Datenanalyse: Wo Trainer Schnorrenberg beim VfB Lübeck anpacken muss
Der VfB Lübeck steht in der 3. Liga vor dem ersten Ligaspiel 2024 gegen Waldhof Mannheim mit dem Rücken zur Wand. Der neue Trainer Florian Schnorrenberg soll den Aufsteiger vor dem direkten Wiederabstieg in die Fußball-Regionalliga bewahren. Das aber wird verdammt schwer, wie die Daten zeigen.
Schnorrenberg hatte die Situation gleich bei seiner Vorstellung im Dezember treffend beschrieben: "Es ist harte Arbeit erforderlich." Der neue Trainer des Aufsteigers macht sich offenbar keine großen Illusionen, ist eher Realist. Und beides - die harte Arbeit und den Realismus - wird der VfB benötigen, will er nicht direkt wieder den Gang zurück in die Regionalliga antreten.
Lübecks bittere Bilanz nach 20 Spieltagen
Denn die Bäume wachsen beim Tabellen-18. der 3. Liga wahrlich nicht in den Himmel. 17 Punkte bei drei Siegen und nur 20 eigenen Treffern sind die nüchterne und ernüchternde Bilanz der ersten 20 Partien. Eine Bilanz, die kurz vor Weihnachten durch das 2:1 bei Zweitliga-Absteiger Sandhausen ein wenig aufpoliert wurde.
Der Sieg aber sollte - ebenso wie das respektable 1:1 gegen den abstiegsbedrohten Zweitligisten Hansa Rostock im letzten Härtetest - nicht darüber hinwegtäuschen: Schnorrenberg hat nur 18 Spiele Zeit, das Ruder in der Hansestadt herumzureißen. Der 46-Jährige scheint von der Machbarkeit überzeugt: "Ich würde hier nicht sitzen, wenn ich nicht an den Klassenerhalt glauben würde", sagt er. Wie schwer diese Aufgabe aber wird, zeigen die GSN-Daten.
Ineffizienz in Abschluss, Pressing und Passspiel
Am Aufwand liegt es beim VfB nicht. Das Hauptproblem ist ein anderes, aber schwerwiegendes, will man in der Liga bleiben: Ineffizienz. Drei Beispiele, drei Problemfelder: Pressingaktionen, Abschlüsse und Passquote.
Die Lübecker haben in den ersten 20 Partien die drittmeisten Pressingsituationen ligaweit kreiert, lassen dabei allerdings fast zwölf Pässe zu, bis man die Aktion des Gegners unterbindet. Anders formuliert: Das Pressing des VfB läuft sehr häufig ins Leere. Nur zwei Teams sind in dieser Hinsicht schlechter. Hohe Ballgewinne oder gar Torchancen lassen sich so nicht generieren.
Zu wenig VfB-Schüsse kommen aufs Tor
Thema Torschüsse: Mit knapp 17 Abschlüssen pro Partie erzielt der Aufsteiger einen soliden Mittelfeldplatz im Ligavergleich. Allerdings ist die Qualität der Abschlüsse bedenklich. Die Torwahrscheinlichkeit pro Schuss liegt bei nicht einmal acht Prozent. Lediglich etwas mehr als drei Schüsse in 90 Minuten kommen aufs Tor - und auch innerhalb des Strafraums sind es nur gut zwei. Alles Werte eines Abstiegskandidaten und in Summe viel Aufwand für eine schlechte Schussauswahl in ungefährlichen Zonen.
Die geringe Qualität der Abschlüsse hängt maßgeblich auch mit den Lübecker Schwierigkeiten im Passspiel zusammen. 123 Ballverluste pro Partie sind der viertschlechteste Wert der 3. Liga. Ein Problem, das sowohl offensiv wie defensiv Schwierigkeiten bereitet. Im Angriff, weil die Bälle nicht ins letzte Drittel kommen, um dauerhaft Druck auf den Gegner auszuüben - oder eben nur Abschlüsse aus ungefährlichen Positionen ermöglichen.
Viele Ballverluste im eigenen Verteidigungsdrittel
Besonders heikel aber ist die hohe Zahl der Ballverluste im eigenen Verteidigungsdrittel - 26 in 90 Minuten ist der schwächste Wert der Liga. Der Druck auf die eigene Defensive ist somit immens. Erschwerend hinzu kommt eine erstaunliche Passivität in der Abwehrarbeit. Egal, ob in der Zweikampfintensität, im Kampf um freie Bälle oder in Zweikämpfen am Boden, der VfB steht in jeder dieser Kategorien sehr weit oder ganz unten im ligaweiten Ranking. Hinzu kommt eine ausgeprägte Schwäche bei gegnerischen Ecken und Freistößen.
Interimscoach Bastian Reinhardt hatte nach der Entlassung von Aufstiegstrainer Lukas Pfeiffer im Dezember bereits mehr "Einsatz und Schärfe" gefordert. In Sandhausen war immerhin eine zaghaft positive Tendenz im Defensivverhalten zu erkennen.
Es war ein zartes Pflänzchen, denn ein Wert fasst die Misere der Schleswig-Holsteiner im Toreverhindern gut zusammen: Nur 60 Prozent der Defensivaktionen sind erfolgreich, die bisher 34 Gegentore also nicht verwunderlich. Ein Ansatzpunkt für Schnorrenberg sollte sein, die Anfälligkeit des VfB in den 15 Minuten nach Wiederanpfiff zu minimieren, in denen es bereits acht Gegentreffer setzte.
Abstiegswahrscheinlichkeit des VfB liegt bei 93 Prozent
Übertroffen wird dieser Wert nur noch von der desaströsen Bilanz in der Schlussviertelstunde: Hier kassierten die Lübecker sogar zehn Gegentore - bei nur fünf eigenen Treffern. Eine Formel für Punktverluste. Und der Grund, weshalb die Lübecker Chancen auf einen Ligaverbleib - mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz hat GSN den weiteren Saisonverlauf berechnet - als gering eingeschätzt werden. Nur mit siebenprozentiger Wahrscheinlichkeit schafft der VfB es in die Relegation. Die Abstiegswahrscheinlichkeit liegt bei 93 Prozent.
Transferseitig darf der neue Coach keine großen Veränderungen des ihm zur Verfügung stehenden Kaders erwarten. Mit Yannick Stein wurde ein Torwart von Union Berlin ausgeliehen - auf einer Position ausgerechnet, die als eine der wenigen Stärken des Kaders gezählt werden kann. Philipp Klewin ist mit einem Performance-Score von 56,23 den Daten zufolge der viertbeste Keeper der Liga.
Stellt Schnorrenberg das System um?
Abgesehen von ihm haben nur noch Linksverteidiger Morten Rüdiger und der offensive Mittelfeldspieler Tarik Gözüsirin - mit zehn Punkten (drei Tore und sieben Vorlagen) bester Scorer des Teams - auf ihren jeweiligen Positionen konstante Leistungen gezeigt. Abgesehen davon bestünde eigentlich in allen Mannschaftsbereichen Verbesserungsbedarf, insbesondere aber würden ein torgefährlicher Stürmer, ein zweikampfstarker, passsicherer Innenverteidiger sowie ein Allrounder im zentralen Mittelfeld helfen.
Schnorrenberg aber wird es aller Voraussicht nach mit den Spielern versuchen müssen, die da sind. Insofern könnte der Fokus neben erhöhter Effizienz, Intensität und Passsicherheit vor allem auch auf einer Änderung der taktischen Formation liegen. In den bisherigen Partien hat der VfB 70 Prozent der Spielzeit im 4-2-3-1 agiert und 20 Prozent im 4-3-1-2. Den Daten zufolge aber wäre ein 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern gemessen an den zur Verfügung stehenden Akteuren die beste Formation.
Lübecks wegweisendes Spiel gegen Waldhof Mannheim
So hat Schnorrenberg bei seinen bisherigen Stationen in Großaspach und in Halle durchaus spielen lassen, auch wenn seine bevorzugte Aufstellung ein 4-2-3-1 ist. Viel Zeit für Experimente bleiben dem Trainer aber nicht.
Gleich bei seinem erstem ersten Pflichtspiel an der Lübecker Seitenlinie gegen Waldhof Mannheim - mit 20 Zählern nur zwei Plätz besser als der VfB - geht es um viel. Darum, einen guten gemeinsamen Start hinzulegen und einen Kontrahenten noch tiefer mit in den Abstiegskampf hineinzuziehen.
Und das wird gegen 1860 München, aktuell ebenfalls 20 Punkte, am darauffolgenden Dienstag (19 Uhr, im NDR Livecenter) nicht anders. Oder wie Schnorrenberg sagt: Es ist viel harte Arbeit erforderlich, um das scheinbar Unmögliche doch möglich zu machen.