Göttlich zu St. Paulis Genossenschaft: "30 Millionen würden uns freuen"
Die Genossenschaft von Fußball-Bundesligist FC St. Pauli steht in den Startlöchern. Für Präsident Oke Göttlich ist sie "das gesellschaftsfähigste Modell" und ein Gegenentwurf zum Einstieg von Investoren, soll dem Club aber dennoch Millionen bescheren. Seinen Wunschtermin verpasst der Verein vermutlich.
Um ein großes Bild ist Göttlich nicht verlegen, wenn er vom "Leuchtturmprojekt" des FC St. Pauli spricht. Es sei gerade "in der Hamburger Stadtgesellschaft historisch sehr viel entstanden auf der Basis von Genossenschaften", sagte er dem NDR. Sie seien "das gesellschaftsfähigste Modell" - in der Vergangenheit in der Hansestadt und mit Blick auf die Zukunft für die "Kiezkicker". Und das "auch in 30 Jahren".
Zwar geht es bei den Plänen des Bundesligisten - eine Genossenschaft ist ein Novum im Fußball - nicht um "Grundversorgung" im Sinne von Wohnraum oder Elektrizität. Sehr wohl aber darum, den mitgliedergetragenen Verein, der für viele Menschen über 17 Heimspiele pro Saison hinaus eine Art Heimat und sozialen Kit bedeutet, im Multi-Milliardengeschäft Fußball überlebens- und zukunftsfähig zu halten.
St. Pauli benötigt dringend Geld
Denn, daraus macht Präsident Göttlich keinen Hehl, der Club braucht Geld. Rund 30 Millionen Euro Schulden drücken den Verein. Das Eigenkapital von ehemals rund 14 Millionen Euro ist inzwischen nahezu aufgezehrt. Der Verkauf von Anteilen diene also dazu, die "Verschuldung des e.V. über die Genossenschaft auszugleichen", und sei "ein Schritt zu einer geglätteten Bilanz, um weitere Investitionen zu ermöglichen", sagte der 48-Jährige, der seit 2014 im Amt ist. Und das ohne Investoren von außen dazuholen zu müssen.
Das Genossenschaftsmodell könnte beim FC St. Pauli also helfen, einen für den Club wichtigen Spagat zu schaffen: zum einen das dringend benötige Kapital sicherzustellen, zum anderen dafür zu sorgen, dass Entscheidungen auch künftig auf einer möglichst breiten Mitglieder-Basis gefällt werden.
Die Pläne dazu existieren schon länger. Spätestens nachdem der Club Ende vergangenen Jahres für das Geschäftsjahr 2022/2023 einen Verlust von knapp fünf Millionen Euro hatte vermelden müssen, wurden sie aber deutlich forciert. Ein entferntes Vorbild ist der American-Football-Club Green Bay Packers, das einzige mitgliederbestimmte Team in der National Football League (NFL). 2021 gaben die Packers Anteile im Wert von 90 Millionen US-Dollar aus - es war das sechste Mal in ihrer 105-jährigen Geschichte.
Kein Geld für die Kaderentwicklung
Nach dem Motto "Steine statt Beine" wurden weite Teile des Geldes in die Infrastruktur rund um das Stadion "Lambeau Field" investiert. Ähnliches schwebt auch St. Paulis Genossenschaft vor, deren offizieller Name "Football Cooperative Sankt Pauli 2024 eG" lautet.
750 Euro plus 100 Euro Zeichnungs- und Verwaltungsgebühr (32 Euro für Verwaltung, 68 Euro für Rücklagen) kosten die Anteile. Der Club rechnet damit, dass 20.000 bis 30.000 Menschen einen oder mehrere Genossenschaftsanteile kaufen werden.
Mit dem Geld könnten neue Infrastrukturprojekte angeschoben werden - etwa der Neubau des Trainingszentrums an der Kollaustraße. Außerdem sollen alte Kredite vorzeitig getilgt werden. Starke finanzielle Belastungen durch hohe Zinszahlungen an Banken würden dadurch entfallen. Dass aus dem Anteilsverkauf Geld für Sportchef Andreas Bornemann und die Entwicklung des Kaders abfällt, sei nicht geplant, sagte Göttlich.
In Zweitligist FC Schalke 04, der vergangenes Jahr 16 Millionen Euro in Zins und Tilgung zahlen musste, gibt es im deutschen Profi-Fußball mittlerweile einen zweiten Club, der ähnliche Pläne verfolgt. Über eine Fördergenossenschaft, an der sich anders als bei den Hamburgern nur die 190.000 Vereinsmitglieder beteiligen können, sollen Anteile an der Stadiongesellschaft erworben werden.
"Das Stadion ist das Zentrum des solidarischen Eigentums des FC St. Pauli." St. Paulis Präsident Oke Göttlich
Im Herzen des Projektes bei St. Pauli steht für Präsident Göttlich das Millerntor. Die Genossenschaft soll den Plänen nach auch über Anteile an der Millerntor-Stadion Betriebs GmbH und Co. KG verfügen. Dabei geht es vor allem um die Vermarktung beziehungsweise Vermietung das Stadions, der Club würde der Genossenschaft also für die Nutzung an Spieltagen beispielsweise eine Pacht zahlen.
Für Göttlich aber hat die mögliche Beteiligung der Genossinnen und Genossen am Stadion einen höheren, einen ideellen Wert. Das Millerntor sei "das Zentrum des solidarischen Eigentums des FC St. Pauli", sagte der Präsident, weil die Menschen dort "neben dem Fußball wahnsinnig viel Zeit verbringen, politisch aktiv sind, Aktionen planen".
Wirtschaftsprüfer sehen Vorteile, aber auch Risiken
Das sei "für uns ein so symbolischer Wert, der auch für die Menschen so emotional aufgeladen ist, dass wir sagen: 'Das gehört auch ein Stück weit der Gesellschaft, den GenossInnen.'" Das passe zum FC St. Pauli, weil "Teilhabe ist für uns immer das Wichtigste".
Eine Bestätigung dieser Sicht erhalten Göttlich und der Club von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-Gesellschaft Deloitte Legal. "Das Genossenschaftsmodell hat seine Reize für die Branche, die aufgrund der Vereinskultur auch auf ideelle Gesichtspunkte Wert legt", sagte Niko Jakovou, Partner bei Deloitte Legal. Es sei positiv, wenn man sagen könne, "das Stadion gehört den Fans oder den Genossen, die möglicherweise auch Mitglieder sein werden beim FC St. Pauli".
Ein Nachteil könnte sein, wenn eine große Zahl von Leuten gleichzeitig kündigen. "Für diesen Fall benötigt die Genossenschaft einen Plan B, ein Backup, um am Ende des Jahres, wenn die Kündigungen wirksam sind, auch die Einlagen zurückzahlen zu können", sagte Jakovou.
Göttlich würde sich "über 30 Millionen Euro freuen"
Der FC St. Pauli hat sein Genossenschafts-Projekt unter den Untertitel "Ein anderer Fußball ist möglich" gestellt. "Solidarisches Eigentum" klingt dafür, auch zum Erhalt und zur Stärkung der Marke, besser als "Kapitalismus light". Doch um Kleckerbeträge geht es auch bei den einstigen selbsternannten "Freibeutern der Liga" schon lange nicht mehr. Er würde sich "über 30 Millionen Euro freuen", sagte Göttlich dem NDR. Einer Marktforschungs-Erhebung zufolge könnten sogar mehr als 40 Millionen Euro drin sein.
Angesichts solcher Zahlen bleibt durchaus die Frage, ob der Club mit seiner Kritik am Multi-Milliardengeschäft Fußball überhaupt selbst eine Rolle darin spielen kann - oder sollte. Ob es für ihn überhaupt möglich ist, "das Richtige" im - aus der Sicht vieler in und um den Verein - "Falschen" zu tun. Göttlich findet schon, denn man müsse "Schritt für Schritt neue Gedanken einbringen". Die Genossenschaft sei "ein weiterer kleiner Schritt".
Wunschtermin am 19. Oktober vermutlich nicht zu halten
Einen "finalen Termin" für den Start habe man noch nicht, teilte der Club auf NDR Anfrage mit - unter anderem gelte es noch, die "technische Infrastruktur zu testen" für die digitale Zeichnung der Anteile. Als Wunschtermin hatte man zunächst das symbolträchtige Datum des 19. Oktober (19.10. wie im Gründungsjahr) avisiert, peile aktuell aber "Ende Oktober, Anfang November" an.
Für Göttlich ist wichtig, dass "wir AktivistInnen sein wollen. Wir tun etwas für unsere eigene Community und hoffentlich über die eigene Community hinaus mit Wirkungskraft in die Stadt, vielleicht auch nach Deutschland", sagte er. St. Paulis Präsident ist um große Bilder und Worte halt selten verlegen.