Kinderfußball in der Großstadt: Wir müssen leider draußen bleiben

Stand: 12.07.2024 12:30 Uhr

Die Fußball-Nationalmannschaft hat durch leidenschaftliche Auftritte bei der Heim-EM eine Begeisterungswelle ausgelöst. Viele Jugendliche wollen Jamal Musiala und Co. nacheifern. Doch weil Plätze und Trainer rar sind, bleibt insbesondere in Großstädten vielen der Weg in die Vereine verwehrt. So stehen in Hamburg Tausende Kinder bei Clubs auf Wartelisten.

von Hanno Bode

Es geht zu wie im Taubenschlag auf dem Jonny-Rehbein-Sportplatz des USC Paloma, der passenderweise eine Taube im Vereinslogo hat. Nachmittags trainieren auf dem Kunstrasenfeld an der Brucknerstraße bis zu 100 Nachwuchskicker gleichzeitig. Der Verein aus dem Arbeiterquartier Barmbek ist längst an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen. "Wir haben so viele Kinder hier im Umfeld, die mit ihren Freunden Fußball spielen wollen. Aber das können wir ihnen nicht bieten. Wir haben nur einen Platz, bräuchten aber einen zweiten", klagt Jugendleiter Taner Dulak im NDR Gespräch.

Der USC hat aktuell 24 Jugendteams. Der Club könnte problemlos zehn weitere Mannschaften für den Spielbetrieb melden. Über 100 Kinder stehen derzeit auf einer Warteliste und hoffen teilweise bereits seit mehr als einem Jahr darauf, im Verein aufgenommen zu werden. Ihre Chancen, bald im "Tauben"-Trikot auflaufen zu dürfen, sind momentan gering.

Denn Paloma hat nicht nur ein Platzproblem. Dem Club mangelt es auch an Trainern und Betreuern. Er bräuchte 20 zusätzliche ehrenamtliche Helfer, um alle Kinder von der Warteliste aufnehmen zu können.

HFV-Boss Okun sieht Politik in der Pflicht

Der USC ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr standen über 5.500 Kinder bei Vereinen aus der Hansestadt auf Wartelisten, wie eine Umfrage des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) ergab. Auch wenn die Zahl etwas irreführend ist, da viele Eltern ihren Nachwuchs bei gleich mehreren Clubs auf die Warteliste gesetzt haben, ist sie für HFV-Präsident Christian Okun alarmierend. "Das beschäftigt uns sehr", sagte der 45-Jährige im Hamburg Journal.

Christian Okun, Präsident des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) © picture alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner Pressefoto/Marcel von Fehrn
HFV-Präsident Christian Okun fordert mehr Unterstützung von der Politik.

Der Verbandschef sieht die Politik in der Bringschuld: "Die Umwandlung der Grand- in Kunstrasenplätze durch die Stadt langt einfach nicht. Wir brauchen mehr Sportflächen in einer wachsenden Stadt mit mehr Bevölkerung. Was wir heute an Flächen haben, ist viel zu wenig."

Das Problem, da ist sich der Jurist und Hobby-Schiedsrichter sicher, wird nun noch größer. "Wir haben eine tolle Europameisterschaft erlebt mit entsprechend positiven Bildern. Die Kinder wollen Fußball spielen - und es werden mehr werden", erklärte Okun.

Neuendorf fordert bessere Sportinfrastruktur

In dieselbe Kerbe schlägt auch Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). "Wir brauchen unter anderem mehr Trainerinnen und Trainer. Hierfür zu sorgen ist unsere Aufgabe als Verband. Die Politik ist hingegen gefordert, wenn es um die Bereitstellung einer guten Sportinfrastruktur geht", sagte der 63-Jährige der "Rheinischen Post".

Es gebe vor allem in den Ballungszentren zu wenige Fußballplätze, beklagte Neuendorf: "Ganz allgemein geht es um die Sanierung von Vereinsheimen, Kabinen und Sanitäranlagen. Unser gemeinsamer Anspruch muss sein, dass jede und jeder, die und der Fußball spielen möchte, dies auch unter annehmbaren Bedingungen tun kann."

Behörde verweist auf "riesiges Investitionsprogramm"

Die angesprochene Politik weiß um die Problematik und ist bemüht, Abhilfe zu schaffen. "Das eine ist, dass wir den Vereinen massiv unter die Arme greifen, wenn es darum geht, Trainerinnen und Trainer auszubilden. Dafür tun wir eine ganze Menge, auch finanziell", sagte Daniel Schaefer, Sprecher Hamburger Behörde für Inneres und Sport. "Und das zweite Thema ist eben der Ausbau der Sportinfrastruktur. Hier fährt Hamburg ein Riesen-Investitionsprogramm durch die Umwandlung in Kunstrasenplätze, aber auch in zusätzliche Großspielfelder."

Die Aufwendungen für Sportinfrastrukturmaßnahmen hätten 2023 bei insgesamt gut 92 Millionen Euro gelegen, zudem habe Hamburg im Rahmen seiner "Qualifizierungsoffensive" eine sechsstellige Summe zur Verfügung gestellt, um sogenannte C-Lizenzen für Trainer und Übungsleiter zu finanzieren. "Insgesamt wurden so in den letzten Monaten rund 550 Lizenzen bezuschusst, darunter allein 150 im Fußball-Bereich", so Schaefer.

Video
Ein Kind tritt auf einem Fussballplatz gegen einen Ball. © Screenshot
2 Min

170 Kinder auf Warteliste des Hamburger Fußballvereins HEBC

Wie in anderen Innenstadt-Vereinen fehlen genügend Trainer. Auch knappe Sportflächen führen in der Großstadt zu den Wartelisten. 2 Min

Das Budget der Stadt für den Sportstättenbau ist dennoch begrenzt. Und Flächen, auf denen neue Felder gebaut werden können, sind rar. Immerhin erfolgte im Mai der Spatenstich für einen Liga-Betrieb tauglichen Fußballplatz in der 2008 gegründeten HafenCity.

Für das umstrittene Stadtentwicklungsgebiet Oberbillwerder, in dem 6.000 bis 7.000 Wohneinheiten entstehen sollen, wünscht sich Okun aber bei der Bereitstellung von Sportflächen eine höhere Priorität. "Dort sollen für 20.000 Menschen 1,5 Plätze gebaut werden. Das ist viel, viel zu wenig", kritisiert der HFV-Boss. Schaefer verweist dagegen auf die vielfältigen und "von Anfang an mitgeplanten" Sportanlagen - darunter auch "mindestens zwei Großspielfelder".

HFV will Ehrenamt weiter fördern und stärken

Ob sich die Warteliste zügig verkürzen lässt, erscheint indes fraglich. Schließlich hängt hinter jeder Neuerschließung eines Fußballplatzes ein großer behördlicher Akt. Beim Problem der fehlenden Ehrenamtler will der HFV den Clubs noch stärker als ohnehin schon unter die Arme greifen. "Wir bilden viele Menschen aus, die ein Interesse daran haben, Jugendliche beim Training anzuleiten. Das wollen wir auch noch mehr machen", verspricht Okun. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die "Verabschiedungskultur", so der 45-Jährige.

"Wenn ein Jugendlicher oder Erwachsener sagt, dass er nicht mehr möchte, müssen wir ihn verabschieden. Vielleicht kommt er irgendwann - nach dem Studium oder der Berufsausbildung - ja zurück in den Verein. Nicht jeder ist im Ehrenamt gefangen", erklärte Okun.

170 Kinder bei Stadtteilclub HEBC auf der Warteliste

Was er meint, zeigt sich beim Hamburg-Eimsbütteler Ballspiel-Club. Dort ist Holger Gustmann nicht nur Jugendleiter, sondern trainiert auch die G-Junioren. Und zwar gemeinsam mit seinen beiden Söhnen, die allerdings in absehbarer Zeit nach ihren Schulabschlüssen und dem Beginn ihrer Ausbildungen vermutlich aufhören werden. Dann wird für Gustmann die Suche nach Mithelfern von vorne beginnen. Denn auch dem HEBC, wie der Jugendclub der späteren Bundesliga-Profis Thomas Wolter, Frank Neubarth und Daniel Brückner gerufen wird, fehlen Trainer und Betreuer. Sehr zum Leidwesen des Fußball-Nachwuchses. Auf der Warteliste des Clubs stehen aktuell rund 170 Namen.

"Ich habe jetzt 18 Kinder, das ist eigentlich schon zu viel. Ich würde gerne noch mehr Kinder von der Warteliste befreien. Aber jeder Trainer, der fehlt, hindert mich daran", erklärte Gustmann dem NDR. Wie er sich dabei fühlt, Kinder abweisen zu müssen? "Nicht gut."

Paloma versucht mit "Mini-Club" Abhilfe zu schaffen

Nachwuchskickern die Vereinsaufnahme verwehren zu müssen, das führt auch bei den Trainerinnen und Trainern des USC Paloma regelmäßig zu Schuldgefühlen. "Es hat mir auch schon mal das Herz gebrochen, wenn sie dann denken, dass sie nicht gut genug sind und deswegen nicht reindürfen. Aber es hat damit gar nichts zu tun. Wir haben einfach keinen Platz", sagte Scarlet-Arabella Drawert. Sie betreut den sogenannten Mini-Club des USC.

Dort können Kinder, die 2017 oder später geboren wurden, unangemeldet zum Fußball spielen in einem Mini-Feld auf dem Jonny-Rehbein-Sportplatz vorbeikommen. Ein Angebot, das viele Eltern annehmen. So auch Marcin Wolski, dessen Sohn regelmäßig dort mitkickt. Der Vater wünscht sich dennoch, dass sein Steppke bald das USC-Trikot als richtiges Vereinsmitglied überstreifen darf: "Die EM hat das Ganze noch emotionaler gemacht. Alle wollen wie Cristiano Ronaldo oder Musiala sein, wollen mitmachen und einfach Fußball spielen. Aber es geht halt nicht. Und da war mein Sohn sehr traurig."

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir in Zweifel gezogen, "ob überhaupt jemals im Schatten der Elbphilharmonie um Punkte gekickt werden wird". Tatsächlich war im Mai der Spatenstich für einen Liga-Betrieb tauglichen Fußballplatz in der HafenCity erfolgt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 10.07.2024 | 19:30 Uhr

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