Mission Titelverteidigung: Flensburger Gottfridsson der Taktgeber der Schweden
Zwischen 1994 und 2002 gewann Schweden vier Mal die Handball-Europameisterschaft. Nach dem Durchschreiten einer Talsohle haben sich die Skandinavier spätestens mit dem EM-Triumph 2022 zurückgemeldet. Schweden verfügt über starke Einzelspieler und setzt in seinen Strukturen auf ein Kollektiv.
Nationaltrainer Glenn Solberg weiß um die Stärke seiner gewachsenen Mannschaft. Der Kern war schon dabei, als er Anfang März 2020 seinen ersten Kurz-Lehrgang zum Kennenlernen einberief. Dieser fand in Hamburg statt, weil die Hansestadt für die über den Kontinent verstreuten schwedischen Profis günstig lag.
"Wir haben eine gute Kultur und ein gutes Umfeld in und um die Mannschaft herum aufgebaut", sagt Solberg. Der 51-Jährige, der einst in Nordhorn und Flensburg als genialer Spielmacher überzeugte, ist Norweger, lebt aber wie auch die meisten schwedischen Handball-Trainer einen skandinavischen Stil, der auf flache Hierarchien, Kommunikation und Eigenverantwortung der Spieler viel Wert legt.
In den Auszeiten reden vor allem die Schlüsselspieler
Diese Philosophie lässt sich auch während eines Spieles beobachten. In einer Auszeit redet dann nicht etwa der Trainer eine Minute lang auf die Spieler ein, sondern es sind Schlüsselspieler, die ihre Einschätzungen und Anregungen einbringen. "Manchmal sieht der eine etwas, was der andere nicht erkannt hat", erklärt Jim Gottfridsson (SG Flensburg-Handewitt). "Wir tauschen uns aus, helfen uns - wir sind eine Mannschaft und wollen den gemeinsamen Erfolg."
THW-Profis Wallinius und Johansson bisher in Nebenrollen
Solberg lässt viel rotieren. Die Spieler kommen nicht auf 60, sondern eher auf 30 Minuten Einsatzzeit. Das tut der Coach einerseits, um Kräfte zu sparen, aber auch um die Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen. Er hat aber auch eine illustre Auswahl zur Hand. Neben Gottfridsson und dem Magdeburger Felix Claar agieren die Linkshänder Lukas Sandell (Veszprém) und Albin Lagergren (Magdeburg). Im linken Rückraum ist Jonathan Carlsobogard (Barcelona) - auch wegen seiner Defensivqualitäten - die erste Wahl.
Für zwei Rückraum-Asse des THW Kiel hat dies Folgen: Karl Wallinius und Eric Johansson standen bislang nur wenige Minuten auf dem Spielfeld. "Wir haben wirklich viele gute Leute im Rückraum", sagt Johansson. "Wenn ich dann die Chance bekomme, muss ich sie auch nutzen." Im Spiel gegen Georgien (42:26) tauchte er allerdings gar nicht auf dem Spielbericht auf, stattdessen mit Jonathan Edvardsson (TSV Hannover-Burgdorf) ein weiterer Spielmacher.
EM-Triumph 2022 hat das Selbstbewusstsein enorm gestärkt
17 der 18 schwedischen Akteure spielen für europäische Top-Teams in Spanien, Ungarn, Frankreich, Dänemark und vor allem Deutschland. Lediglich Simon Möller, der dritte Torwart, ist in der schwedischen Heimat, aktiv - beim Meister IK Sävehof.
Angesichts eines so großen Erfahrungsschatzes dürfte die Rolle als Titelverteidiger kaum zum mentalen Rucksack werden. "Wir verspüren keinen größeren Druck, weil wir der amtierende Europameister sind", erklärt Solberg. "Es ist einfach ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir das schwierigste Turnier gewonnen haben, das man als Nationalmannschaft gewinnen kann."
In der Hauptrunde in Hamburg kann es nur darum gehen, sich trotz der starken skandinavischen Konkurrenz wieder für das Halbfinale zu qualifizieren.