St. Paulis Schultz: Einfluss des Geldes im Fußball zu hoch
Timo Schultz kann wieder ruhig schlafen: zehn Plätze rauf in drei Monaten. Doch viele Entwicklungen bereiten dem St.-Pauli-Coach Sorgen. Er beklagt den Turbo-Kapitalismus im Fußball und den Umgang mit den Trainern.
Man könnte Timo Schultz durchaus als ein St.-Pauli-Urgestein bezeichnen. 2005 kam der heute 43-Jährige ans Hamburger Millerntor. Beim Aufstieg in die Bundesliga 2010 stürmte er den Fußball-Himmel, und als Trainer durchlebte er jüngst Qualen des Abstiegskampfes. Vor ein paar Wochen noch stand "Schulle" vor dem Rauswurf, weil "das Spielglück fehlte", wie er meint. Als Tabellen-17. hatten die Kiezkicker den Abstieg vor Augen. Inzwischen ist St. Pauli nach dem 2:1 gegen Greuther Fürth Siebter und erfolgreichster Zweitliga-Club der Rückrunde.
Schultz: Aufstieg nicht realistisch
In drei Monaten vom Abstiegs- zum Aufstiegskandidaten? "Auf dem Boulevard gibt es nur noch schwarz oder weiß", sagte Schultz im NDR Sportclub und gewährt dabei Einblick ins Seelenleben eines angezählten Trainers. Natürlich sei es ihm im Dezember nicht so gut gegangen wie jetzt. "Da schläft man schlechter." Und nun gleich vom Aufstieg reden? "Ich sehe das nicht als realistisch an. Die Saison ist für uns vier, fünf Spieltage zu kurz. Sonst würde ich mich darauf einlassen."
Mehr Gelassenheit und Vertrauen für Trainer
Schultz genießt den Lauf, den sein Team momentan hat. Rundum zufrieden ist er dennoch nicht. Wohl mit sich und dem FC St. Pauli, nicht aber mit manchen Entwicklungen im Fußball. Speziell der Umgang mit Trainern heutzutage bereite ihm Sorgen. "Was da so abgeht", sagte Schultz. "Es wird alles immer schneller. Ich glaube, alle wären besser beraten, wenn sie gelassener an die Sache herangingen und ihrem verantwortlichen Personal etwas mehr Vertrauen geben würden." Allenthalben würde Konstanz gefordert. "Und der Erste, der rausfliegt, ist immer der Trainer. Ich weiß nicht, ob das so richtig ist."
Kritik an Champions-League-Reform
Kritisch sieht Schultz auch, wie sich das Premiumprodukt Fußball in seiner Gier immer mehr einem Turbo-Kapitalismus unterwirft, der sich in den Plänen der vorerst gescheiterten Super League, aber auch in der jüngst verabschiedeten Champions-League-Reform manifestiert. Solche Entwicklungen würden sogar sein Verhalten als Fußball-Konsument verändern, so Schultz: "Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich in der Halbzeit keine Lust mehr habe und ins Bett gehe." Von den Granden der Europäischen Fußball-Union (UEFA) beschlossen, soll es in der "Königsklasse" von 2024 an unter anderem 100 Spiele mehr geben - und vor allem einen Batzen mehr Einnahmen für die beteiligten Top-Clubs bringen.
Immer mehr Spiele: "Zu viel des Guten"
Dabei laufen vor allem die Nationalspieler schon jetzt auf der letzten Rille, wie es heißt. Immer mehr Spiele lassen immer weniger Raum für Regenerationsphasen, was vermutlich zu mehr körperlichem Verschleiß und Verletzungen führen wird. Das befürchten Akteure und Mediziner gleichermaßen. "Zu viel des Guten", nennt es der frühere Finanzgeschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL), Christian Müller. Sportsoziologe Gunter Gebauer sieht derweil die Tendenz, dass sich die Verbundenheit zwischen Fans und Vereinen aufzulösen scheint.
Geld wichtiger als Spieler
"Der Einfluss des Geldes ist sicherlich sehr viel höher als der von Spielern und Trainern", erklärte Schultz. Für Martin Endemann, Politologe und Projektmanager bei Football Supporters Europe, ist die reformierte Champions League so gesehen nur eine "kleine Super League". Triebfeder der Expansion seien die Schulden vieler Spitzenclubs, die sich allein bei Real Madrid inzwischen auf über eine Milliarde Euro belaufen sollen. Es wäre wünschenswert, so Schultz, wenn alle nur das ausgeben würden, was sie auch einnehmen.
Schultz: Kein Pardon für Pleite-Clubs
Getreu dem international vereinbarten Financial Fairplay. Aber den "hanseatischen Ansatz", wie Schultz es nennt, verfolgen heute die wenigsten Clubs. Die Kultur sei in manchen Ländern eben anders. "Und es klappt ja auch: Wenn man einfach mehr ausgibt, dann kommt auch mehr wieder rein. Wenn es dann nicht klappt, hilft der Staat oder irgendeine Bank oder eine Reform."
Mit der Einführung einer Gehaltsobergrenze, der sogenannten Salary Cap, tue er sich trotz allem schwer: "Da gibt es dann immer noch eine Hintertür und wieder Möglichkeiten, doch mehr Geld auszugeben." Der Markt müsse sich regulieren. "Und wenn das bedeutet, dass ein großer Verein vor die Wand fährt, dann ist das so."