Denkwürdiges Derby: HSV punktet nach 0:2-Rückstand bei St. Pauli
Das 110. Hamburger Derby hat keinen Sieger gefunden. Der FC St. Pauli und der Hamburger SV trennten sich am Freitagabend in der Zweiten Liga 2:2 (2:0). Dabei holte der HSV einen 0:2-Rückstand auf. Der Punktgewinn war insgesamt glücklich.
Denn die St. Paulianer hatten dem Spiel schon früh ihren Stempel aufgedrückt. Kapitän Jackson Irvine brachte die Hausherren nach einer Ecke in der 15. Minute in Front. Für den zweiten Treffer sorgte der HSV dann selbst: Keeper Daniel Heuer Fernandes jagte den Ball nach einem missratenen Rückpass von Guilherme Ramos ins eigene Tor (27.).
Doch die Gäste kamen wie verwandelt aus der Pause: Mit einem Doppelschlag egalisierten Robert Glatzel (58.) und Immanuel Pherai (60.) mit den beiden ersten Chancen der Gäste und sorgten noch mal für Spannung. Auf dem Spielfeld passierte in der Folge bei dichtem Schneetreiben aber nur noch wenig.
"Wir müssen mit dem 2:2 leben. Aber wir haben das Spiel dominiert und waren meiner Meinung nach die klar bessere Mannschaft." St. Paulis Johannes Eggestein
Beide Fanlager hatten auf dem Weg zum Spiel und auch während der Ball rollte im vollbesetzten Millerntor-Stadion viel Pyrotechnik abgebrannt. Ansonsten blieb es bis zum Abpfiff ruhig. Mehr Einfluss auf das Spiel nahm ohnehin der Schnee - und kühlte vielleicht auch die Gemüter. Mit einem insgesamt glücklichen Remis wahrte der HSV seinen Drei-Punkte-Rückstand auf den Spitzenreiter. Die Verfolger in der Tabelle können nun aber dichter ans Führungsduo heranrücken. Holstein Kiel würde mit einem Sieg am Sonnabend gegen den SV Wehen Wiesbaden sogar am HSV vorbeiziehen.
HSV-Coach Walter zufrieden, St. Paulis Hürzeler nicht
HSV-Trainer Tim Walter fand nach dem 2:2 auf dem Kiez lobende Worte für seine Mannschaft: "Wenn man nach zwei solchen Slapstick-Toren so zurückkommt, ist das aller Ehren wert. Wir haben von Beginn an einen guten Auftritt gezeigt und den Gegner vor Probleme gestellt." In der Pause habe er seinen Spielern Lösungen aufgezeigt. Die eigenen Tore seien "wunderschön herausgespielt" gewesen. Und das Ergebnis bezeichnete er als "absolut verdient".
Die Torschuss-Statistik ging allerdings mit 18:6 klar an die Hausherren. Dementsprechend hatte Fabian Hürzeler auch eine ganz andere Meinung. Das Ergebnis sei "enttäuschend", "sehr, sehr dominant" habe sein Team gespielt. "Wir hatten hochkarätige Chancen zum 3:0, aber wir haben das Spiel nicht gekillt. Und so ist der HSV aus dem Nichts zurückgekommen", ärgerte sich St. Paulis Coach, der "mit der Leistung zufrieden" war, "aber mit dem Ergebnis definitiv nicht". Aber auch aus diesem Spiel werde er versuchen, das Positive herauszuziehen.
Irvine trifft den HSV ins Mark
Die ersten Minuten des Derbys waren verheißungsvoll - mit Offensivaktionen auf beiden Seiten. St. Pauli überzeugte spielerisch, der HSV setzte den Gegner immer wieder mit hohem Pressing unter Druck. Doch mit dem Druck dieses besonderen Duells konnten die Gäste anscheinend deutlich schlechter umgehen als St. Pauli. Nach einer Flanke von Connor Metcalfe ließ HSV-Torwart Heuer Fernandes in der 14. Minute den Ball fallen - und hatte großes Glück, dass seine Vorderleute gerade noch das 0:1 verhindern konnten.
Das Tor fiel aber nur eine Minute später - nach einer einstudierten Eckballvariante: Marcel Hartel zog seine Hereingabe nicht ans Tor heran, sondern überraschte die gegnerische Verteidigung mit einem flachen Zuspiel Richtung Elfmeterpunkt. Dort kam Australier Irvine frei zum Schuss und traf platziert zum 1:0 ins Eck. Der HSV protestierte wegen eines vermeintlichen Fouls an Jonas Meffert, der aber wohl zu leicht zu Boden gegangen war.
St. Pauli legte nun eine Schippe drauf und drängte den Stadtrivalen weit zurück. Hartels Schuss war zu zentral (20.), das Tor von Johannes Eggestein nur Sekunden später zählte nicht, weil Vorbereiter Elias Saad im Abseits gestanden hatte.
Heuer Fernandes schießt unglaubliches Eigentor
Und dann kam die Szene des Spiels - unglaublich bitter für den HSV, eine Lachnummer für alle, die es mit den St. Paulianern hielten und vor allem skurril, weil in der ganzen Situation nicht ein Spieler in braun am Ball war: Heuer Fernandes führte einen Abstoß mit einem kurzen Pass auf Stephan Ambrosius aus, der gleich den nächsten zu Ramos spielte. So weit so normal in der Walter'schen Spielidee, trotz der schwierigen Platzverhältnisse.
"Der Ball titscht unglücklich auf und landet dann im Tor. Das ist ärgerlich und maximal unglücklich. Und es sieht natürlich scheiße aus." HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes
Der Portugiese Ramos wollte allerdings noch einmal zu seinem Landsmann im Tor zurückpassen und der hatte sich "freigelaufen". Der Pass wurde so zum unbeabsichtigten Torschuss. Der Ball wäre wahrscheinlich am Tor vorbeigehoppelt, aber Heuer Fernandes wollte kein Risiko eingehen und machte damit die Slapstick-Einlage perfekt. Denn weil der Ball kurz vor ihm über den unebenen Rasen aufsprang, missriet sein versuchter Befreiungsschlag vollends. Heuer Fernandes drosch den Ball an die Unterkante der Latte und fabrizierte somit ein total verrücktes Eigentor, wie es bisher kaum eines gegeben haben dürfte (27.).
Es spricht für den HSV, dass die Mannschaft in der Folge nicht auseinanderfiel. Aber auch wenn sie um eine Antwort bemüht war, mehr als Gelbe Karten für Ramos und Meffert, für den es die fünfte war (Pause gegen Paderborn), war nicht zu verzeichnen. St. Pauli spielte konzentriert weiter und verteidigte geschickt.
Glatzel und Pherai bestrafen St. Paulis Schlafmützigkeit
Nach der Pause gab es zunächst wegen abgebrannter Pyrotechnik eine Verzögerung, dann durch den stärker werdenden Schneefall. Deshalb wurde fortan mit einem orange-farbenen Ball gespielt. Doch trotz der Warnfarbe ließen die St. Paulianer in der Abwehr plötzlich jeglichen Durchblick vermissen. Nach scharfer Hereingabe von Ignace van der Brempt musste Glatzel den Ball nur noch über die Linie drücken. Beim nächsten Angriff konnte Pherai den Ball am Elfmeterpunkt ungestört annehmen, sich drehen und einschießen. Nach einer Stunde war das Spiel, nach den beiden ersten echten Chancen des HSV, wieder vollkommen offen.
Mit kleineren Chancen von Metcalfe (63.) und Joker Etienne Amenyido (70.) sowie einem Flugkopfball von Hartel in die Arme von Heuer Fernandes (71.) meldete sich St. Pauli wieder zurück. Nachdem die Linien vom Neuschnee befreit worden waren, ging es dann in die Schlussphase. Allerdings konnten sich die Hausherren gegen eine konzentriertere HSV-Abwehr keine Chancen mehr erspielen. Mit der guten Abwehrarbeit bis tief in die mehr als neunminütige Nachspielzeit verdienten sich die Gäste am Ende zumindest in dieser Hinsicht noch den Punkt. Und St. Pauli bleibt auch im 15. Saisonspiel ungeschlagen.
Polizei zieht am Abend ein positives Zwischenfazit
Die Polizei zog am Abend - rund zwei Stunden nach Abpfiff - ein positives Zwischenfazit: "Unser Sicherheitskonzept, das im Herzstück die strikte Trennung der Fans vorsieht, hat sich bewährt", resümierte Polizei-Sprecherin Sandra Levgrün. Ein Aufeinandertreffen habe verhindert werden können. Rund 1.700 Polizistinnen und Polizisten waren rund um das Stadtderby im Einsatz.