Holstein Kiel versinkt nach Albtraum-Abend im Tränenmeer
Die Fußballer von Holstein Kiel sind nach dem 1:5-Debakel im Relegations-Rückspiel gegen den 1. FC Köln und dem damit verpassten Bundesliga-Aufstieg im Tränenmeer versunken. Aller Trost - unter anderem von Landesvater Daniel Günther - half nicht.
Es waren bewegende Szenen, die sich am Samstagabend im Holstein-Stadion abspielten. Bereits kurz vor dem Abpfiff der Partie hatten sich nahezu alle der KSV-Fans von ihren Sitzen erhoben und spendeten den Kieler Profis Standing Ovations. Als die Begegnung dann vorbei war, wurden der Applaus und die "Holstein, Holstein"-Rufe noch lauter. Der Anhang zollte dem Team von Coach Ole Werner Respekt für eine tolle Serie unter widrigen Umständen. Und die Fans versuchten, die untröstlichen Spieler zu trösten. Doch es misslang.
Etliche Akteure weinten bei der Ehrenrunde durch die Arena und mussten sich teilweise gegenseitig stützen. Der gebürtige Kieler Fabian Reese heulte gar wie ein Schlosshund. Werner versuchte anschließend im Mannschaftskreis, sein geknicktes Personal etwas aufzurichten. "Aber auch mir ist es schwer gefallen, die richtigen Worte zu finden. Die Enttäuschung und die Traurigkeit waren zu spüren", berichtete der 33-Jährige, um dann die Losung für die kommenden Wochen auszugeben: "Es ist unser aller Aufgabe, damit vernünftig umzugehen. Denn das Leben geht weiter."
Günther: "Sie haben eine geile Saison gespielt"
Der Aufstieg der als krasser Außenseiter in die Spielzeit gestarteten KSV wäre eine der größten Sensationen in der jüngeren deutschen Fußball-Geschichte gewesen. Vom Personal und den wirtschaftlichen Möglichkeiten her hatten andere Clubs wie beispielsweise die Nordrivalen Hamburger SV und Hannover 96 andere, bessere Voraussetzungen. Hinzu kamen zwei Corona-bedingte Quarantänen sowie Verletzungspech. Das Erreichen des DFB-Pokal-Halbfinales sowie Rang drei in der Zweiten Liga waren unter diesen Umständen eine mehr als bemerkenswerte Ausbeute, wie auch der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther nach dem Köln-Debakel noch einmal unterstrich.
"Sie haben eine geile Saison gespielt. Natürlich sind jetzt alle enttäuscht, Aber man muss die Gesamtbilanz sehen. Es war einfach cool, was sie insgesamt in diesem Jahr gespielt haben", sagte der CDU-Politiker dem NDR. Günther blickte sogleich in die Zukunft und erklärte, dass Holstein nun "halt in einer richtig coolen Zweiten Liga mit tollen Vereinen" spielen werde.
Mühling: "Ich bin einfach nur traurig"
Doch noch "cooler" als in der kommenden Serie gegen Werder Bremen, Schalke 04, den HSV, Hansa Rostock und weitere frühere Fußball-Schwergewichte anzutreten, wäre es halt gewesen, im Oberhaus seine Visitenkarte abzugeben. Und weil die Chance so riesengroß war, kannte die Enttäuschung nach dem verpassten Aufstieg eben keine Grenzen. "Ich bin einfach nur traurig, dass wir uns nicht für eine tolle Saison belohnt haben", sagte Mittelfeldspieler Alexander Mühling. Sein Teamkamerad Fin Bartels, mit 34 Jahren "Methusalem" der Mannschaft, war ebenso verbittert: "Wir haben alles gegeben. Es hat am Ende aber leider nicht gereicht."
Torjäger Serra geht, Lee wohl vor dem Abschied
Ob Holstein sobald noch einmal die Chance haben wird, ans Bundesliga-Tor anzuklopfen, bleibt abzuwarten. Das Gedränge in der oberen Tabellenregion dürfte in der neuen Serie größer werden. Zudem drohen der KSV neben dem feststehenden Abschied von Top-Stürmer Janni Serra (vor Wechsel zu Arminia Bielefeld) weitere Abgänge. So hat der südkoreanische Nationalspieler Jae-sung Lee, dessen Vertrag ausläuft, längst Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen geweckt. Ein Verbleib des umworbenen 28-Jährigen scheint unwahrscheinlich, zumal die Kieler Verantwortlichen bereits angekündigt haben, dass der Gürtel noch einmal enger geschnallt werden muss.
Teure Zugänge nicht zu erwarten
Der Griff ins obere Regal des Transfermarktes dürfte für Holstein nicht möglich sein. Es ist in puncto Neuverpflichtungen erneut Kreativität von der Administrative gefragt. Immerhin: Ein ausgezeichnetes Grundgerüst ist vorhanden, sodass eigentlich nur punktuelle Verstärkungen vonnöten sind, um das sportliche Niveau eingermaßen zu halten. Keine schlechte Ausgangsposition für die kommende Saison. Doch eben vielleicht eine, die mit Blick auf die stärker gewordene Konkurrenz nicht ausreichen könnte, um erneut im Spitzenfeld dabei zu sein.
Werner lässt Zukunft bei Holstein offen
Werner weiß um die Bedingungen bei der KSV, für die er früher spielte und seit 2013 als Coach tätig ist. Er hat sich bei Holstein zunächst als Jugendcoach und dann als Trainer der U23 einen Namen gemacht, bevor er 2019 die Zweitliga-Mannschaft übernahm. Mit seiner akribischen und unaufgeregten Art hat der gebürtige Preetzer ein Spitzenteam geformt. Seine ausgezeichnete Arbeit ist den Verantwortlichen anderer Clubs nicht verborgen geblieben. Werner gilt neben Markus Anfang (Darmstadt 98) als einer der Top-Kandidaten auf den Trainerposten bei Werder. In Bremen werfen sie zwar auch nicht mit Geldscheinen um sich, haben jedoch größere finanzielle Möglichkeiten als die Kieler.
Werner könnte an der Weser den nächsten Karriere-Schritt machen. Und ausschließen wollte der 33-Jährige einen Abschied von der Förde nach dem Köln-Debakel auch nicht. "Das ist heute nicht das Thema. Wir werden alle diese Enttäuschung erst einmal verarbeiten müssen. Dann wird man sich mit ein, zwei Tagen Abstand sicher mal zusammensetzen und auch die Saison Revue passieren lassen und einen Ausblick darauf geben, was der Verein in der nächsten Saison vor hat - und was ich vorhabe."
Durchaus möglich also, dass es demnächst in Kiel erneut Tränen gibt - Abschiedstränen...