Die Ränge am Millerntor. © imago images / Eibner Foto: Sudheimer /Eibner-Pressefoto

Millerntor mit Maske - mehr St. Pauli als gedacht

Stand: 27.09.2020 19:41 Uhr

2.226 Zuschauer bei einem Heimspiel des FC St. Pauli, nicht einmal zehn Prozent eines vollbesetzten Millerntorstadions: Das kann eigentlich nur trostlos sein - oder? NDR Reporter Thomas Luerweg machte den Selbstversuch in der Gegengerade - und war positiv überrascht.

von Thomas Luerweg, NDR.de

Endlich mal wieder live bei einem Spiel des FC St. Pauli am Millerntor - darauf musste ich lange warten. An diesem Sonntag gegen den 1. FC Heidenheim ist es nun aber soweit, denn ich bin einer der glücklichen Dauerkartenbesitzer, die einen der 2.226 Plätze per Los ergattert haben. Natürlich freue ich mich, bin aber auch skeptisch. Was für ein Fußballerlebnis wird das wohl werden?

So laut können 2.226 Menschen sein

Thomas Luerweg © NDR Foto: Lars Gawel
Thomas Luerweg berichtet vom Millerntor.

Es ist weitere glückliche Fügung, dass eine andere Wartezeit an diesem Tag endet. Vier Mal die Band "Blur" hören an einem Nachmittag, vier Mal den "Song 2", die Tormusik des FC St. Pauli - mehr als eine Saison lang hat es so viele Treffer auf dem Kiez nicht gegeben. Ausgerechnet an diesem Tag sind die "Boys in Brown" treffsicher, ausgerechnet in einem fast leeren Stadion. Aber als Daniel-Kofi Kyereh das 1:0 erzielt, klingt das nicht nach Lücken auf den Rängen, sondern nach ganz viel Enthusiasmus. Unglaublich, wie laut 2.226 Menschen sein können! Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt - die Gegengerade. Die kollektive Freude bricht aus uns heraus und tut gut; egal, dass links und rechts zwei Sitze frei sind und auch eine Reihe vor und hinter mir.

Die Freunde fehlen

Es ist natürlich nicht dasselbe. Meine Gegengeraden-Crew fehlt an allen Ecken und Enden. Noch am 1. März standen wir gegen Osnabrück, dem letzten Heimspiel vor der Corona-Zwangspause, wie üblich zusammen in Block E, Höhe Strafraumkante. Eine Gruppe von Freunden und Kollegen - manche von uns gehen schon 20 Jahre lang zusammen ans Millerntor. Die Gespräche kreisen um Fußball, aber auch um Trump, die AfD und die Welt. Das alles gehört für mich zu einem St.-Pauli-Heimspiel, und es fehlt mir. Und wo bleibt eigentlich Peterle mit der Stadionwurst? Kein anderer von uns ist an diesem Tag im Stadion. Aber die anderen versorgen mich per WhatsApp mit den aktuellen Tabellenständen.

Maske bis zum Sitzplatz

Heute also sitzen. Kommt sonst eher nicht so in Frage. Block G 6 Reihe 11, Sitz 10. Mit Maske zum Platz, ich darf sie erst dort abnehmen. Ungewohnt - aber wieder am Millerntor zu sein, macht mich froh! Schon bei der Vorstellung der Mannschaften wird es erstaunlich laut. Das "Herz von St. Pauli" schmettern die über 2.000 Kehlen inbrünstig (es sind keine Gäste-Fans erlaubt). Ein Gänsehaut-Moment - wie auch die Einlaufmusik "Hells Bells". Das fühlt sich nach Fußball an.

Erst recht, als der Ball rollt. Rechts von mir sitzt - natürlich mit zwei Metern Abstand - Martin aus Lüneburg, dem ich noch nie begegnet bin. Doch wir diskutieren die Aufstellung, schimpfen zusammen und freuen uns gemeinsam über die St.-Pauli-Tore.

Fühlt sich wie St. Pauli an

Ticket für die Heimspielpremiere des FC St. Pauli © Thomas Luerweg Foto: Thomas Luerweg
Ticket für die Heimspielpremiere des FC St. Pauli.

Will ich ein Ticket für das erste Heimspiel? Als ich die Mail bekam, dass ich mich darauf bewerben könne, war ich nicht sicher. Ist das das Millerntor, wie es sein soll? Das Fußballerlebnis, das ich suche? Zumal dieses Ticket trotz Dauerkarte extra kostet. Ich ließ mich darauf ein - und habe mich gefreut, als die Bestätigung kam. Nun weiß ich: Es war die richtige Entscheidung.

"Das Spiel werde ich sicher nie vergessen", sagt Amrey, eine Freundin, die ich in der Schlange vor einer der brandneuen Unisex-Toiletten treffe. Sie hat recht. Trotz Apfelschorle statt Astra, trotz fehlender Stadionwurst, trotz Jubeln auf Abstand, trotz der schmerzlich vermissten Freunde: Es war eine Freude, wieder am Millerntor zu sein.

Alle haben sich an die Vorgaben gehalten, das würdigt auch die Stadionsprecherin. Das ist wichtig, denn möglicherweise dürfen beim nächsten Heimspiel schon 5.900 Zuschauer kommen. Auch ich kehre zurück, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Denn es fühlt sich wie St. Pauli an. Trotz allem.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 27.09.2020 | 22:50 Uhr

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