Die "Flowlosen": Der HSV ist der große Verlierer im Aufstiegsrennen
Der HSV ist im Aufstiegsrennen der 2. Liga am 27. Spieltag der große Verlierer gewesen und rutschte durch das 1:1 in Fürth von Relegations-Rang drei. Im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern ist ein Sieg Pflicht, damit die Saison den Hamburgern nicht vollends entgleitet.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hat vor einigen Wochen bei der Kaderbenennung der Nationalmannschaft den Begriff "Flow" sehr häufig verwendet. Gemeint sind Spieler, bei denen es einfach läuft - persönlich und im Team. Er begründete unter anderem damit, welche Akteure er für die beiden Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande ausgewählt hat. Das Privileg des Bundestrainers: Er kann dabei auf Spieler aus den verschiedenen Clubs zurückgreifen und diese zu einer neuen Einheit zusammenbauen.
Dem HSV fehlt seit dem fünften Spieltag der "Flow"
Dieses Privileg haben Vereinstrainer nicht - wie man unter anderem am HSV sehr gut erkennen kann. Seit Monaten schon suchen die Hauptübungsleiter der Hamburger - zunächst noch Tim Walter, dann Merlin Polzin für eine Begegnung, nun seit fünf Partien Steffen Baumgart - einen Weg, dem Team des Aufstiegsfavoriten zu irgendeiner Art "Flow" zu verhelfen. Probieren, den einzelnen Spielern, aber auch der Mannschaft als Ganzem Vertrauen und Selbstvertrauen einzuflößen.
Diesen Zustand aber, dass es im Wortsinne einfach fließt, erreichen die "Rothosen" - einzelne Phasen in einzelnen Partien ausgenommen - eigentlich schon seit dem fünften Spieltag nicht mehr. Damals siegten sie 2:0 gegen Hansa Rostock. Es folgte mit dem 1:2 in Elversberg die erste Saisonniederlage - der Startschuss des Auf und Abs aus Siegen, Niederlagen und Unentschieden, das die Spielzeit seither geprägt hat und das am Sonntag dazu führte, dass die Hamburger von Relegationsrang drei rutschten.
Direkter Aufstieg außer Reichweite
Natürlich ist Fußball ein Tagesgeschäft, für den Moment aber ist der HSV nach dem 1:1 bei den Franken im Aufstiegsrennen der große Verlierer. Und das Hauptproblem der Hamburger: Konstant ist bei ihnen nur die fehlende Konstanz. Ein "Flow", das Vertrauen, Spiele in Serie gewinnen zu können? Nicht in Sicht.
Dabei wäre dieses Vertrauen gerade im Aufstiegsrennen und angesichts der selbstgesteckten Ziele - eigentlich der direkte Bundesliga-Aufstieg - essenziell. Der direkte Aufstieg ist spätestens nach dem Remis in Fürth aber außer Reichweite angesichts von zwölf Punkten Rückstand auf Stadtnachbar St. Pauli und sieben auf Holstein Kiel. Und auch das Minimal-Ziel Relegation ist - wie schon so oft in den vergangenen Jahren - in akuter Gefahr.
"Es ist ein Rückschlag - auch ganz unabhängig davon, wie die Konkurrenz gespielt hat." HSV-Torhüter Matheo Raab
Torhüter Matheo Raab sprach nach der Partie am Ronhof aus, was das Ergebnis bedeutet: einen "Rückschlag, auch ganz unabhängig davon, wie die Konkurrenz gespielt hat". Diese Einordnung hat nicht nur mit der eigenen "Flowlosigkeit" zu tun, sondern auch damit, dass diejenigen, die in der Tabelle um den HSV herumstehen, ein deutliches Mehr an Selbstvertrauen und Selbstverständnis haben.
St. Pauli und Kiel sowieso. Aber auch Fortuna Düsseldorf - neuer Dritter -, das in aller Regelmäßigkeit Spiele dreht. Zuletzt beim 3:1 am Wochenende in Kaiserslautern - dem nächsten Gegner des HSV am Sonnabend (13 Uhr, im NDR Livecenter). Oder Hannover, das sich mit einem souveränen 3:0 in Magdeburg bis auf zwei Zähler an die Hamburger herangearbeitet hat.
HSV machte in Fürth den Deckel nicht drauf
Baumgart gab sich trotz des neuerlichen Rückschlags kämpferisch: "Insgesamt haben wir viel von dem umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten", sagte der 52-Jährige. Und er hatte damit nicht unrecht. Einerseits. Denn seine Mannschaft spielte nach schwachem Start eine weitgehend dominante Partie, eroberte viele Bälle und erarbeitete sich eine ausreichend große Zahl an Torchancen, um die Partie zu gewinnen.
Andererseits aber nutzte sie diese Gelegenheiten eben nicht und spielte andere Situationen nicht konsequent genug zu Ende. Es fehlte die letzte Entschlossenheit, die letzte Konsequenz, das letzte Vertrauen, dem Traumtor von Miro Muheim einen weiteren Treffer folgen zu lassen und Fürth - ein Team, das zuvor sechs Niederlagen in sieben Spielen kassiert hatte - endgültig den Zahn zu ziehen. "Eigentlich müssen wir das 2:0 machen", sagte Baumgart.
In vielen Situationen fehlte der letzte "Punch"
Doch egal ob Bakery Jatta, Ransford-Yeboah Königsdörffer, der eingewechselte Anssi Suhonen oder aber Andras Nemeth, der für den kurzfristig ausgefallenen Robert Glatzel im Sturm spielte: In zu vielen Situationen merkte man den Spielern bei ihren Abschlüssen an, dass die allerletzte Überzeugung fehlte, das Tor zu erzwingen. Auch dem ehemaligen Stürmer Baumgart ist es noch nicht gelungen, seinen Schützlingen dieses Selbstvertrauen, diesen letzten "Punch", mitzugeben.
Und so ist Muheim einer der wenigen, der beim HSV gerade einen "Flow" hat. Mit welchem Selbstverständnis der lange Zeit in Hamburg belächelte Linksverteidiger in einer insgesamt verunsicherten Mannschaft spielt, mit welchem Selbstvertrauen er sich wie gegen die Franken Schüsse aus gut 20 Metern nimmt und versenkt, ist beeindruckend. Fünf Tore und drei Vorlagen des Schweizers sind starke Werte.
Nur Muheim spielt mit Selbstvertrauen
Zumal der 26-Jährige, der unlängst seinen Vertrag an der Elbe verlängerte, häufig wichtige Treffer wie Führungen oder Tore zum Ausgleich erzielt. Schon beim 3:0 gegen Wiesbaden hatte er das 1:0 erzielt. Er könnte einer der Mutmacher in der immer düsteren tabellarischen Situation für die Hamburger sein. Ein Spieler, an dem sich andere orientieren und aufrichten.
Zumindest gegen den FCK werden sie es aber ohne Muheim probieren müssen, da der Schweizer sich in Fürth seine fünfte Gelbe Karte abholte und gesperrt fehlen wird. Eine Schwächung für die schwächelnde Mannschaft.
Zumal abzuwarten bleibt, als wie schwerwiegend sich Glatzels Verletzung erweist. Zumindest angesichts von Muheims Ausfall ist klar, dass es eine erneut umformierte Mannschaft wird richten müssen, das giftige Spiel der akut abstiegsbedrohten Pfälzer zu parieren und das eigene Spiel durchzudrücken.
Sieg gegen Kaiserslautern ist Pflicht
"Es geht weiter", sagte Coach Baumgart trotzig nach der Partie bei den Franken. Und Torschütze Muheim sagte: "Wir schauen weiter nur auf uns." Dieser Blick richtet sich auf die Partie gegen Kaiserslautern.
Und die hat nach Baumgarts durchwachsenem Start im Volkspark - zwei Siegen stehen zwei Niederlagen und seit Sonntag ein Remis gegenüber - und angesichts des Verlustes von Platz drei nun eine noch größere Bedeutung. Ein Sieg ist Pflicht, will man nicht auch noch Rang drei aus dem Blick verlieren.