Dank Keegan: HSV erstmals Bundesliga-Meister
Das exemplarische Highlight der ersten HSV-Meistersaison in der Bundesliga spielt sich am 16. Dezember 1978 im Münchner Olympiastadion ab: Um 15.49 Uhr balanciert Kevin Keegan im Vollsprint die Torauslinie entlang. Den Ball am Fuß, den Gegenspieler Jupp Kapellmann ignorierend - als hätte sich in einer Wand eine Zehntelsekunde lang eine Tür geöffnet, nur für ihn. Das unmögliche Dribbling schließt er mit einem banalen Querpass ab. Die Aktion führt zum einzigen Tor des Tages durch Caspar Memering. Franz Beckenbauer, gerade ein paar Tage aus New York auf Heimaturlaub, sagt hinterher auf der Tribüne: "So könnte der neue Meister aussehen."
"Mighty Mouse" blüht auf
So sieht der neue Meister in der Tat aus. Der HSV ist zwar nur eine Idee cooler und effektiver als die Konkurrenz - den eigentlichen Unterschied machen aber Keegans Aktionen. Fußball 1978/79 im Tempo des 21. Jahrhunderts. Der kleine Engländer, nominell Linksaußen, wieselt ohne feste Position hinter, vor und zwischen den Spitzen und stellt die meisten Gegenspieler vor unlösbare Aufgaben. Nach einer frustrierenden Vorsaison, in der die Verpflichtung des englischen Stars bereits als teures Missverständnis erschien, blüht "Mighty Mouse" in neuer Rolle und mit viel mehr Mittelfeld-Unterstützung auf. 17 Tore erzielt er in der Meistersaison und wird zum zweiten Mal Europas Fußballer des Jahres.
Transfercoups Hrubesch und Hartwig
Am Beginn von Keegans und Hamburgs Erfolgssaison steht ein radikaler Schnitt. Die schillernden, aber launischen Stars der Vorjahre sind weg. Linksaußen Schorsch Volkert, Publikumsliebling, Dribbelkönig, Wortführer, Ex-Nationalspieler. Und Dr. Peter Krohn, Fußballvermarkter mit Visionen und dem Hang, sich in sportliche Belange einzumischen. Die neue Leitung, Trainer Branco Zebec und Manager Günter Netzer, steht dagegen zunächst für professionelle Nüchternheit. Mit den Transfers von Horst Hrubesch und Jimmy Hartwig gelingen Netzer bei seinem Debüt im Fußball-Management auf Anhieb zwei echte Coups.
Im Fall des Esseners Hrubesch, der bereits in Frankfurt zugesagt hatte, riskiert er seinen guten Ruf. Der wuchtige Mittelstürmer entwickelt sich nach Anfangsschwierigkeiten aber mit 13 Saisontoren zur zweiten entscheidenden Offensivwaffe der Hanseaten. Sorgen bereitet nur zeitweise Ex-Nationalkeeper Rudi Kargus. Während der Rückrunde unterläuft dem sensiblen Schlussmann eine Serie von Fehlern. Selbst dem einsilbigen Zebec entfährt öffentlich ein Stoßseufzer: "Was habe ich nur für einen Torwart." Am Ende haben die Hamburger allerdings nicht nur die meisten Tore erzielt (78), sondern auch die wenigsten Gegentore erhalten: 32, nicht mal eines pro Spiel.
Jubel schlägt in Entsetzen um
Die Meisterschaft perfekt macht die Mannschaft in einem höchst durchschnittlichen Bundesligaspiel. Ein 0:0 beim Abstiegskandidaten Arminia Bielefeld am vorletzten Spieltag reicht zum Titel, weil Konkurrent Stuttgart gleichzeitig unerwartet gegen Köln patzt. Nach dem kräftezehrenden Kick auf der brütend heißen Alm stürmen 5.000 mitgereiste HSV-Anhänger den Platz. Die Fan-Jubelszenen wiederholen sich eine Woche später: Der Tag, an dem Kapitän Peter Nogly die Meisterschale empfängt und auf den die Hamburger Fans 19 Jahre lang warten mussten, wird dennoch ein schwarzer. Zunächst verliert der neue Meister mit 1:2 gegen Bayern München, danach brechen Zuschauermassen durch die Gitter der Westkurve. Im Geschiebe auf den unteren Rängen und an dem Zaun-Loch werden 71 Menschen verletzt, etliche von ihnen schwer. Die Mannschaft hat sich ohne Ehrenrunde in die Kabine gerettet, Krankenwagen und Rettungshubschrauber beherrschen das Bild.