Braunschweig - Hannover 96: Niedersachsen-Derby im Krisenmodus
Eintracht Braunschweig empfängt am Sonntag Hannover 96 zum Niedersachsen-Derby in der zweiten Fußball-Bundesliga. Beide Teams stecken tief in der Krise. Die Datenanalyse zeigt, warum es bei den beiden Clubs schlecht läuft - und was Hoffnung macht.
Es ist noch nicht lange her, da träumten viele 96-Fans von besseren Zeiten. Nach Jahren der Tristesse und sogar im Kampf gegen den Abstieg in die Dritte Liga schien unter dem neuen Trainer Stefan Leitl alles besser zu werden. Am 16. Spieltag war Hannover in Liga zwei Vierter und hatte nur drei Punkte Rückstand auf den Relegationsrang.
Was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte: Der 2:0-Erfolg gegen Fortuna Düsseldorf am 8. November sollte für lange Zeit der letzte Sieg bleiben. Mittlerweile warten die "Roten" seit mehr als vier Monaten auf einen Dreier. In der Tabelle ging es runter bis auf Rang zehn. Der Aufstiegszug ist längst abgefahren.
Eintracht-Boss Vollmann: "Bilanz eines Absteigers"
Mit der Situation der Eintracht haben wir uns in den vergangenen Wochen und Monaten ausführlich auseinandergesetzt. Mit der Erfolgsserie nach schlechtem Start und gelungenen Transfers, aber auch der Negativserie zuletzt. Die "Löwen" haben seit dem zwölften Spieltag nur noch ein Spiel gewonnen. Peter Vollmann spricht selbst von der "Bilanz eines Absteigers". Der Geschäftsführer Sport betonte zu Beginn der Derbywoche: "Alle bei der Eintracht wissen, was die Stunde geschlagen hat."
Die GSN-Daten zeigen große Probleme bei Braunschweig auf, aber auch eine mögliche Lösung. Es wäre höchste Zeit für Veränderungen, besonders in Sachen Aufstellung und Formation von Coach Michael Schiele: Viererkette, defensivstarke Außenverteidiger, ein klarer Plan in der Offensive und durchdachte Standardsituationen. Womöglich wäre auch ein Torwartwechsel hin zum modernen Ron-Thorben Hoffmann, der mit dem Ball am Fuß umgehen kann, für das Derby genau das richtige Zeichen. Die errechnete Abstiegswahrscheinlichkeit der "Löwen" liegt mittlerweile bei 58 Prozent.
96: Alarmglocken schrillten schon im Herbst
96-Coach Leitl wird nicht müde zu betonen, dass seine Mannschaft in der Hinrunde über ihren Möglichkeiten gespielt habe. Und tatsächlich schrillten die Alarmglocken bereits im Herbst - doch viele überhörten sie oder wollten sie nicht hören. Dabei zeigte der Blick in die Daten deutlich: Hannover stand viel besser da, als es von der Leistung her eigentlich hätte der Fall sein dürfen. Die Leitl-Mannschaft ging als Fünfter in die Winterpause, die Tabelle nach Expected Points wies sie allerdings nur als 13. aus.
Und damit nur einen Platz vor der Eintracht, die bis auf die genannte Erfolgsserie eigentlich immer im Tabellenkeller zu finden war. Hannovers erspielten 1,65 Punkten pro Partie standen gerade einmal 1,05 erwartbare gegenüber - eine extreme Über-Performance.
Hinzu kam, dass 96 mit im Durchschnitt 15,73 Schüssen aufs eigene Tor viel zu viele zuließ. Die Gegner kamen auf 1,73 Expected Goals (xG), brauchten aber gleichzeitig 1,63 xG für einen Treffer. Hannover selbst spielte also wirklich deutlich über den eigenen Möglichkeiten, während die Gegner gegen die Niedersachsen zu wenig aus ihren Chancen machten. Das Ergebnis war ein verzerrtes Bild.
Hannover hat seine Effizienz vor dem Tor verloren
Und so trifft in diesem Fall die Weisheit der Analytiker zu, dass sich Datenlage und Realität im Laufe einer Saison angleichen. Denn auch wenn das auf den ersten Blick überrascht: Hannover spielt fast genauso "gut" wie in der Hinrunde. Seinerzeit hatten die Niedersachsen im Schnitt 5,6 Chancen pro Spiel, jetzt sind es sieben. Aus 4,5 Schüssen aufs Tor sind 5 geworden. Bei der Gesamtzahl der Aktionen der Mannschaft (738/736) und den erfolgreichen Aktionen (74,53 zu 72,69 Prozent) sowie den Expected Goals (1,48/1,46) hat sich kaum etwas verändert. Und auch die Anzahl der Pässe, Schlüsselpässe und Flanken ist nahezu identisch.
"Momentan weiß ich nicht, welchen Vorwurf ich meiner Mannschaft groß machen kann." 96-Coach Stefan Leitl
Aber Hannover ist die Effizienz vor dem Tor abhandengekommen. Pro eigenem Treffer braucht 96 1,28 xG, in der Hinrunde war der Wert bei 1,01xG. Und gleichzeitig können sich die "Roten" nicht mehr darauf verlassen, dass die Gegner Chancenwucher betreiben. Die Torwahrscheinlichkeit pro Schuss des Kontrahenten ist von 11 auf 16 Prozent gestiegen - ein signifikanter Anstieg. Und obwohl 96 in der Rückrunde mehr Zweikämpfe führt, werden weniger gewonnen. Das Gleiche gilt für Kopfballduelle.
Einbruch bei 96-Leistungsträgern
Einher geht die sportliche Misere mit einem Leistungseinbruch bei diversen Größen in der Mannschaft, deren Performance-Score insgesamt von 53,87 auf 50,62 gefallen ist. Besonders krass ist die Diskrepanz bei Havard Nielsen. Der norwegische Stürmer war vor der WM-Pause einer der Besten, traf siebenmal und kam auf einen Performance-Score von 57,11. Seit dem 16. Spieltag wartet Nielsen auf ein Tor, sein Performace-Score ist auf 47,38 gefallen.
Auch Abwehrchef Julian Börner (59,60/55,36), Innvenverteidiger Phil Neumann (54,86/52,12), der offensivstarke Außenverteidiger Derrick Köhn (58,35/54,62) und Torwart Ron-Robert Zieler (55,61/51,87) haben spürbar nachgelassen. Die Mannschaft kann das nicht kompensieren.
Daten empfehlen für Hannover 4-2-2-2-System
Der Coach hat zuletzt einiges probiert. Weg vom bewährten 3-4-1-2-System, hin zur Viererkette. Mal im 4-4-2, mal mit einem Stürmer, wahlweise mit offensiver Dreier- oder auch Viererreihe dahinter. Noch nicht probiert, aber nach Auswertung der GSN-Daten erfolgversprechend: ein 4-2-2-2-System.
Die Viererkette hat sich bewährt, nur drei Gegentore in drei Spielen zugelassen. Davor könnten Fabian Kunze und Max Besuschkow das Zentrum besetzen, Sebastian Kerk und Louis Schaub die Offensive im Mittelfeld ankurbeln. Die beiden Positionen im Sturm sollten Nielsen und Top-Torjäger Cedric Teuchert einnehmen. Die Chance auf Torgefahr wäre so am größten.
Erfolgsfaktor Dominanz im Mittelfeld?
Leitl war es nach dem jüngsten 1:1 gegen Hansa Rostock "erst mal scheißegal, wie der nächste Gegner heißt". Er wolle "Ruhe reinbekommen, die Jungs aufrichten und sie in ihrem Tun bestärken".
Stärke und Dominanz gerade im zentralen Mittelfeld könnten im Niedersachsen-Derby das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen. Zumal beide Teams gut daran tun, ihre Defensive zu entlasten.
Braunschweig auf den Außenbahnen defensiv überfordert
Braunschweig ist zuletzt besonders über die Außenbahnen angreifbar gewesen. Jan-Hendrik Marx und Anton Donkor haben defensiv große Defizite, nicht zuletzt in taktischer Hinsicht. Sollte Eintracht-Coach Schiele nicht umbauen, könnte 96 hier zuschlagen - auch durch die Offensivqualitäten der eigenen Außenverteidiger.
Kommen dann auch noch die Flanken sechs, sieben Meter vor das Tor, würde sich das Team aus der Landeshauptstadt die Schwäche von Torhüter Fejzic zunutze machen, der bei den Entscheidungen, ob er die Linie verlässt oder rausläuft, extrem anfällig ist.
96 auch nach Expected Points am schwächsten
Aber ist Hannover 96 momentan dazu in der Lage, gezielt Schwächen des Gegner auszunutzen? Die sieglosen Hannoveraner sind mit drei Punkten aktuell das schlechsteste Team der Rückrunde - und haben in sieben Spielen gerade einmal acht Tore geschossen. Und anders als in der Hinrunde "lügt" die Tabelle diesmal nicht. Während Eintracht Braunschweig nach Expected Points (5) auf dem Relegationsrang steht, ist Hannover auch hier Tabellenletzter ...