Ex-Fußballer Otto Addo: Mit ROOTS gegen die Wurzeln des Rassismus

Stand: 21.02.2025 11:00 Uhr

Rassismus im Sport ergründen und bekämpfen und die Debatte darüber stärken - das ist das Ziel der Initiative ROOTS von Otto Addo. Mitstreiter loben "einen großartigen Leader und Übersetzer in die Welt des Fußballs".

von Andreas Bellinger und Jonas Freudenhammer

"Klare Kante gegen Rassismus", "Mein Freund ist Ausländer" oder "Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus": Aktionen, Kampagnen und gute Worte gibt es viele. Doch was hilft gegen weit verbreitete rassistische Diskriminierung in Deutschland - im Fußball wie in der Gesellschaft ganz allgemein? Und wer steht den Opfern bei, wie jüngst dem in Hamburg geborenen Sprinter Owen Ansah, der als "schnellster Mann Deutschlands" eigentlich von allen hätte gefeiert werden müssen, nachdem er in 9,99 Sekunden über 100 Meter die Zehn-Sekunden-Schallmauer durchbrochen hatte?

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Leichtathletik: Deutsche Meisterschaft im Eintracht-Stadion, 100 m, Finale, Männer: Owen Ansah nach dem Lauf. © picture alliance Foto: Swen Pförtner

Owen Ansah und seine 9,99 Sekunden für die Geschichtsbücher

Der Hamburger knackte 2024 als erster deutscher Sprinter die 10-Sekunden-Marke - und sah sich danach rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. mehr

Otto Addo kennt Hasstiraden gegen Menschen - nur weil sie eine andere Hautfarbe und einen Migrationshintergrund haben. Der einstige Bundesliga-Profi, der aktuell Trainer der ghanaischen Nationalmannschaft ist, hat all das auf dem Fußballplatz erlebt. Affenlaute, Bananenwürfe, diskriminierende Sprüche - etwa 1997 in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Bundesliga seines damaligen Vereins Hannover 96 bei Energie Cottbus.

Addo: "Rassismus-Experten eine Stimme geben"

"Ich kann gar nicht sagen, was schlimmer ist. Wenn man vom Gegenspieler beleidigt wird oder von Zuschauern - egal, wie viele es sind", erinnert sich der in Hamburg geborene Addo, dessen familiäre Wurzeln in Ghana sind. "Das Erschreckendste oder - besser gesagt - das Traurigste war für mich, dass man auch Kinder gesehen hat, die bestimmte rassistische Wörter und Slogans mitgesungen haben. Und dass es ganz, ganz wenig Konsequenzen hatte."

Nicht so für den heute 49-Jährigen, der vor zwei Jahren beschloss, sich mit einer Gruppe von Fachleuten profund um die Problematik des Rassismus nicht nur im Fußball zu kümmern. "Ich habe mir gesagt, ich muss meinen Bekanntheitsgrad nutzen, um den Rassismus-Experten eine Stimme zu geben. Um eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu schaffen."

Es war die Geburtsstunde von "ROOTS - Against Racism in Sport". Die Initiative will eine chancengerechte und inklusive Sportwelt schaffen, frei von Rassismus und Diskriminierung. "An erster Stelle geht es immer um den Betroffenen. Ich erinnere mich an eine Situation, wo ein junger Spieler geweint hat. Das wäre zum Beispiel ein Punkt, an dem für mich das Spiel vorbei wäre, wenn die Emotionen nicht mehr einschätzbar sind", so Addo.

Rassismus im Fußball: Ein europäisches Problem

Tränen flossen auch beim brasilianischen Stürmerstar Vinicius Junior von Real Madrid, als er bei einer Pressekonferenz seines Nationalteams zum Thema Rassismus befragt wurde. Rassisten müssten entlarvt und von der Tribüne entfernt werden, fordert der Champions-League-Sieger, der vielfach zum Opfer rassistischer Anfeindungen geworden ist. Einst hing sogar eine schwarze Puppe im Trikot des 24 Jahre alten Stürmers, wie an einem Galgen aufgeknüpft, von einer Brücke in Madrid.

Es ist ein europäisches Problem, wie eine "Kick It Out"-Studie nachdrücklich aufzeigt. Die gemeinnützige europäische Organisation gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie im Fußball hat die Saison 2021/22 mit der von 2022/23 verglichen und einen Anstieg der gemeldeten Diskriminierungsfälle in Europa von 65 Prozent ermittelt, so beschreibt es die Bundeszentrale für politische Bildung.

TV-Tipp: Otto Addo zu Gast im NDR Sportclub

Am Sonntag, 23. Februar 2025, ab 23.35 Uhr im NDR Fernsehen

Asamoah fordert Zivilcourage

"Wenn man mit Bananen beschmissen und bepöbelt wird, ist das etwas, was man nicht so schnell vergessen kann", sagt Gerald Asamoah. Der Vize-Weltmeister von 2002 und WM-Dritter 2006 mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mahnt mehr Zivilcourage an: "Es tut weh, wenn man nicht akzeptiert wird. Und das macht auch etwas mit dir."

Otto Addo und die ROOTS-Mitarbeiter bieten unmittelbare Hilfe für Betroffene an. Außerdem veranstaltet die Initiative Schulungen und Workshops für Vereine, Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Verbände in jeglichen Sportarten. "Und es geht auch um Awareness, also ein Bewusstsein zu schaffen, die Probleme sichtbarer zu machen", sagt Addo, "aber auch generelle Vorschläge für mehr Vielfalt in bestimmten Positionen zu erarbeiten und auch eine andere Perspektive zu haben."

Expertin Etse: "Rassismus kommt nicht nur aus der Kurve"

Rachel Etse zählt wie Younis Kamil zum dreiköpfigen Präsidium der Initiative. "Uns eint bei ROOTS, dass wir alle Erfahrung mit Rassismus im Alltag oder auch im Sport haben", sagt sie. "Rassismus kommt nicht nur aus der Kurve, sondern kann auch vom Trainer kommen, vom Gegenspieler oder auch Mitspieler. Deshalb muss man nach innen schauen und darf es nicht nur nach außen verlagern nach dem Motto: Es sind immer die Fans. Nein, das stimmt so nicht."

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Solidarität der Mitspieler ein "wichtiger Schritt"

Aber wie soll beispielsweise der DFB reagieren, wenn eine Mannschaft komplett das Spielfeld verlässt, weil es zu "mehreren rassistischen Beleidigungen auf dem Spielfeld sowie seitens der Zuschauer" gekommen ist? So schilderte es Holstein Kiel dem NDR, nach dem Abbruch der Partie in der U19-Nachwuchsrunde bei Hansa Rostock am 1. Februar. "Ich glaube, dass der DFB mittlerweile sehr, sehr viel tut und an vielen Stellen sehr sensibilisiert ist für das Thema", so Kamil. "Gut, dass der DFB überhaupt ermittelt."

Was er ausdrücklich als "wichtigen ersten Schritt" werte, sei das solidarische Verhalten der Mitspieler. Eine neue Qualität, wie Younis Kamil meint: "Aus eigener Erfahrung als Nachwuchsfußballer kann ich sagen, dass es früher sehr viel häufiger Mitspieler gab, die meinten: 'Stell' dich nicht so an, komm mach weiter!'"

UEFA-Szenario: Drei Schritte bis zum Spiel-Abbruch

Erst seit 2011 kennt die Europäische Fußball-Union UEFA und damit auch der Deutsche Fußball-Bund ein Szenario in drei Schritten, das im Fall rassistischer Vorfälle greifen soll: Zunächst ist eine Spielunterbrechung vorgesehen, dann kommt im zweiten Schritt, dass beide Mannschaften vorübergehend in die Kabine geschickt werden. Als letzte Konsequenz folgt schließlich der Abbruch der Partie.

Ansahs Rezept: Hass im Netz ignorieren

Owen Ansah hat sein eigenes Rezept gefunden. Der HSV-Sprinter ignoriert den Hass im Netz schlicht und einfach, hat sich die Anfeindungen "nicht einmal durchgelesen". Augen zu und durch? "Mit mir persönlich hat das nichts gemacht. Ich weiß, dass meine Familie und meine Freunde, dass Hamburg und Deutschland hinter mir stehen", sagt der 24-Jährige. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) reagierte und kooperiert künftig mit der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt (ZIT), um stärker gegen "Hater" im Netz vorzugehen.

Aber es gibt eben auch die vielen anderen, die leiden und sich nicht zu wehren wissen. Denen wollen Otto Addo und die Experten von ROOTS zur Seite stehen.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 23.02.2025 | 23:35 Uhr

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