Profi wird Pate - Wie der DFB Schiedsrichter-Schwund bekämpfen will
Der DFB will mit der Aktion "Profi wird Pate" dem Rückzug von Schiedsrichtern aus dem Spielbetrieb entgegenwirken. Dabei werden Profi-Referees als Pate für Neulinge im Amateurfußball eingesetzt. Am Sonntag machte der Bundesliga-Unparteiische Patrick Ittrich den Anfang und nahm den 16-jährigen Marcel Kertzsch an die Hand.
Es herrscht hektische Betriebsamkeit auf der Sportanlage des Oststeinbeker SV. Auf der einen Seite des Kunstrasenplatzes duelliert sich die 1. D-Jugend des schleswig-holsteinischen Clubs gerade mit der SV Billstedt-Horn, auf der anderen Seite des Feldes machen sich die Spielerinnen und Spieler der 2. D-Jugend für ihre Partie gegen die SG Börnsen/Escheburg warm.
Viele Zuschauende holen sich eine Erfrischung oder Leckerei an dem kleinen Verkaufsstand, hinter dem Spielermutter Katharina Schramke steht und verwundert feststellt: "Was ist denn hier los? Sonst verkaufen wir eine Kanne Kaffee - heute sind es schon zwölf."
Der vergleichsweise große Andrang ist auf einen Mann zurückzuführen, der unweit von ihr auf einer Holzbank Platz genommen hat: Patrick Ittrich. Der 44-jährige Hamburger ist einer der besten deutschen Schiedsrichter und ein Star seiner Zunft. Auch an diesem Tag wird er von Jugendlichen um Selfies und Autogramme gebeten. Doch erst einmal gilt die ganze Aufmerksamkeit des Polizeibeamten Marcel Kertzsch, für den er die Patenschaft übernommen hat.
Patensystem soll "Praxisschock" abmildern
Ittrich wird dem Schüler, der erst eine Hand von Spielen geleitet hat, an diesem verregneten Nachmittag bei administrativen Abläufen wie der Platzkontrolle, dem Spielbericht und der Passkontrolle unterstützen und ihm Tipps und Hilfestellungen geben, wie er sich während der Begegnung idealerweise zu verhalten hat. Der Teenager erhält also quasi das Rundum-Sorglos-Paket.
Die Idee dahinter erklärt Ronny Zimmermann, der für das Schiedsrichterwesen zuständige DFB-Vizepräsident: "Viel zu oft hören junge Schiris nach ihrer Ausbildung zu schnell wieder mit dem Pfeifen auf. Als Hauptgrund wird häufig der Praxisschock genannt, der durch das DFB-Patensystem abgemildert werden soll."
Derzeit knapp 54.000 Fußball-Schiedsrichter in Deutschland
Hinter dem ziemlich bürokratisch klingenden Begriff "Praxisschock" verbirgt sich die teilweise bittere Schiedsrichter-Realität. Unparteiische werden nicht nur immer wieder von Aktiven beschimpft, sondern vereinzelt auch körperlich angegangen. Hinzu kommen auf Amateurebene geringe Spesen und nicht selten weite Anfahrten zu den Spielen.
15 Jahre lang war die Zahl der aktiven Referees rückläufig, seit der vergangenen Serie ist sie wieder leicht steigend. Nach DFB-Angaben gibt es aktuell rund 53.600 Unparteiische, die pro Spielzeit 1,3 Millionen Partien leiten. Einer von ihnen ist Kertzsch, der beim Oststeinbeker SV nicht nur in der B-Jugend selbst Fußball spielt, sondern nun auch seit kurzer Zeit für den Club aus dem Hamburger Speckgürtel als Schiedsrichter aktiv ist.
Und der 16-Jährige hat offenbar bereits Eindruck hinterlassen. "Wir haben nach einem geeigneten Kandidaten aus dem Schiri-Neulingslehrgang gesucht und ihn als den geeigneten Kandidaten angesehen", erklärt Stephanie Nehls, Obfrau beim Bezirksschiedsrichterausschuss Ost des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV), warum Kertzsch für die DFB-Aktion "Profi wird Pate" ausgesucht wurde.
DFB will explizit Jung-Referees unterstützen
Der DFB hat für seine Aktion mächtig die Werbetrommel gerührt, sogar eigene Mitarbeiter aus der Zentrale in Frankfurt/Main ins beschauliche Oststeinbek geschickt. Auch diverse Medienvertreter sind erschienen. Kertzsch ist der Rummel sichtlich unangenehm.
Das bemerkt auch Ittrich, der sogleich in die Rolle des Bodyguards für den Teenager schlüpft. "So, und nun lasst uns in Ruhe", sagt der Bundesliga-Referee zu den Kameraleuten und Fotografen, nachdem er mit Kertzsch die Platzbegehung gemacht hat. Hernach zeigt der 44-Jährige dem Nachwuchsschiedsrichter noch die besten Aufwärmübungen, bevor beide in der Umkleidekabine verschwinden.
Kurz darauf ruft Kertzsch die Spielerinnen und Spieler zusammen. Kurz bevor er sie aufs Feld führen will, gibt es den ersten (wenn auch nicht ernstgemeinten) Bestechungsversuch in seiner jungen Schiedsrichter-Karriere. "Du gibst uns einen Elfmeter aus, oder?", ruft ihm ein Kicker des OSV zu. Die Gastgeber haben ihre vergangenen drei Saisonspiele haushoch verloren. Da kann man schon mal versuchen, dem Glück ein wenig nachzuhelfen - scheint sich jedenfalls der Steppke gedacht zu haben.
Ittrich begeistert: "Hat es sehr, sehr, sehr gut gemacht"
Nach dem Anpfiff von Kertzsch dauert es dann auch nicht lange, bis der Ball zum ersten Mal im Oststeinbeker Gehäuse liegt. Es folgen weitere Gegentreffer für das Tabellenschlusslicht. Der Frust hält sich dennoch sowohl bei den Stormarner Kickerinnen und Kickern als auch bei den Eltern in Grenzen. Kritik oder gar Beleidigungen bleiben aus. Stattdessen wird von außen irgendwie versucht, den Kleinen Beine zu machen.
"Ich habe meinem Sohn versprochen, dass er mir eine Scheibe Schmelzkäse auf die Glatze legen darf, wenn er ein Tor macht", erzählt Kai Schramke. Die kalorienreiche Revitalisierungskur für sein kahles Haupt bleibt aus. Sohnemann Colin zeigt vor dem gegnerischen Kasten Nerven und spielt zu allem Überfluss auch noch einen ziemlich haarsträubenden Fehlpass im Mittelfeld. "Heute gibt es dann mal kein Taschengeld", witzelt sein Papa.
Während die Spielereltern scherzen, der Himmel über Oststeinbek immer weiter seine Schleusen öffnet und der OSV weitere Treffer hinnehmen muss, ist Kertzsch fast ein Phantom. Er muss in der äußerst fairen Partie nur vereinzelt eingreifen. Und ein unauffälliger Schiedsrichter ist bekanntlich ein guter Schiedsrichter. "Er hat es heute wirklich sehr, sehr, sehr gut gemacht", ist auch Pate Ittrich voll des Lobes für den 16-Jährigen.
Schiedsrichterei als "sensationelle Lebensschule"
Die ersten kleinen Schritte in seiner Schiedsrichter-Laufbahn hat Kertzsch gemacht. Angst vor Anfeindungen oder Angriffen habe er nicht, versichert der Teenager: "Ich hatte auch zuerst Bedenken. Dann habe ich mir aber Spiele angeschaut, dabei auf den Schiedsrichter geachtet und gemerkt, dass es Spaß bringen könnte", sagt der Jung-Referee. Ob er seinem Vorbild Ittrich ("Ich finde es cool, ihn an der Seite zu haben") nacheifern möchte, darüber ist er sich aber noch unschlüssig: "Ich weiß noch nicht, ob ich Profi-Schiedsrichter werden will." Zeit für die Entscheidungsfindung hat der Schüler noch sehr viel.
Ittrich macht jedenfalls keinen Hehl daraus, dass er sich sehr freuen würde, wenn sein Pate und bestenfalls noch ganz viele andere junge Menschen seinem Weg folgen würden: "Schiedsrichter zu sein ist eine unfassbar geile und sensationelle Lebensschule. Durch den Job der Schiedsrichterin und des Schiedsrichters lernst für dein Leben alle Attribute, die du brauchst."