Die Fußball-Bundesliga und die (neue) Macht der Fans
Markiert der abgewendete Investorendeal einen Wendepunkt? Viele Beobachter sehen ein neues Selbstbewusstsein bei den Fans im Stadion. Kritiker wie HSV-Trainer Steffen Baumgart sehen allerdings mit Sorge, dass Grenzen überschritten werden.
Der "Vorsänger" aus der Darmstädter Fankurve steht auf dem Rasen und faltet die versammelten Spieler verbal zusammen. Auch Trainer Torsten Lieberknecht steht bedröppelt da und lauscht nach dem 0:6 gegen den FC Augsburg den aufgebrachten Worten des "Capos". Die Gladbacher Profis werden nach dem Aus im DFB-Pokal in Saarbrücken von Fans im Innenraum zusammengestaucht.
"Die meisten von den Jungs stellen sich hin und sagen, sie sind der Verein. Ich würde denen gerne mal sagen: Wenn du zu Hause bleibst, existiert dieser Verein weiter." HSV-Trainer Steffen Baumgart
Diese Szenen haben viel Aufmerksamkeit erregt, weil einige Fans die natürliche Barriere zwischen Tribüne und Platz offenbar nicht mehr als gegeben anerkennen. Es stellt sich die Frage, ob die Anhänger mit einem neuen Selbstverständnis unterwegs sind - und wie weit sie gehen dürfen.
Fanforscher: "Ultras nicht immer volle Eskalationsstufe fahren"
Fan-Forscher Jonas Gabler beobachtet die Ultra-Szene seit mehr als 15 Jahren. Der Experte sieht "keine Häufung" von Vorfällen in den Stadien, vielmehr handelt es sich seiner Meinung nach um "eine sensibilisiertere Wahrnehmung". Sprich: Die Fans stehen ohnehin im Fokus - und ihr Verhalten wird auch weiter genauer beäugt.
Grund hierfür sind die langanhaltenden und am Ende erfolgreichen Proteste gegen den Investorendeal der DFL. Dass sich David gegen Goliath in der Investoren-Frage mit langem Atem durchgesetzt hat, findet der Fanforscher bemerkenswert: "Das war tatsächlich etwas Besonderes, was es in der Form und in der Häufung noch nicht gab", blickt der Geschäftsführer der "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene soziale Arbeit" zurück.
Gabler betont aber auch: "Die Ultras wären nicht gut beraten, daraus zu schließen, sie könnten jetzt immer die volle Eskalationsstufe fahren, wenn ihnen etwas nicht passt." Dass die Proteste gegen den Investorendeal Erfolg hatten, sei nicht zuletzt darin begründet gewesen, dass es einen breiten Konsens in der kompletten Fanszene gegeben habe und auch die Medien ihr Ansinnen weitergetragen hätten.
HSV-Coach Baumgart: Fans überschreiten Grenzen
Thomas Kessen vom Verband "Unsere Kurve" sieht es ähnlich wie der Fanforscher: "Dass Mannschaften nach einer schlechten sportlichen Leistung nach dem Spiel vor die Kurve kommen und dort ein paar deutliche Takte gesagt bekommen, hat es schon immer gegeben." Allen Beteiligten sei klar, dass Fußball ein emotionales Geschäft ist. Auch, dass Fans auf dem Platz auftauchen, sei kein neues Phänomen. Früher seien schließlich nach dem Abpfiff oft ganze Fanmassen auf den Platz geströmt. Bei den heutigen Aktionen sei es allerdings ein schmaler Grat.
An dieser Stelle steigen allerdings einige Betroffene, nämlich die Spieler und Trainer, aus der Erklärung aus. Für HSV-Coach Steffen Baumgart sind die Grenzen zuletzt ganz klar überschritten worden: "Es hat nichts damit zu tun, dass Fans ihren Unmut äußern. Um Gottes Willen. Ich gehe ins Stadion und möchte etwas Positives erleben. Und wenn meine Mannschaft dann verliert, dann gehört es emotional dazu, dass ich auch mal sauer bin oder auch mal pfeife. Bei den Bildern, die wir zuletzt gesehen haben, finde ich es aber interessant von einem schmalen Grat zu sprechen. Das ist kein schmaler Grat, das ist über den Grat hinaus."
"Dass Mannschaften nach einer schlechten sportlichen Leistung nach dem Spiel vor die Kurve kommen und dort ein paar deutliche Takte gesagt bekommen, hat es schon immer gegeben." Thomas Kessen vom Verband "Unsere Kurve"
Baumgart kennt sich mit Anfeindungen aus. Gerade bei seinem Heimatclub Hansa Rostock habe es auch schon mal Worte unter der Gürtellinie gegeben. "Die meisten von den Jungs stellen sich hin und sagen, sie sind der Verein. Ich würde denen gerne mal sagen: Wenn du zu Hause bleibst, existiert dieser Verein weiter", unterstreicht der 52-Jährige.
"Das habe ich erlebt, wenn man einen Verein verlässt. Bei Hansa bin ich jetzt seit sehr langer Zeit weg und den Verein hat es immer gegeben. Es heißt immer, wir sind für den Verein da. Aber ich glaube, dass viele ohne den Verein gar nicht können, aber ihre Wirkung dann - aus meiner Sicht - schnell in den falschen Hals kriegen."
Mehr Demokratie im Verein, aber nur bedingt mehr Macht?
Davon unabhängig hoffen viele Fans darauf, dass der geplatzte Investorendeal zumindest in Sachen Demokratie im Fußball dauerhafte Fortschritte eingeleitet hat. Zeiten, in denen "Patriarchen" wie Bayern-Manager Uli Hoeneß allein den Weg für ihren Club vorgegeben hätten, seien vorbei, ist Kessen von "Unsere Kurve" überzeugt:
"Diejenigen, die früher nur zum Abnicken vorgesehen waren, ermächtigen sich immer mehr selbst und sagen: 'Moment mal, wir haben ganz normale Partizipationsmöglichkeiten und es gibt vielleicht auch andere Ideen als deine.' Da sind wir nach meiner Einschätzung gerade in einem größeren Transformationsprozess hin zu einem deutlich demokratischeren Fußball als er es in der Vergangenheit war."
Auch Forscher Gabler sieht durchaus ein neues Selbstverständnis bei den Fans. Aber haben sie auch wirklich mehr Macht als früher? "In deren Wahrnehmung vielleicht schon. Aber ob sich die Machtverhältnisse verändert haben, müssen wir erst noch abwarten."
Fast alle Kampagnen zuvor hätten schließlich nicht zum Ziel geführt. "Deshalb ist das jetzt vielleicht mal ein kleines Erfolgserlebnis unter vielen anderen, wo man vergeblich versucht hat, etwas zu verändern, was dann doch gekommen ist. Ob es beim nächsten Protest genauso läuft - ich hab' da so meine Zweifel."