Stand: 01.07.2015 15:37 Uhr
Charly Dörfel: Flankengott und Entertainer
von Henning Strüber, NDR.de
Er war der kongeniale Partner von Uwe Seeler und einer der größten Spaßvögel im deutschen Fußball. Wenn Charly Dörfel für den Hamburger SV die Seitenlinie rauf und runter wetzte, hatten die Zuschauer am Hamburger Rothenbaum ihre Freude. Auch weil Dörfel hin und wieder eine Pause einlegte und mit den Fans einen "Schnack" hielt.
Zwischen 1958 und 1971 13 Jahre lang in Diensten des HSV: Gert "Charly" Dörfel.
"Charly gibt die Flanke, Uwe köpft sie rein." Immer wieder schallte dieser Jubelgesang in den 1960er Jahren bei Heimspielen des Hamburger SV durch das Stadion am Rothenbaum, wenn "Flankengott" Gert Dörfel - in Anlehnung an die Comicfigur Charly Brown von allen nur Charly genannt - über den linken Flügel gewirbelt war und mit einer seiner gefürchteten krummen Hereingaben seinem kongenialen Sturmpartner Uwe Seeler wieder mal ein Kopfballtor aufgelegt hatte. Dörfel und Seeler - diese Namen waren untrennbar miteinander verbunden. Auf dem Platz bildeten beide ein eingespieltes Gespann, das sich blind verstand. Und doch waren beide grundverschieden - so wie der Verlauf ihrer Karrieren. Während die bodenständige und bescheidene "Kämpfernatur" Seeler als gefeierter Nationalspieler einen Platz in der Ahnengalerie des deutschen Fußballs erklomm, blieb dem extrovertierten Spaßvogel Dörfel der große Durchbruch verwehrt. Und dennoch errang der gebürtige Harburger Legendenstatus und genießt noch heute große Popularität.
Steiler Aufstieg bis in die Nationalelf
Dörfel entstammt einer wahren Fußball-Dynastie. Vater Friedo und Bruder Bernd trugen das DFB-Trikot, Onkel Richard war einst HSV-Ehrenspielführer. Der kleine Gert beginnt seine Karriere beim Polizei SV Hamburg. Über Einsätze in diversen Auswahlmannschaften wird der HSV alsbald auf den nur 1,70 Meter großen Außenstürmer aufmerksam und verpflichtet den damals 17-Jährigen 1958 für eine Ablösesumme von 3.000 D-Mark. Nach einer Saison bei den Amateuren rückt Dörfel in der darauffolgenden Spielzeit in die "Erste" auf - die damals in der höchsten norddeutschen Spielklasse, der Oberliga Nord, kickt. Er erkämpft sich prompt einen Stammplatz und steuert 13 Tore zum Gewinn der deutschen Meisterschaft 1960 bei. Im selben Jahr debütiert Dörfel unter Trainer Sepp Herberger in der Nationalmannschaft und feiert mit zwei Treffern beim 5:0-Sieg über Island einen Einstand nach Maß.
... über die Begegnung mit einem alten Bekannten:
"Letztens hatte ich eine sehr schöne Begegnung in der Seevetaler Einkaufspassage. Da spricht mich plötzlich ein Mann in meinem Alter an und sagt: 'Mensch, Charly! Schön, dass ich dich treffe! Ich wollte mich die ganzen Jahre bei dir bedanken.' Ich schau ihn an und merke, dass er ein ehemaliger Mitspieler von SV Polizei Hamburg ist. Wir lachen und ich frage: 'Wieso denn bedanken?' Er antwortet: 'Wir haben damals vom HSV 3.000 Mark für dich bekommen. Mit dem Geld haben wir den besten Kegelabend gemacht, den ich je erlebt habe.'"
... über seine Lust auf Länderspiele:
"Ich glaube, ich bin der einzige Spieler auf der Welt, der zwei Länderspiele abgesagt hat, weil er keine Lust hatte und lieber arbeiten wollte."
... über seine Zuneigung zu Frauen:
"Andere liefen seit Babytagen mit Lollis 'rum, wir Dörfels liefen seit der Geburt mit einem Ball durch die Gegend. Doch es gab nicht nur Fußball. Es gab die Musik, und es gab die Frauen. Ich war bekanntlich kein Kussverächter."
... über seine Prioritäten im Leben:
"Fußball war für mich immer die schönste Nebensache der Welt."
... über seine Rolle als Mannschaftsclown:
"Einmal waren wir mit dem HSV unterwegs. In dem Hotel, in dem wir übernachteten, fand eine Hochzeitsfeier statt. Die ganze Mannschaft hing auf der Empore und guckte der Gesellschaft von oben zu. Weil es spät war, hatten wir Schlafanzüge an, ab zehn Uhr war ja Nachtruhe angesagt. Ich habe mit meinen Mitspielern um je 20 Mark gewettet, dass ich die Braut in meinem Aufzug zu einem Ehrentanz auffordere. Alle sagten: Das traust du dich nicht. Hab ich aber und war um 200 Mark reicher."
... über seine Begegnung mit Fußballidol Pelé:
"Ich war schnell und wendig. Und ich konnte mich sehr gut von hinten heranschleichen, so wie eine Katze, und dem Gegner den Ball vom Fuß stiebitzen. Das habe ich auch mal mit Pelé gemacht - und ihn dabei umgehauen. Dann lag er da, die Spieler protestierten - und ich massierte derweil Pelés Oberschenkel."
... über seine Abneigung gegen Hitze:
"Ich konnte bei hohen Temperaturen nicht spielen. 1960 trafen wir im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft auf den 1. FC Köln und es war unfassbar heiß. Ich stellte mich während des Spiels in den Schatten eines Flutlichtmastes, um der Hitze zu entkommen."
... über seine Suche eines Bekannten im Publikum:
"Es gab etwa dieses eine Spiel am Rothenbaum, bei dem ein guter Freund von mir zu Gast war und ich vor dem Spiel mit ihm scherzte: 'Ich finde dich im Publikum.' Während des Spiels schaute ich ständig auf die Zuschauerränge, konnte ihn aber nicht finden. Kurz vor der Halbzeit sah ich ihn dann doch. Ich bin also auf die Tribüne, habe ihm inmitten der johlenden Fans die Hand geschüttelt und gerufen: 'Ich habe ihn gefunden!' Ihm war das ziemlich unangenehm."
... über sein schwieriges Verhältnis zum ehemaligen Bundestrainer Helmut Schön:
"Schön kam etwa einmal während der Halbzeitpause eines HSV-Freundschaftsspiels zu mir und fragte: 'Na Charly, wie sind Sie in Form?' Da hab ich zu ihm gesagt: 'Herr Schön, ganz gut, aber ich habe da auf dem Nebenplatz einen Außenstürmer gesehen, der ist echt super.' Da hat Schön bedröppelt dreingeschaut. Ironie mochte der gar nicht."
... über sein letztes Gespräch mit Schön:
"Eines Tages rief Schön in der Geschäftsstelle am Rothenbaum an. Wir saßen nicht weit des Empfangs und aßen zu Mittag. Da die Zentrale nicht besetzt war, eilte ich zum klingelnden Telefon. Am Ende meldete sich der Bundestrainer: 'Hallo, hier Helmut Schön, ich möchte mit Trainer Gawliczek sprechen!' - Ich antwortete in einer Art Computerstimme: 'Hier ist die telefonische Zeitansage, beim nächsten Ton ist es 17:25 Uhr - tut - tuuut.'"
... über seinen Sturmpartner Uwe Seeler:
"Ich kann voller Stolz sagen, dass ich diesem Fußballhalbgott 13 Jahre lang gegen den Kopf schießen durfte. Er soll froh sein, dass er davon keinen Dachschaden bekommen hat."
Internationaler Durchbruch bleibt versagt
Da staunt sogar "Kaiser" Franz Beckenbauer (l.): Dörfel (r.) brilliert nicht nur als Flankengeber, sondern schießt auch selbst Tore.
Schnell gilt Dörfel als "Inbegriff von Spielwitz auf dem linken Flügel", wie der Autor Jürgen Bittner in dem Lexikon "Deutschlands Nationalspieler" schreibt. Dem eigentlichen Erfinder der "Bananenflanke", als den nicht wenige Dörfel - und nicht Manfred Kaltz - bezeichnen, steht eine glänzende Laufbahn bevor. Doch schon 1962 bekommt die Karriere des gelernten Buchmachers den ersten Knick: Für die Weltmeisterschaft in Chile wird Dörfel nicht berücksichtigt. Mit seiner frechen, vorlauten Art hat es der Norddeutsche beim autoritären Herberger - und später bei dessem spröden Nachfolger Helmut Schön - nicht leicht. "Ich war wohl zu unbequem, und mit meiner Art kam auch nicht jeder zurecht", bekannte Dörfel rückblickend. Auch die mangelnde Konstanz in seinen Leistungen dürfte ihren Anteil daran haben, dass der Flügelflitzer insgesamt nur elfmal das DFB-Dress tragen darf (sieben Treffer) und sich für ihn das Kapitel Nationalmannschaft bereits 1964 im Alter von 25 Jahren für immer schließt.
Dörfels Karriere in Zahlen
- 11 Länderspiele (7 Tore)
- 3 Amateur-Länderspiele (1 Tor)
- 1 U23-Länderspiel
- 224 Bundesligaspiele (58 Tore)
- 100 Oberligaspiele (49 Tore)
- 18 Regionalligaspiele (3 Tore)
- rund 750 Spiele für den HSV
- Deutscher Meister 1960 (HSV)
- Pokalsieger 1963 (HSV)
- Norddeutscher Meister 1960-1963 (HSV)
- Länderpokalsieger 1959
- Finalist Europapokal der Cupsieger 1968 (HSV - AC Mailand 0:2)
- Erster Bundesligtorschütze des HSV (am 1. Spieltag der Bundesliga am 24. August 1963 (Preußen Münster - HSV 1:1)
- Erster dreifacher Bundesligatorschütze (am 31. August 1963 beim 4:2 des HSV über den 1. FC Saarbrücken)
- Letztes Bundesligaspiel: 11. November 1971
Dieses Thema im Programm:
Sportclub |
13.04.2009 | 02:45 Uhr
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