Holstein Kiel im Datencheck: Nur ein kurzes Bundesliga-Hallo?
Die Fußballer von Holstein Kiel stehen vor der ersten Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte. Dass sie dabei als erster Abstiegskandidat gehandelt werden, ist klar. Auch der Blick in die Daten zeigt, dass der Neuling aus Schleswig-Holstein krasser Außenseiter ist.
Was sein Team mit dem Aufstieg geschafft habe, sei ihm am vergangenen Wochenende rund um den Zweitliga-Start noch einmal klar geworden, sagte KSV-Trainer Marcel Rapp: "Ganz ehrlich, es hat sich krass angefühlt. Diese Liga beginnt mit dem Spiel Köln gegen den HSV, und du selbst realisierst in dem Moment, dass du noch in der Vorbereitung bist und du denkst: Wir spielen da gar nicht mit, sondern sind jetzt eine Liga höher." Da komme auch Stolz auf, so der 45-Jährige im "kicker"-Interview.
Rapp zeigte sich mit dem Leistungsstand seiner Mannschaft und auch mit der Kaderzusammenstellung zufrieden: "Wir werden konkurrenzfähig sein." Der Blick in die Daten des Global Soccer Networks (GSN) rechtfertigt den Optimismus des Trainers allerdings nicht unbedingt: Zwar ist der GSN-Index der "Störche" im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen, doch mit dem Wert von 61,66 rangiert das Team im Ligavergleich ganz unten auf Platz 18. Mitaufsteiger FC St. Pauli kommt auf 62,95. Der Abstand zum 1. FC Heidenheim (63,11, Platz 16) und VfL Bochum (64,00, Platz 15) ist doch schon etwas größer.
Neuzugänge mit viel Steigerungspotenzial
Vor allem der Abgang von Tom Rothe (war von Borussia Dortmund geliehen, wechselt jetzt zu Union Berlin) wiegt für Holstein Kiel schwer. Der 19 Jahre alte Abwehrspieler war als Flügelverteidiger offensiv in der vergangenen Saison ein wichtiger Faktor. Mit Tymoteusz Puchacz von Union Berlin hat man die vakante Stelle auf links zwar mit dem gleichen Spielertypen besetzt, aber dennoch an Qualität verloren. Rothes aktueller GSN-Index liegt bei 71,89 (internationale Klasse). Puchacz ist mit 62,21 (unterdurchschnittlicher Bundesligaspieler) den Daten nach als deutlich schwächer anzusehen.
Weniger stark ins Gewicht fallen dürfte der Verlust von Philipp Sander (GSN-Index 63,56). Dessen Rolle als Allrounder im Mittelfeld haben die Kieler gleich doppelt kompensiert. In der defensiven Variante käme der Bosnier Armin Gigovic zum Zuge, für eine offensivere Ausrichtung wurde der Norweger Magnus Knudsen geholt. Beide haben einen höheren möglichen GSN-Index (65,09 bzw. 69,04) als Sander (64,97) - angesichts der "Bessermacher"-Fähigkeiten von Trainer Rapp könnten sich beide Transfers als guter Griff erweisen. Ein Steigerungspotenzial bis hin sogar zur internationalen Klasse haben der neue Innenverteidiger Max Geschwill (möglicher GSN-Index bei 73,14) und Linksaußen Andu Kelati (72,09)
Einige Baustellen im Kader behoben
Gleichwohl hat der Kieler Kader noch einige Baustellen. Basierend auf den GSN-Daten der Saison 2023/2024 war das Defensivspiel nach Ballverlust schwach. Offensiv mangelte es an Effektivität im Dribbling und Spielaufbau im letzten Drittel, so wurde zu wenig Torgefahr erzeugt. Außerdem ließ die Passgenauigkeit zu wünschen übrig.
Einige dieser Problemzonen hat Holstein Kiel zum Teil behoben: Knudsen und Gigovic sind in der Lage, als zentrale Mittelfeldspieler das KSV-Spiel zu diktieren. Beiden attestieren die GSN-Daten Stärken in der Antizipation sowie im Passpiel. Gleichwohl würde ein defensiver Mittelfeldspieler mit gutem Umschaltverhalten der KSV gut tun: Laut GSN wären Samuel Gustafson (Urawa Red Diamonds/möglicher Index 69,71), Rocco Ascone (FC Nordsjaelland/75,04) oder Pathé Ciss (Rayo Vallecano/69,86) Kandidaten.
Bedarf noch in der Offensive
Für mehr Effizienz in der Offensive könnte Flügelspieler Kelati sorgen, dessen Stärken unter anderem in der Beweglichkeit, der Raumfindung und im Dribbling liegen. Dennoch haben nicht zuletzt die jüngsten vier Testspiele der Sommervorbereitung gezeigt, dass beim Bundesliga-Aufsteiger im Angriff der größte Nachholbedarf besteht. Drei der vier Partien gingen verloren, ein Treffer gelang den "Störchen" dabei nicht. Am Sonnabend steht gegen den französischen Erstiglisten AS Saint-Etienne (16.30 Uhr) die Generalprobe vor dem Pflichtspielauftakt im Pokal bei Alemannia Aachen eine Woche später (17. August, 18 Uhr, im NDR Livecenter) an.
Es fehlt ein Stürmer, der eine hohe Abschlussstärke besitzt, insbesondere in Bezug auf Kopfballtore und direkte Abschlüsse aus dem Spiel heraus. Hier filterte GSN Mao Hosoya (Kashiwa Reysol/77,13), Noel López (Real Madrid Castilla/79,63) und Luca Moro (US Sassuolo/76,79) als mögliche Verstärkungen für die Schleswig-Holsteiner heraus.
4-4-2 wäre besser als 3-4-1-2
Rapp wird sein Team vermutlich wie in der vergangenen Saison in einem 3-4-1-2 agieren lassen: Als vermeintlich schwächere Mannschaft ist vor allem die defensive Stabilität entscheidend. Die Spieler müssen diszipliniert ihre Positionen halten und sicherstellen, dass keine großen Lücken entstehen. Besonders die Flügelverteidiger müssen ihre defensive Aufgabe ernst nehmen, da das 3-4-1-2-System anfällig für Konter über die Flügel sein kann.
Anhand der GSN-Daten wäre ein klassisches 4-4-2 die beste taktische Formation - mit folgender Aufstellung: Weiner - Puchacz, Geschwill, Kleine-Bekel (Erras), Becker (Rosenboom) - Kelati, Ivezic, Knudsen, Bernhardsson - Skrzybski, Machino.
Seit 1993: Mindestens ein Aufsteiger blieb immer drin
Bei Holstein Kiel herrscht zweieinhalb Wochen vor dem Ligastart am 23. August (15.30 Uhr, im NDR Livecenter) bei der TSG Hoffenheim Zuversicht: "Ich weiß um die Fähigkeiten dieser Mannschaft, und ich habe das Selbstvertrauen, zu sagen, dass wir diese Jungs mit dem Trainerteam auch noch mal weiterbringen werden", sagte Trainer Rapp. Zudem setzt er auf die Euphorie im Umfeld.
Dass ein Aufsteiger nicht automatisch wieder zum Absteiger wird, hat in der vergangenen Saison der 1. FC Heidenheim gezeigt, dem trotz einer mit Kiel vergleichbaren krassen Außenseiterrolle als Tabellenachter nicht nur souverän der Klassenerhalt, sondern sogar die Qualifikation für den Europapokal (Play-offs zur Conference League) gelang. Auch der Blick in die Statistik dürfte den Kielern Mut machen: Seit mehr als 30 Jahren (seit 1992/1993) ist in jeder Saison mindestens einer der Aufsteiger in der Bundesliga geblieben ...