Lutz Eigendorf: Tod eines "Republikflüchtlings"
1983 kam der DDR-Flüchtling und Braunschweiger Fußballprofi Lutz Eigendorf alkoholisiert bei einem Autounfall zu Tode. Experten glauben an einen Mord der Stasi. Was geschah an jenem 5. März?
Zwischen Lutz Eigendorfs letztem Lebenszeichen und seinem Autounfall liegt nur eine gute Stunde. 60 Minuten, die in ihrem Ablauf bis heute nicht restlos aufgeklärt sind.
Am Abend des 5. März 1983 wird der Fußballprofi um 22 Uhr das letzte Mal lebend gesehen. In der Kneipe "Cockpit" nimmt der damalige Spieler des Bundesligisten Eintracht Braunschweig ein letztes Getränk mit seinem Fluglehrer Manfred Müller. Dann setzt sich der damals 27-Jährige, der am Nachmittag bei der Niederlage seines Clubs gegen den VfL Bochum nur auf der Bank gesessen hatte, in seinen schwarzen Sportwagen.
Um 23.08 Uhr geht ein Anruf bei der Polizei in Braunschweig ein. Wenige Kilometer entfernt vom Flugplatz sei auf der Forststraße ein schwerer Verkehrsunfall passiert. Eigendorfs Wagen ist von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Der Eintracht-Spieler trägt schwere Kopfverletzungen davon. Zwei Tage später ist Eigendorf tot. Die von der Polizei am Unfallort entnommene Blutprobe weist eine Blutalkoholmenge von 2,2 Promille auf. Im Abschlussbericht wird der Unfall demnach auf übermäßigen Alkoholgenuss zurückgeführt.
DDR-kritische Interviews
Ein verärgerter Fußballprofi fährt sich betrunken zu Tode, das glauben damals viele. Dass einige Experten dieser Version keinen Glauben schenken und ein Mordkomplott vermuten, liegt an Eigendorfs Vergangenheit. Er ist ein "Republikflüchtling". Abgehauen aus der DDR, wo er beim Berliner FC Dynamo zum Nationalspieler wurde. Am 20. März 1979 ergreift Eigendorf die Gelegenheit zur Flucht. Er und sein Team machen auf der Rückfahrt von einem Freundschaftsspiel beim 1. FC Kaiserslautern in Gießen einen Zwischenstopp. Beim Stadtbummel setzt sich Eigendorf ab.
Das haben vor ihm schon viele DDR-Sportler getan, doch Eigendorf steht als Dynamo-Spieler unter besonderer Beobachtung. Der Berliner Verein gilt als Stasi-Club schlechthin. Der "Beckenbauer der DDR", wie Eigendorf ob seiner spielerischen Klasse genannt wird, hat sich damit einen mächtigen Mann zum Feind gemacht - Erich Mielke.
Der Minister für Staatssicherheit und Präsident des BFC soll die Flucht des größten Talents des DDR-Fußballs persönlich genommen haben. Aus den später gesichteten Stasi-Unterlagen geht hervor, dass in den folgenden Jahren zahlreiche Spitzel auf Eigendorf angesetzt waren. Zudem reizt der Profi, der nach seiner Flucht zunächst für Kaiserslautern spielt und 1982 in den Norden zur Eintracht wechselt, Mielke und Co. mit Regime-kritischen Interviews.
IM "Klaus Schlosser" als Schlüsselfigur
Nicht wenige glauben deshalb an einen Mord im Auftrag der Stasi. Für einiges Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang der ARD-Film "Tod dem Verräter" von Heribert Schwan aus dem Jahr 2000. Der Historiker ist ein Verfechter der Mord-Theorie und will in den Stasi-Akten einen handschriftlichen Beweis für die angeordnete Tötung Eigendorfs gefunden haben. Zusammen mit seinen Erkenntnissen nach Gesprächen mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern rekonstruiert Schwan die letzte Stunde in Lutz Eigendorfs Leben, die jedem Agenten-Krimi gut zu Gesicht stehen würde.
Demnach habe der Mörder Eigendorf in dessen eigenem Auto gekidnappt. Unter Todesdrohung sei ihm Alkohol mit einer giftigen Substanz verabreicht worden. Nach der Aufforderung, sofort zu verschwinden, sei der Fußballer in großer Angst losgerast. In der Kurve, die Eigendorf zum Verhängnis wurde, soll ihn ein anderer Wagen "verblitzt" haben. So nannte der DDR-Geheimdienst das kurzfristige Blenden durch das Fernlicht der Auto-Scheinwerfer.
Indirekt beschuldigt Schwan in seinem Film den Stasi-Spitzel Karl-Heinz Felgner alias IM "Klaus Schlosser" der Tat. Der alte Weggefährte Eigendorfs aus Ostberliner Zeiten wurde nach der Flucht in die Nähe des Kickers geschleust. Allerdings: Die Stasi-Akten des IM "Klaus Schlosser" für die Jahre 1980 bis 1983 fehlen. Diese Tatsache werten sowohl die Anhänger als auch die Gegner der Mord-Theorie als Beleg für ihre Auffassungen. Felgner selbst sagte am 9. Februar 2010 vor dem Düsseldorfer Landgericht aus, er habe den Mordauftrag angenommen, aber nicht ausgeführt.