaille. Das ist mein größter Traum für dieses Team." Marie Gülich über die EM im Sommer

Es wird nicht ihr letzter gewesen sein. In ihrer Zeit als Basketballerin hat die 30-Jährige schon häufig über ein Karriereende nachgedacht. Fragt man sie jetzt nach der Zukunft, sind da ganz andere Pläne: "Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, ich spiele, bis ich 30 bin", lacht Gülich. "Jetzt denke ich mir: EM in Hamburg, dann WM in Berlin und dann Olympia 2028 - das sind meine Meilensteine."

Dass es danach noch weitergeht? Nicht ausgeschlossen. Am liebsten in Deutschland: "Vielleicht ist ja die deutsche Liga dann an einem Punkt, wo man auch sagen kann: 'Hey, hier ich würde gerne meine Karriere beenden.'"

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub Story | 13.04.2025 | 23:35 Uhr

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