Vorfahrt für die Liga? "EM steht am Ende der Kette"
Die Europäische Fußball-Union (UEFA) hat für Dienstag einen Krisengipfel einberufen, um "über die nationalen und europäischen Wettbewerbe, einschließlich der EURO 2020" zu beraten. Der Tenor im deutschen Fußball: Die nationalen Ligen haben Vorfahrt, die Europameisterschaft muss verschoben werden. Ein mittlerweile sehr wahrscheinliches Szenario.
Gerhard Zuber, Sportdirektor von Fußball-Zweitligist Hannover 96, rechnet im Zuge der Coronakrise fest mit der Verlegung der EM. "Ich gehe davon aus, dass sie um ein Jahr verschoben wird, denn das ist der erste wichtige Dominostein, der fallen muss", sagte der 44-Jährige dem NDR Sportclub am Sonntag. Die nationalen Meisterschaften seien "nun mal das Wichtigste. Das tägliche Brot ist die tägliche Arbeit auf dem Platz bei den Vereinen, wir zahlen die Spieler auch. Dann kommen die europäischen Wettbewerbe, die parallel laufen, und erst im Nachgang die Europameisterschaft. Die steht wirklich am Ende der Kette", so der Österreicher.
Auch Carl-Edgar Jarchow, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Hamburger SV und Vizepräsident des Hamburger Fußball-Verbandes, geht davon aus, "dass die UEFA am Dienstag die Europameisterschaft verschieben wird, sodass wir theoretisch Chancen haben, das Zeitfenster nach hinten etwas auszubauen. Dann könnte man vielleicht auch bis in die Sommerpause hinein die entsprechenden Meisterschaften zu Ende spielen".
Ligabetrieb "das wirtschaftliche Rückgrat"
HSV-Clubboss Bernd Hoffmann hatte zuvor betont, es sei "ganz, ganz wichtig, für ein Unternehmen, für einen Club wie den HSV, dass die Saison in der Zweiten Liga zu Ende gespielt wird. Das ist das wirtschaftliche Rückgrat unseres Clubs." Nationale Interessen müssten "allerhöchste Priorität haben vor allen anderen Überlegungen, was Spielpläne angeht". Nach SID-Informationen bangen die 36 Vereine um Einnahmen von insgesamt 770 Millionen Euro. Auch Andreas Rettig, ehemaliger Geschäftsführer des FC St. Pauli, unterstrich: "Wir können nicht die Existenzgrundlage oder das Schwungrad des Fußballs riskieren, nur weil wir einen nachgelagerten Wettbewerb spielen wollen." DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius rechnet ebenfalls "fest mit einer Verlegung des Turniers".
UEFA-Krisensitzung am Dienstag
Die Euro soll vom 12. Juni bis 12. Juli in zwölf Ländern stattfinden. Nach Informationen des ZDF will die UEFA am Dienstag, einen Tag nach der DFL-Versammlung, die Verschiebung vorschlagen.
Der europäische Dachverband wolle dies zuerst den nationalen Ligen und der Vereinigung der europäischen Clubs (ECA) und dann später allen nationalen europäischen Fußballverbänden empfehlen. Dadurch würden die Bundesligen Zeit gewinnen, die noch ausstehenden neun Spieltage auszutragen, bevor Ende Juni viele (Spieler-)Verträge auslaufen und die Geschäftsjahre der Clubs enden. "Man darf nicht vergessen, dass die UEFA auch zwei weitere Wettbewerbe mit Champions League und Europa League hat, die fertig gespielt werden müssen. Und ich denke, dass sie alles dransetzen werden", meinte Zuber. Er glaube allerdings, "selbst wenn sich das bestätigen sollte und man zu Ende spielen kann, wird es wahrscheinlich ohne Zuschauer sein", sagte Jarchow im Sportclub.
Eine Alternative wäre, die EM im Sommer 2021 auszutragen. Dafür müsste allerdings die FIFA die neu geschaffene FIFA-Club-WM vorerst auf Eis zu legen. Eine zweite Möglichkeit wäre die Verlegung der EM in den Spätherbst oder frühen Winter dieses Jahres.
Was wäre beim "Worst Case" Saisonabbruch?
Bei Hannover 96 befindet sich nach zwei positiv getesteten Spielern seit Donnerstagnachmittag die gesamte Mannschaft unter Quarantäne. "Im Worst Case muss man die Liga natürlich abbrechen. Aber ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall sein wird. Denn wenn alle mithelfen, kannst du das reduzieren. Ich glaube, dass dann auch das Leben in ein paar Wochen weitergeht. Und auch der Fußball wieder seine Arbeit aufnimmt", sagte 96-Sportchef Zuber.
Aber was wäre im Falle eines Saisonabbruchs? "Das hätte die Auswirkungen, dass wir ja gar nicht wissen, wie wir mit dem derzeitigen Stand der Tabellen umgehen sollen. Wer steigt auf, er steigt ab, bleibt alles, wie es in diesem Moment ist und spielen wir so in der nächsten Saison weiter? Das wäre eine völlig ungeklärte Situation", so Jarchow.