Holstein Kiel steigt auf: Fans im Feier-Rausch
Ganz Kiel steht Kopf, ganz Kiel feiert den Aufstieg der Fußballer in die Bundesliga. NDR Reporterin Andrea Schmidt beschreibt, wie sie den außergewöhnlichen Tag unter Zehntausenden Fans miterlebt hat.
Schon am frühen Nachmittag nehme ich die Schwentinefähre rüber vom Ostufer zum Westufer Kiel. Dort, wo heute die Musik spielt, wo Historisches erreicht werden soll. Ich lerne zwei junge Frauen kennen - Lara und Monique - sie sind perfekt ausgestattet, mit blauen Holstein Trikots, Schals und einer Dose Alster in der Hand. Sie wollen wie Tausende andere auch zunächst in die Forstbaumschule, dann den Fanmarsch zum Stadion mitmachen und schließlich im Stadion das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf sehen. Ein Ticket für das Stadion habe ich leider nicht - ansonsten habe ich genau den gleichen Plan.
"Ich bin so nervös - sprich mich nicht an"
In der Forstbaumschule sammeln sich die ersten Fans schon ab 14 Uhr. Noch sechseinhalb Stunden bis zum Anpfiff: eine lange Zeit, aber egal. Jede Stunde, jede Minute muss ausgekostet werden. "Sprich mich besser nicht an", sagt mir ein Kieler. "Ich bin so unglaublich nervös. Jedes Spiel, jedes Heimspiel und jedes Auswärtsspiel habe ich mitgemacht. Es muss jetzt einfach klappen." Ich lerne eine Familie aus Altenholz kennen. Sie sind perfekt ausgestattet und die kleinen Jungs saugen die Atmosphäre mit allen Sinnen auf. "Wir haben leider keine Karten, aber das hier in der Stadt, das mussten wir einfach miterleben", strahlen die Eltern.
Die Sonne strahlt, der Himmel ist knallblau, das Bier fließt noch stockend am Anfang, denn alle wollen hellwach sein und natürlich auch die 90 Minuten auf dem Platz fit erleben. Partymucke donnert aus den Boxen, die Fans machen es sich im Gras des Biergartens gemütlich, fangen langsam an, sich zu sammeln. Die Ultras laufen mit ihren großen Fahnen Richtung Kiellinie - und tausende Schleswig-Holsteiner reihen sich ein. Die Anspannung steigt, das kollektive Kribbeln ist definitiv da.
Tausende verbunden beim Fanmarsch durch Kiels Straßen
Jetzt beginnt ein Fanmarsch, der so richtig unter die Haut geht. Mit einer Wahnsinns-Kulisse - dem blauen Meer von Trikots und dem ebenfalls blauen Meer und weißen Schiffen im Hintergrund - laufen die Fußballbegeisterten Richtung Stadion. "K-S-V" wird vorne gebrüllt, und die Menge schreit zurück "KSV, KSV, KSV". In der Holtenauer Straße stehen unzählige Kieler, zücken ihre Handys, fotografieren die Fans. Laut Polizei sind es knapp 3.000, die mitlaufen, 1.000 waren angemeldet. Ein Fanlied nach dem anderen wird angestimmt, in der engen Häuserschlucht schallt und hallt es. "Holstein Kiel! Holstein Kiel!"
Ultras rufen: "Handy weg!"
Ich quetsche mich mit meinem Rad nach vorne, möchte ein paar Aufnahmen von dort machen. Doch sofort kommt ein Polizist auf mich zugerannt, und auch einer von den Ultras ruft durch sein Megaphon: "Handy weg!" Ups. Leicht eingeschüchtert reihe ich mich wieder in der Mitte des Trosses ein. Eine Rentnerin reißt grinsend ihre Faust in die Höhe und freut sich einfach. Und viele der Fans strahlen glücklich und trinken das eine oder andere Kaltgetränk. Überall knallt Pyrotechnik.
Forstbaumschule: Bloß nicht auf Klo gehen
Die glücklichen 15.000, die eine Karte für das Holsteinstadion haben, sind nun dort, wo sie hinwollten. Viele andere gehen in Kneipen, nach Hause vor den Fernseher oder aber zurück in die Forstbaumschule, wo eine riesige Leinwand für die Übertragung steht. Genau dort radele ich auch wieder hin. Es füllt sich schon eineinhalb Stunden vor Anpfiff. Wer einen guten Platz hat, geht nicht wieder weg. Verzichtet auf ein Getränk, um ja nicht auf Klo zu müssen. Der Veranstalter vermutet um 19.30 Uhr bei unserer Live-Schalte im NDR Schleswig-Holstein Magazin, dass etwa 2.000 Leute da sind. Es kommen immer mehr, ich schätze es sind nun bestimmt 3.000.
Nach drei Minuten Spielzeit ist kein Halten mehr
Anpfiff: Die Stimmung ist super. Ich unterhalte mich noch mit einer Frau, da werden wir von den Beinen gerissen. Unfassbarer Jubel: Schon in der dritten Minute fällt das erste Tor von Holstein - und ich habe es nicht mal gesehen. Egal: Ich lasse mich mitreißen, singe die Fanhymnen mit, obwohl ich eigentlich Handball- und nicht Fußballfan bin. Aber diese Euphorie, dieser Volksfestcharakter, das nimmt einfach jeden mit. 90 Minuten lang wird gejubelt und geflucht. Zwei Freunde klettern auf einen Baum in der Forstbaumschule und freuen sich über die perfekte Aussicht, ich muss lachen.
Zittern, fluchen, jubeln
Nach dem Ausgleich wird es nochmal spannend, dann noch sechs lange Nachspielminuten. Alle um mich herum können es kaum noch aushalten. Schafft Holstein Kiel endlich, endlich den Aufstieg in die Bundesliga, als erste schleswig-holsteinische Mannschaft überhaupt? Ja! Jaaaaaaa! Abpfiff! Alle springen auf, steigen auf die Bänke, schreien, jubeln, singen! Die Fans im Stadion, so sehen wir es auf der Leinwand, rasen zu Hunderten auf den Platz, erstürmen ihn regelrecht. Dort im Zentrum des Geschehens sein, dass wäre natürlich noch viel geiler.
High Life vor dem Stadion
Mit zwei Freunden fahre ich kurzerhand zum Stadion. Der Platz davor ist voll mit Menschen. Fans breiten eine Holstein-Fahne mitten auf der Straße aus, andere verkaufen Aufstiegsschals: "Hey, 20 Euro!", ruft einer. Im Biergarten kostete er noch zehn Euro. Der Preis steigt, ist ja klar. Torge aus Kiel zeigt mir ganz beseelt sein neues Aufstiegs-Shirt, das er im Stadion ergattert hat. Wildfremde Leute liegen sich in den Armen. Autos fahren laut hupend durch benachbarte Straßen.
Kreuzung eingenommen - Tradition in Kiel
Ich fahre nochmal zum sogenannten Klinsmann-Platz. Dort haben Fans die Kreuzung vor der Shell-Tankstelle eingenommen, war ja klar. Das hat in Kiel schon Tradition. Ein Typ mit Megafon ruft: "Auf die Kreuzung, auf die Kreuzung!". Und immer mehr Menschen folgen seinem Aufruf. Es ist mittlerweile ein Uhr nachts, ich mache mich auf dem Heimweg und sehe, wie einige Kneipen aus allen Nähten platzen. Das wird noch eine lange Nacht. Eine historische tatsächlich, die auch ich niemals vergessen werde.