Füllkrug: "One Love"-Debatte nicht auf Rücken der Spieler austragen
Die Kraftprobe mit dem Fußball-Weltverband FIFA um die "One-Love"-Kapitänsbinde belastet offenbar auch die sportliche Vorbereitung der Nationalmannschaft auf den WM-Start gegen Japan am Mittwoch. Es sei wichtig, "den Disput zwischen den Verbänden nicht auf dem Rücken der Spieler auszutragen", sagte Neu-Nationalspieler Niclas Füllkrug.
Trotz der Belastung will sich der DFB allerdings im "One Love"-Zoff mit der FIFA nicht geschlagen geben und hat die nächste Eskalationsstufe im Blick. Dabei prüft der DFB rechtliche Schritte gegen den Weltverband, damit Kapitän Manuel Neuer am Mittwoch im Spiel gegen Japan (14 Uhr) die umstrittene Binde doch noch tragen kann. "Die FIFA hat uns ein Zeichen für Diversität und Menschenrechte verboten. Sie hat dies mit massiven Androhungen sportlicher Sanktionen verbunden, ohne diese zu konkretisieren", sagte DFB-Sprecher Steffen Simon.
Füllkrug: "Entscheidungen werden von anderen getroffen"
Werder-Torjäger Niclas Füllkrug verurteilte das FIFA-Verbot als "enttäuschende Entscheidung". Betonte aber zudem: "Auch wenn wir auf die Binde verzichten müssen, stehen wir weiter für unsere Werte ein."
"Ich finde es schade, dass man für Menschenrechte nicht mehr gerade stehen darf." Bundestrainer Hansi Flick
Das Thema Menschenrechte sei grundsätzlich in der DFB-Auswahl viel diskutiert worden. "Wir sind uns alle der Umstände bewusst und verurteilen sie. Man muss es so deutlich sagen. Das ist total inakzeptabel, aber die Macht, diese Dinge wirklich zu verändern, die liegt in anderen Händen", sagte der 29-Jährige. "Wir können auf Dinge aufmerksam machen, können mit dem Finger darauf zeigen, darüber reden - aber die Entscheidungen werden von anderen getroffen."
Bierhoff attackiert Weltverband FIFA
DFB-Direktor Oliver Bierhoff sprach angesichts des Zeitpunktes des FIFA-Diktats von einem speziellen Druck, dem die Spieler ausgesetzt würden, die sich bei dem umstrittenen Turnier in Katar schwerpunktmäßig auf ihre sportlichen Aufgaben konzentrieren wollten. Neuer und seinen Teamkollegen, die bei dieser WM vollends zum Spielball in einem sportpolitischen Machtkampf geworden sind, wird nun vielfach Charakterschwäche vorgehalten.
"Die FIFA ist mit der WM zu Gast in einem Unterdrückerland und wird selbst zum Unterdrücker." Hamburgs Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD)
"Ich bin nahe am Tagesgeschehen. Es ist echt ärgerlich. Die FIFA sagt, es geht um den Fußball. Es geht darum, dass die Spieler sich gut vorbereiten können", wetterte Bierhoff am Dienstag bei einer gemeinsamen Stellungnahme mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Die Strafandrohung der FIFA habe auch Neuer überrascht und enttäuscht, berichtete Bierhoff, der den Weltverband attackierte.
"Drucksituation" für die Spieler
"Die Aktion steht ja nicht erst seit gestern. Sie wissen seit längerer Zeit, dass wir die Binde tragen wollten." Gewartet worden sei aber bis zu den ersten Spielen jener europäischen Teams, die in Katar mit der symbolträchtigen Binde für Menschenwürde auflaufen wollten. Die Entscheidung sei zeitlich "ganz bewusst" so gesetzt worden, kritisierte Bierhoff: "So eine Drucksituation, wohl wissend, dass sowohl Spieler als auch Trainer mit den Köpfen beim Spiel sind, es schwer ist, auch innerhalb der Gruppe eine Entscheidung zu treffen. Das ist echt traurig."
Man habe die Spieler "nicht so einer Situation aussetzen wollen", sagte DFB-Chef Neuendorf. Simon berichtete, am Abend vor dem Montagsspiel der englischen Mannschaft, deren Kapitän Harry Kane die "One Love"-Binde ebenfalls tragen wollte, habe der Turnierdirektor das englische Team besucht, vor einem "mehrfachen Regelbruch" gewarnt und mit "massiven sportlichen Sanktionen gedroht".
Die Androhung sportlicher Sanktionen seitens der FIFA habe "sehr viel Druck ausgeübt auf die Spieler, die Unruhe hineinbringt in die Mannschaften. Das ist wirklich nicht das, was man vor so einem Turnier braucht", so Neuendorf. Neuer war vor der Entscheidung telefonisch eingebunden worden.
Olivia Jones: Neuer kann Geschichte schreiben
Deutschlands wohl bekannteste Drag Queen Olivia Jones forderte den deutschen Kapitän indes auf, beim deutschen WM-Auftakt am Mittwoch in Doha dennoch eine Binde zu tragen - die Regenbogenbinde. "Du hast jetzt die Chance, noch Geschichte zu schreiben", so die Hamburger Ikone bei Instagram: "Die 'One Love'-Binde taugte eh nichts, zieh dir am Mittwoch den echten queeren Regenbogen an."
Göttlich: "Regeln nach Gutsherrenart von der FIFA diktiert"
Laut Gesetz ist Homosexualität in Katar verboten und wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. Die Sicherheit und Freiheit der Menschen der LGBTQI+-Community ist neben den Lebensbedingungen für die Millionen ausländischen Arbeiter in Katar eines der großen und besorgniserregenden WM-Themen.
"Die Weltmeisterschaft 2022 wird (...) als eine WM der Schande in die Geschichte eingehen", konstatierte Präsident Oke Göttlich vom Zweitligisten FC St. Pauli. Die FIFA missbrauche ihre Macht: "Das ist die endgültige Bankrotterklärung für einen Fußball, dessen Regeln nach Gutsherrenart von der FIFA diktiert werden. Viele Fans haben sich längst mit Grausen von diesem Fußball abgewandt. Sicherlich werden auch bald Sponsoren und Partner folgen."
Sponsoren stellen sich an Spitze des Protests
Tatsächlich beendete am Dienstag Rewe als erster großer Sponsor die Zusammenarbeit mit dem DFB. "Die skandalöse Haltung der FIFA ist für mich als CEO eines vielfältigen Unternehmens und als Fußballfan absolut nicht akzeptabel", sagte Firmenboss Lionel Souque in einer Mitteilung des Handelsriesen: "Wir stehen ein für Diversität - und auch Fußball ist Diversität. Diese Haltung leben wir und diese Haltung verteidigen wir - auch gegen mögliche Widerstände."
Rewe hatte dem DFB bereits im Oktober mitgeteilt, den langjährigen Partnerschaftsvertrag nicht weiterzuführen - damals noch ohne inhaltliche Verbindung zur Weltmeisterschaft. Nach den aktuellen Entscheidungen der FIFA stelle der Konzern den Vertrag mit dem DFB aber ab sofort ruhend und verzichte auf Werberechte, hieß es in Köln.
Gleichzeitig forderte der Sportartikelriese adidas als FIFA- und DFB-Partner eine liberale Haltung. "Wir sind davon überzeugt, dass Sport offen für alle sein muss", so adidas-Sprecher Oliver Brüggen: "Wir unterstützen unsere Spieler*innen und Teams, wenn sie sich für positiven Wandel einsetzen. Sport bietet wichtigen Themen eine Bühne. Es ist unerlässlich, die Diskussion fortzuführen."