Manfred Kaltz © picture-alliance / dpa

Manfred Kaltz: Der stille Rekordmann des HSV

Stand: 06.01.2023 08:18 Uhr

Manfred Kaltz ist der Mann für die Rekorde beim Hamburger SV - und ein Erfolgsgarant. Der Außenverteidiger war an allen HSV-Titeln nach Gründung der Fußball-Bundesliga beteiligt. Im Rampenlicht stand Kaltz trotzdem nur selten.

von Johannes Freytag

Er hat die meisten Elfmeter der Bundesligageschichte verwandelt, aber auch die meisten Eigentore geschossen. Er ist Rekordspieler des Hamburger SV, hat aber nie ein Abschiedsspiel bekommen. Er war beteiligt an der "Schmach von Cordoba" und der "Schande von Gijon" - und dennoch gehört Manfred Kaltz zu den ganz Großen des deutschen Fußballs. Der "Erfinder der Bananenflanke" war der wohl beste Außenverteidiger des vergangenen Jahrhunderts.

Die Verbindung seiner Schusstechnik mit dem krummen Obst mag Kaltz auch Jahrzehnte nach seiner Karriere noch immer. "Die Beschreibung mit den Bananenflanken stört mich nicht. Es hat sich so eingebürgert und es bleibt auch so. Damit muss man leben, es gibt Schlimmeres", sagte der gebürtige Ludwigshafener und fügte hinzu: "Das ist ja ein großer Wiedererkennungswert. Dann weiß jeder, um wen es geht."

Spitzname "Der Schweiger"

Viele Höhepunkte hat Kaltz erlebt, aber auch viele Enttäuschungen. "Schauen Sie sich meinen Karriereverlauf mal genau an. Dann werden Sie sehen, dass ich auf fast genauso viele erste wie zweite Plätze komme. Es ging immer hin und her", beschreibt er seinen Werdegang.

Kaltz lehnte Wirbel um seine Person stets ab und gab sich meist wortkarg und misstrauisch. Seine Medien-Trägheit brachte ihm auch den Spitznamen "Der Schweiger" ein. "Ich werde fürs Fußballspielen bezahlt. Und nicht fürs Reden", sagte er einmal.

Dauerbrenner von Anfang an

Manfred Kaltz kommt als A-Jugendlicher aus dem pfälzischen Altrip nach Hamburg. Es dauert nicht lange bis zum ersten Bundesligaeinsatz. Am 21. August 1971 er in der Elf der Hanseaten, in der auch noch Uwe Seeler spielt. 32 Partien sind es am Ende der Saison - eine beeindruckende Startbilanz für einen 18-Jährigen. In der Folgezeit wird Kaltz zum Dauerbrenner: In seinen 19 Bundesligajahren beim Hamburger SV absolviert er 14 Mal mindestens 31 Saisonspiele. Kaltz spielt dabei einen offensiven rechten Verteidiger mit großer Torgefährlichkeit und geht weite Laufwege. Seine berüchtigten "Bananenflanken" finden in Horst Hrubesch ("Manni Flanke, ich Kopf, Tor") einen dankbaren Abnehmer.

1991 beendet der Verteidiger seine Bundesligakarriere als HSV-Rekordspieler nach 581 Einsätzen. In der höchsten deutschen Spielklasse hat nur der Frankfurter Charly Körbel mit 602 mehr Spiele auf dem Buckel. Kaltz erzielt 76 Tore, seine 53 verwandelten Elfmeter sind Bundesligarekord. Die Kehrseite seiner Torbilanz: Sechs Mal trifft Kaltz ins eigene Tor - auch das ist der Spitzenwert der Liga.

Ohne Kaltz kein HSV-Erfolg

V.li. Horst Hrubesch, Bernd Wehmeyer, Manfred Kaltz und Lars Bastrup © picture-alliance / Sven Simon Foto: Sven Simon
Horst Hrubesch, Bernd Wehmeyer, Manfred Kaltz und Lars Bastrup (v.l.) jubeln 1982 mit der deutschen Meisterschale.

Kein HSV-Spieler hat mehr Titel gesammelt als der Verteidiger: Drei Meisterschaften, zwei DFB-Pokalsiege und zwei Europacup-Erfolge schlagen für ihn zu Buche. Oder, um es anders zu formulieren: Ohne den Defensivkünstler hat der HSV keinen einzigen Titel seit Gründung der Bundesliga gewonnen. Kaltz ist 1983 beim legendären 1:0-Finalsieg über Juventus Turin dabei und trägt auch entscheidend zum bislang letzten Titel der Hamburger, dem Pokalgewinn 1987 gegen die Stuttgarter Kickers, bei. Sein Führungstreffer in der 88. Minute ebnet den Hanseaten den Weg zum Sieg.

1989 verlässt der 36-Jährige den damaligen Tabellenvierten, weil die Hamburger ihm keinen längerfristigen Vertrag anbieten, und heuert beim französischen Erstligisten Girondins Bordeaux an. Bezeichnenderweise steigt der HSV in der darauffolgenden Saison beinahe ab, um ein Jahr später - mit Rückkehrer Kaltz - wieder die Qualifikation für den Europacup zu schaffen. Trotz seiner Verdienste um den HSV gibt es kein Abschiedsspiel für ihn.

Er habe keinen besonders guten Draht zum damaligen Präsidenten (Jürgen Hunke) gehabt, bedauert Kaltz in einem Interview, einen so stillen Abgang gefeiert zu haben. Ins Volksparkstadion zum aktuellen Zweitligisten HSV geht Kaltz nur noch selten: "Ich hoffe, dass sie dieses Jahr aufsteigen. Auf Dauer ist zweite Liga langweilig. Wenn es dieses Jahr mit dem Aufstieg nichts wird, wann dann?" 

Libero in der Nationalelf

Auch in der Nationalelf erfährt Kaltz nicht immer die Wertschätzung, die ihm gebührt. Sein erstes Länderspiel macht er am 3. September 1975 in Wien gegen Österreich. 69 Einsätze im DFB-Trikot sind es am Ende. Mehr werden es nicht, weil sich Kaltz mit Bundestrainer Jupp Derwall überwirft. Kaltz wird Europameister 1980 und Vizeweltmeister 1982. Aber es gibt auch Tiefpunkte: 1978 hat der Hamburger beim WM-Turnier in Argentinien die undankbare Aufgabe, erster Libero nach dem Ende der DFB-Karriere Franz Beckenbauers zu sein. Das Experiment misslingt. Beim 2:3 gegen Österreich, der "Schmach von Cordoba" macht Kaltz zudem beim Siegtreffer Hans Krankls keine gute Figur.

Manfred Kaltz © picture alliance Foto: picture alliance
WM 1978: Manfred Kaltz (l.) kommt zu spät gegen Hans Krankl (r.). Der schießt Österreich 3:2 in Front, die "Schmach von Cordoba" ist perfekt.

Vier Jahre später, bei der WM in Spanien, wirkt Kaltz beim 1:0-Sieg gegen die Österreicher mit, der als "Schande von Gijon" in die Geschichtsbücher des Fußballs eingeht: Nach dem Führungstreffer durch Hrubesch schließen die Mannschaften quasi einen Nichtangriffspakt, weil das Ergebnis beiden Teams zum Weiterkommen reicht. Ein weiterer negativer Aspekt von Kaltz‘ Länderspielkarriere: Sein Eigentor (!) in der 85. Minute leitet am 1. Januar 1981 die 1:2-Niederlage gegen Argentinien ein, die Derwalls beeindruckende Rekordserie von 23 ungeschlagenen Länderspielen beendet.

Kaltz' Karriere in Zahlen

  • 69 Länderspiele (9 Tore)
  • 581 Bundesligaspiele (76 Tore)
  • 13 Spiele Ligue 1/Frankreich (1 Tor)
  • Deutscher Pokalsieger 1976 und 1987 (Hamburger SV)
  • Deutscher Meister 1979, 1982 und 1983 (Hamburger SV)
  • Europapokal der Landesmeister 1983 (Hamburger SV)
  • Europapokal der Pokalsieger 1977 (Hamburger SV)
  • Europameister 1980 (Deutschland)
  • Vize-Weltmeister 1982 (Deutschland)
  • Bundesliga-Debüt: 20. August 1971 für Hamburger SV gegen Dortmund (1:1)
  • Letztes Bundesligaspiel: 17. April 1991 für Hamburger SV gegen Dortmund (4:0)

Hin und Her auch nach der Karriere

Zwar ist Kaltz im Besitz einer Fußballlehrerlizenz, doch seine Anstellung an der Seite von Felix Magath als Co-Trainer von Eintracht Frankfurt (2000/2001) erweist sich bisher als einziger Ausflug in den Profibereich. Anfragen, beim Hamburger SV in irgendeiner Form tätig zu werden, gibt es nicht. Dabei könnte er, der sozusagen als "Mister HSV" gilt, seinem Verein viel zurückgeben. Aber: "Es hat sich nie ergeben, ich war in der freien Wirtschaft, und immer wieder gab es im Verein Leute mit vielen Ideen und Plänen. Das ist im Grunde bis heute so geblieben. Von Konzepten und Strategien wird kaum was umgesetzt", spart Kaltz nicht mit Kritik an "seinem" Club.

Kaltz ist lange Jahre als Vertriebsdirektor eines italienischen Mineralwasser-Konzerns tätig, als Immobilienmakler, als Vermögensberater und er engagiert sich in einem Rehabilitationszentrum. Seit 2002 gibt er seine Erfahrungen in Fußballschulen an den Nachwuchs weiter. Er spielt Golf - und ab und zu auch Fußbvall ("gesundheitlich bin ich in Bestform"). Nur das Rampenlicht meidet er noch immer. Auf eine Interviewanfrage reagierte er einmal mit den Worten: "Ein Bericht über mich? Wer will das denn lesen?"

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 06.01.2023 | 10:17 Uhr

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