SpVg Aurich: DFB-Reform trübt Zukunfts-Träume der U17-Juniorinnen

Stand: 24.04.2024 10:02 Uhr

Die SpVg Aurich mischt als kleiner Club aus Ostfriesland erneut die Bundesliga der U17-Juniorinnen auf. Doch der DFB schafft den Wettbewerb ab. Eine Fehlentscheidung? In Aurich herrscht großes Unverständnis, der Club will aber nicht aufgeben.

von Karsten Lübben

Stefan Wilts hätte eigentlich allen Grund zur Freude. Bereits vor dem letzten Spieltag der Saison stehen seine U17-Juniorinnen der SpVg Aurich in der Bundesliga-Staffel Nord/Nordost als Siegerinnen fest. Der Traum vom Gewinn der deutschen Meisterschaft lebt bei den Ostfriesinnen. Nachdem sie in der vergangenen Saison das Finale gegen Bayer Leverkusen mit 1:2 verloren haben, soll dieses Mal der große Coup gelingen.

Am 11. Mai steigt in Aurich vor großer Kulisse das Hinspiel im Halbfinale. Schon im vergangenen Jahr kamen 3.000 Anhänger in das Stadion am Ellernfeld, um die Mannschaft im Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt anzufeuern.

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DFB: Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis

All die Euphorie geht bei Wilts aktuell jedoch auch mit einer Menge Wehmut einher. Der Grund: Die U17-Bundesliga, wie Aurich sie seit dem Aufstieg 2018 kennt, wird es ab der kommenden Saison nicht mehr geben. Der Deutsche Fußball-Bund schafft die Liga ab, weil seiner Auffassung nach Aufwand und Ertrag in keinem gesunden Verhältnis zueinanderstehen. "Viele Spielerinnen haben weite Anfahrten zu Spielen, in denen sie nur bedingt gefördert und gefordert werden", schreibt der DFB auf seiner Webseite.

Diese Reisen quer durch das Land seien für ein Spiel einfach zu weit. Und die Anzahl der Spielerinnen, die es aus der U17-Bundesliga dann tatsächlich in die Frauen-Bundesliga schaffen, schlichtweg zu gering.

Dorfduelle statt Spiele gegen Wolfsburg und HSV

Sina Brühl und Lucy Minne (v.l.) von der SpVg Aurich beim Frühstück in ihrer Wohngemeinschaft ©  Karsten Lübben
Sina Brühl und Lucy Minne (v.l.) haben eine der sechs Wohngemeinschaften bezogen, welche die SpVg Aurich stellt.

Beim aktuellen Vizemeister kommt dies nicht gut an. In den vergangenen Jahren hat die SpVg Aurich an der Nordseeküste ein Leuchtturm-Projekt in der Förderung des Mädchenfußballs geschaffen. Aus dem gesamten Bundesgebiet ziehen jährlich neue Talente nach Ostfriesland, um ihre Chance in der U17-Bundesliga zu ergreifen. Der Club kümmert sich vor Ort um ihre Betreuung.

Die Spielerinnen sind in insgesamt sechs Wohngemeinschaften untergebracht und gehen in Aurich ganz normal zur Schule. Fünfmal pro Woche steht Training an, um sich am Wochenende dann in der Beletage mit Kalibern wie dem VfL Wolfsburg, Werder Bremen oder dem HSV zu messen. Bald ist dies jedoch vorbei. Dann sollen die U17-Juniorinnen über die Dorfplätze der Region tingeln, um gegen Jungs aus dem U15-Bereich anzutreten. Voraussichtlich spielen diese in der Landesliga. Womöglich auch nur in der Bezirksliga.

Torjägerin Minne: "Wir waren echt schockiert"

Bei den Spielerinnen stößt dies auf keine Gegenliebe. "Wir haben uns alle gewundert und waren echt schockiert", sagt Lucy Minne. Die Stürmerin ist aus Göttingen nach Aurich gekommen, um in der Bundesliga mitmischen zu können. Mit 13 Treffern liegt sie aktuell auf dem zweiten Platz der Torjägerinnenliste der Staffel. Bis zuletzt, so die 15-Jährige, habe sie gehofft, dass es doch noch ein Umdenken gibt und die U17-Bundesliga weiterhin bestehen bleibt. Den Sinn der Reform kann sie nicht nachvollziehen.

"Wenn man klein ist, mit dem Fußballspielen anfängt, denkt man sich: 'Boah, ich habe auch Lust, mal gegen den VfL Wolfsburg zu spielen'. Aber jetzt geht das nicht mehr." Sina Brühl von der SpVg Aurich

"Es war immer eine große Ehre, gegen so große Vereine zu spielen", erzählt sie. Weil jetzt die Perspektive U17-Bundesliga wegfällt, befürchtet sie, dass zukünftig talentierte Spielerinnen auf einen Wechsel zu einem im Mädchenfußball professioneller aufgestellten Verein verzichten und ohne diesen Anreiz lieber bei ihren Heimatvereinen bleiben.

Aurich punktet durch Infrastruktur und familiäres Miteinander

Minne wohnt direkt am Ellernfeld in einer WG mit ihrer Mitspielerin Sina Brühl. Es gibt eine WG-Betreuerin, doch den Haushalt müssen die Spielerinnen allein schmeißen. Von ihrem Küchenfenster können die beiden direkt auf den Fußballplatz blicken, auf dem sie am 25. Mai das Finale um die deutsche Meisterschaft bestreiten wollen. Brühl ist 2022 aus ihrer Heimat, dem baden-württembergischen Donzdorf, in den hohen Norden gewechselt.

Die tolle Förderung durch das häufige Training, die Infrastruktur, die qualifizierten Trainer und das familiäre Miteinander im Club haben sie überzeugt. "Ich habe hier eine Riesenchance gesehen. Dann hatte ich richtig Lust, das auszuprobieren", blickt sie zurück. Den Schritt hat die Mittelfeldspielerin nie bereut.

Verliert Fußball auf Mädchen durch Reform an Anziehungskraft?

Für Brühl endet die Zeit in der U17-Bundesliga altersbedingt im Sommer ohnehin. Sie hat sich für einen Verbleib in Aurich entschieden und spielt ab der kommenden Saison für die Frauen-Mannschaft in der Oberliga. "Total schade" findet die 16-Jährige es, dass die nachrückenden Talente sich nun nicht mehr auf der Bühne Bundesliga präsentieren können. "Wenn man klein ist, mit dem Fußballspielen anfängt und dann die Großen im Stadion anschaut, denkt man sich: 'Boah, da will ich auch mal spielen! Ich habe auch Lust, mal gegen den VfL Wolfsburg zu spielen'", blickt sie selbst auf ihre einstigen Träume zurück. "Aber jetzt geht das nicht mehr. Dann noch gegen die Jungs zu spielen, ist für manche wahrscheinlich eher weniger attraktiv."

Trainer Wilts sieht Reform skeptisch

Trainer Stefan Wilts von den U17-Fußballerinnen der SpVg Aurich ©  Karsten Lübben
Glaubt nicht an die Vorteile der Reform im U17-Bereich: SpVg-Coach Stefan Wilts.

Aus Testspielen kennen die Auricherinnen dies bereits. Fußballerisch sind sie viel besser ausgebildet und den Jungs klar überlegen - doch aufgrund der körperlichen Unterlegenheit verlieren sie die Partien dann doch. Das birgt Frustpotenzial. Talentierte Spielerinnen, befürchtet Brühl, könnten auf Dauer die Lust verlieren, da der ganze Trainingsfleiß sich auf dem Platz nicht auszahlt. Am Ende gewinnen doch die Jungs, die viel weniger Aufwand für ihren Sport betreiben.

Auch Trainer Wilts sieht die Reform skeptisch. Bei den absoluten Toptalenten, räumt er ein, sei es schon so, dass diese bei den Jungs besser gefördert werden. "Das Beispiel Lena Oberdorf wird immer genannt", berichtet er. "Da ist natürlich die Frage: Ist sie so gut, weil sie bei den Jungs gespielt hat? Oder war sie so gut, um bei den Jungs spielen zu können?"

Trainieren mit Mädchen, Spiele gegen Jungs

Die Spielerinnen, die es am Ende in die Bundesliga der Frauen schaffen, kommen in der Tat oftmals aus dem Jungenbereich. Überzeugt ist Wilts dennoch nicht. Der Grund: Ebenjene Überfliegerinnen unter den Talenten würden in der Jugend die gesamte Woche mit einer Jungs-Mannschaft trainieren - und am Wochenende dann auch mit Jungs gegen Jungs spielen. Fortan bleiben im Bereich der U17-Juniorinnen die Mannschaften aber ja bestehen.  Die Spielerinnen trainieren also die gesamte Woche mit anderen Mädchen - müssen am Wochenende dann aber gegen körperlich überlegene Jungs antreten.

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Fußballerinnen auf dem Spielfeld. © Screenshot
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Wilts hat dabei vor allem die Spielerinnen im Blick, die nicht zu den absoluten Toptalenten der Marke Oberdorf gehören, sondern vorerst in der Zweiten Liga, der Regionalliga oder etwas darunter Erfahrungen sammeln werden. Und für diese ist die Reform seiner Auffassung nach "eine Katastrophe". Auch mit vielen Trainerkollegen in der Bundesliga, berichtet der angehende Inhaber der A+-Lizenz, habe er gesprochen. "Da ist die Meinung zu 90 bis 95 Prozent so, dass die Abschaffung sehr kritisch gesehen wird."

Club bemüht sich, Förderleistungszentrum zu werden

In Aurich müssen sie mit der Reform nun jedoch leben. Und der Club versucht, das Beste daraus zu machen. Mit dem ambitionierten Mädchen- und Frauenfußball geht es in der rund 43.000 Einwohner großen Kreisstadt definitiv weiter. Auch Stürmerin Minne hat sich für ein weiteres Jahr in Ostfriesland entschieden. Neben den Spielen gegen die Jungs aus der U15 wird sie mit der U17 ab dem Sommer zudem in der Niedersachsenliga antreten.

Sina Brühl (r.) von der SpVg Aurich in Aktion © Aylin Rewohl
Sina Brühl (r.) und ihre Auricherinnen spielen ab der neuen Saison nur noch auf regionaler Ebene.

Nötig ist dies, um ein weiteres Ziel zu erreichen. Im Zuge der Abschaffung der Bundesliga führt der DFB in der U17 einen DFB-Pokal ein. Im ersten Jahr sind die Auricherinnen als Teilnehmerinnen noch gesetzt. Weil ihre Frauen-Mannschaft aber nicht in der Bundesliga oder der Zweiten Liga spielt, müssen sie sich anschließend als Meister in Niedersachsen stets für den Wettbewerb qualifizieren.

Neben dem Platz arbeitet der Club zudem daran, vom DFB offiziell als "Förderleistungszentrum weiblich" lizensiert zu werden. "Wir haben den Kriterienkatalog des DFB abgearbeitet und erfüllen alle Bausteine, die dort aufgeführt sind", so Wilts. "Nun hoffen wir darauf, dass sich das Fenster demnächst öffnet, damit man sich entsprechend bewerben kann."

Auf dem Platz wiederum wollen die Auricherinnen als letzte Meisterinnen der U17-Bundesliga in die Geschichte eingehen. Davon träumt nach der Final-Niederlage im vergangenen Jahre auch Mittelfeldspielerin Brühl. "Das wäre der krönende Abschluss, das perfekte Ende."

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 24.04.2024 | 10:17 Uhr

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